Rolf Zacher: Der Wüstling lebt
2005 traf ROLLING STONE Rolf Zacher. Wir erlebten einen Mann, der mit Vollgas durch 64 Jahre geprescht war, als Ganove, Junkie, Rocker, Casanova, Gentleman und Spruchbeutel. Vor 13 Jahren hatte er dann die Bühne für sich entdeckt – um seine Stories zu erzählen und die Ramones zu feiern. Unser damaliges Porträt in Gedenken an den Schauspieler, der am Samstag verstarb
Das Rolf-Zacher-Porträt im ROLLING STONE, Ausgabe 6/2005:
Zacher hat ein Riesenglück, ein Riesenglück gehabt, daß er zwischendurch nicht aus Versehen gestorben ist. Gelegenheiten und Anlässe hätte es genug gegeben: Er hätte sich um den Baum wickeln können mit einem der geliebten schnellen Autos. Er hätte beim versuchten Eifersuchtsmord aus Notwehr erschlagen werden können. Er hätte zu viel mit vergiftetem Traubenzucker gestrecktes Heroin erwischen und in einer Drogentoten-Statistik der Hamburger Polizei enden können, und einmal war er tatsächlich in Los Angeles in ein Drive-by-Shooting verwickelt.
Rein karrieretechnisch wäre das auch deshalb blöd gewesen, weil man sich den lauten Zacher einfach nicht als dahingegangenen Helden vorstellen kann, als ewig Jungen, als Mann auf der Wolke, wo es nichts zu rauchen und zu ficken gibt. Rolf Zacher muß da sein. Wahrscheinlich ist das eins der Dinge, die der 64jährige am meisten genießt: auf unglaublich virtuose Art da zu sein und bei dieser Tätigkeit nicht ignoriert werden zu können.
Man kann es auch so sehen, daß Zacher neben dem Schauspielberuf eine Zweitkarriere als Nervensäge laufen hat. Als Talkshow-Eingeladener, der sich von niemandem moderieren läßt, der sich selbst ansagt, absagt, der praktischerweise auch noch die Überleitungen von einem seiner Wortbeiträge zum nächsten selber spricht. Bei Kerner flirtete er mit der jungen Sarah Kuttner, bei Raab legte er sich auf dem Sofa lang. Zacher hat immer den Längsten, den längsten Atem, die längste Aufmerksamkeitsspanne. Keiner redet lauter. Keiner grinst geräuschvoller, keiner sagt öfter „vögeln“. Wenn er sich nur räuspert, ist das ein Akt höflicher, aber himmelschreiender Unbescheidenheit. Rolf Zacher ist nie gut, er ist immer gleich gei. Und er hat so ein bißchen das Pech, daß er nie bei einem Film dabei war, der so geil war wie er. So wie Irrkopf Kinski „Aguirre, der Zorn Gottes“ hatte und Stolperer Juhnke selig den „Hauptmann von Köpenick“, so wie sogar eine richtig traurige Figur wie Uschi Glas zur Not auf „Zur Sache, Schätzchen“ zeigen kann.
Fassbinder wollte ihn in „Kokain“
Jeder kennt Rolf Zacher, kaum jemand kann auf Anhieb sagen, wo er mitgespielt hat. Dabei hat er tolle Sachen gemacht, in den 60ern mit dem Regisseur Georg Moorse, „Kuckucksjahre“ oder „Lenz“, 1972 „Harlis“ mit Robert van Ackeren, 1979 „Endstation Freiheit“ mit Reinhard Hauff, wofür er den Bundesfilmpreis bekam, 1981 den „Zauberberg“ mit Geißendörfer und so weiter. Leider kennt diese Filme heute kein Mensch mehr. Fassbinder gab ihm die Hauptrolle in „Kokain“, aber Fassbinder starb zwei Monate vor Drehstart. Die einzigen Zacher-Filme, die man auf DVD bekommt, sind gräßliche Brotjobs wie Tom Gerhards „Voll normaaal“ oder „Der Formel Eins-Film“.
Auch fürs ohnehin flüchtige Fernsehen hat ihm kein Buchautor je die eine große Rolle auf den Körper geschrieben – in Kurzbiographien heißt es dann immer klischeehaft, Zacher sei Spezialist für gebrochene Kerle und soziale Randfiguren, Dealer, Gammler. Aber vielleicht stimmt das ja sogar. Vielleicht ist dieser Typ einfach nicht saturiert und in sich ausgeglichen genug, als daß er den Helden spielen könnte, denn der Held steht zwischen den Extremen und muß ein nachvollziehbarer Charakter sein.
Also noch ein Grund, warum es gut ist, daß Zacher offenbar doch auf sich aufgepaßt hat: Bis jetzt hat ihn keine Rolle unsterblich gemacht. Und die beste Rolle seines Lebens kann er nur lebendig weiterspielen.
Von einem Treffen mit Rolf Zacher erwartet man sich Spaß, und der geht schon eine Dreiviertelstunde vorher los, wenn man die Nummer wählt, die seine Agentur als Kontakt herausgegeben hat. Das Handy hat nämlich ein Ringback, eines der Features aus den Werbespots, die unnützer als andere erscheinen: „Dragostea Din Tei“, das moldavische „Haijahi“-Lied spielt verzerrt, während es tutet, bis er rangeht. Das Telefon gehört Jenny, seiner persönlichen Tour-Assistentin und Fahrerin, einer hübschen blonden Frau mit Pferdeschwanz, die höchstens Mitte 20 ist. Sie sind nur gute Freunde, sagt Zacher, während Jenny den Stau im Elbtunnel meistert und den Künstler nach Hamburg bringt, wo er am Sonntagabend in der sonderbaren NDR-Sendung „DAS!“ auftreten soll, einem Boulevardmagazin, das auch Studiogäste hat. „Ist gut, ist PR.“ Zacher hat eigentlich einen freien Tag auf der Lese-Tournee, war am Freitag in Gera, wird am Montag in Braunschweig sein.
Die Hamburger Hotelwirtin grüßt er mit weltmännischer Flamboyanz, er ist sofort ein bißchen laut. Selbst wer die Fresse nie gesehen hat, merkt, daß hier ein Filmstar verkehrt: der lange Zacher, der mit dem Kopf eine Kerbe in die Luft haut, in Sakko und Anzughose, die nicht zusammengehören und trotzdem super zusammen aussehen. Er hat nur teure Sachen, aber die halten ja auch lange, sagt er. Womit der komische Ort, den er – klassentechnisch gesehen – