Rare Trax
Eine Überlandfahrt, Teil zwei: Bereits vor einigen Monaten hatten wir eine Rare Trax mit amerikanischer Musik zwischen Folklore und Rock präsentiert. Nun folgt eine Sammlung mit überwiegend neueren Songs.
Bei der Durchsicht der amerikanischen Country- und Folk-Rock-Platten der 90er Jahre findet man einen reichen Fundus von sogenanntem Alternative Country. Der Begriff wurde geprägt im Zusammenhang mit damals neuen Gruppen wie Uncle Tupelo und – etwas später – Whiskeytown, die Ende der 80erJahre mit ihrer eklektischen Version traditioneller Musik die Phalanx der orthodoxen Nashville- und Songschreiber-Szene aufbrachen. Auch Bands wie die Walkabouts, Camper Van Beethoven, später Cracker mit David Lowery, Souled American, Freakwater, Will Oldhams Palace Brothers, die Fellow Travellers, die Schramms und die Künstler des „Neo-Folk“ aus San Francisco – zuvörderst X-Tal und Penelope Houston – etablierten alte Spielweisen zumindest in Independent-Kreisen.
Diese untereinander kaum verbundenen Musiker fanden in Deutschland indes größere Beachtung als in ihrer Heimat, wenngleich erst das Wilco-Album „Being There“ von 1997 einen Kristallisationspunkt bildete. „Alt.Country“ war nun auch in den USA ein Begriff was den kleineren Bands allerdings kaum aufhalf. Labels wie Glitterhouse, Blue Rose, Ulftone, Normal, Munich und Fargo sind bis heute zuverlässige Lieferanten für zeitgenössische Roots-Musik – und aus ihrem Repertoire schöpften wir auch für diese Compilation.
Dabei reicht die Auswahl immerhin bis ins Jahr 1980 zurück, als die Feelies mit ihren nervösen, virtuos und extrem schnell gespielten Gitarrensongs eine vollkommen neue Lesart von Americana im weitesten Sinn präsentierten. Die meisten Songs stammen freilich aus den 90er Jahren und vereinen Einflüsse von Reggae bis Blues. Eine ansprechende Mischung war uns bei der Zusammenstellung wichtiger als die offenkundige genrehafte und thematische Verwandtschaft von Songs – der großartige Will Oldham etwa prägte zwar die Jahre nach 1993, doch seine höchst variationsreichen, oft morbiden und musikalisch wagemutigen Songs hätten nicht in diese Compilation von eher eingängigen Stücken gepaßt. Ein rarer Oldham-Track von einer EP ist aber für eine spätere Americana-Compilation reserviert, ebenso wie Songs von Tish Hinojosa und Freakwater.
In Jonathan Demmes Film „Something Wild“ besucht das Pärchen ein Treffen der High-School-Abschlußklasse und bei dieser höchst albernen Feier mit Luftballons, Hütchen und Namensschildern spielen auf einer winzigen Bühne die FEELIES — nicht gerade jedermanns Teenie-Lieblingsband, aber doch so etwas wie die Kult-Gruppe der Achtziger in den USA, neben Talking Heads und R.E.M.. „The Boy With The Perpetual Nervousness“ stammt von dem großartigen Album „Crazy Rhythms“, einem schwer erhältlichen Klassiker, der endlich neu aufgelegt werden müßte. Wie sich hier die Gitarren verschränken, das blieb ohne Beispiel und ohne Nachfolger. Auf spätere Alben spielten die Feelies auch sehr schwergängigen Blues, die frühere Schärfe aber war ihre ureigene Domäne.
Bevor Tito Larriva mit dem Trash-Film „From Dusk To Dawn“ und Tito & Larriva zu einiger Berühmtheit gelangte, spielte in Los Angeles mit den Plugz und, auf zwei Alben, den CRUZADO5. Schon damals vermengte er Blues, alten Rock’n‘ Roll und liebevoll überhöhte Mexiko-Klischees zu Tracks mit einer flirrenden, filmischen Atmosphäre.
Als Songschreiber für Norah Jones hat JESSE HARRIS bereits einen Grammy gewonnen – und dennoch kennt den Musiker kaum jemand. Auch auf dem letzten Album von Conor Obersts Bright Eyes ist er als Gitarrist vertreten. Mit seiner Band Ferdinandos hat Harris 2001 das Album „Crooked Lines“ aufgenommen, eine leider weithin übersehene Sammlung exzellenter Lieden die sich aus Blues, TexMex,Cajun und Country speisen. „Tve Got To See You Again“ ist ein Beispiel für Roots-Musik, die wie von den Alten gemacht klingt.
CALEXICO begannen ja bekanntlich als Musiker bei Howe Gelbs Giant Sand, ehe sie 1997 mit einem Independent-Debüt hervortraten. Trotz glänzender Rezensionen brauchte es bis zur zweiten Platte, bis Joey Burns und John Convertino wahrgenommen wurden – und dann wurde das Duo, zumal in Deutschland, über die Maßen erfolgreich. Nicht nur in unseren Bestenlisten werden Calexico regelmäßig geführt. Zwischen Borderline-Romantik, Texas-Flair und Wüsten-Rock changieren ihre Songs, und „Sanchez“ ist so ein typisches Drama mit Lokalkolorit.
Jeb Loy Nichols aka FELLOW TRAVELLERS brachte 1993Dub-Reggae und Country zusammen: ^Things & Time“ ist ein sonnendurchflutetes Meisterwerk der Kontemplation und Poesie.
Als 16 HORSEPOWER 1996 mit einer EP und ihrem Debüt-Album „Sackcloth’n Ashes“
gefeiert wurden, galt diese altertümliche Musik, gespielt auf antiquierten Instrumenten, als verkable Sensation. Die Songs von David Eugene Edwards schienen aus dem Sezessionskrieg zu stammen, und der Enkel eines Wanderpredigers erzählte von Tod und Teufel, von Schuld und Sühne in biblischer Sprache und mit dem Gesang eines Koyoten. Jüngst hat sich die Band aufgelöst – Edwards‘ Hang zur Religion und Solo-Ambitionen hatten Entfremdung provoziert.
Nachdem er sich mit Gary Louris zerstritten und die wunderbaren Jayhawks verlassen hatte, veröffentlichte MARK OLSON mit den Creekdippers seine eigenen Alben. Ehefrau Victoria Williams ist bei diesen bukolischen Gesängen stets dabei. Hier gibt es „Say You’ll Be Mine“, das an die Jayhawks erinnert.
Über den Americana-Großmeister RYAN ADAMS muß hier nichts mehr gesagt werden und obwohl sein begnadeter Eklektizismus wie seine Schaffenswut zuletzt einige Rezensenten unduldsam machten, so bleiben seine Arbeiten an der Tradition doch genialisch.
Mit den beseelten Songs von „Good Times“ CHRIS CACAVAS sein bestes Album vor. Der ehemalige Green On Red-Mitstreiter galt damals als ein Nachfahre Neil Youngs – sein Gitarrenspiel wie sein Songwriting sind tatsächlich exzellent.
Als Schwager von Madonna durfte JOE HENRY immerhin einen Song zu dem Album „Music“ (dem mit Cowboy-Hut) beisteuern. Auf „Trampoline“ von 1996, seiner ambitioniertesten Platte, führte Henry seine Songs weit über Country-Melancholie hinaus.
Erst vor einigen Monaten erschien „Exploration“, eine erstaunliche Americana-Platte von SARAH LEE GUTHRIE & JOHNNIE IRION. Das Duo hat neben Folk-sensiblen Stücken auch rustikale Country-Rock-Songs aufgenommen – allein, dem Album wurde natürlich zu wenig Aufmerksamkeit zuteil.
Nicht ganz unbemerkt blieb hingegen 1996 „Acrylic Teepees“ von DAVID MUNYON. Bei „Be Bigger Than A Dream“ brennen die Gitarren so heftig wie ein Buschfeuer – Americana als ein Beben der urwüchsigen Art, ein musikalischer Ausbruch.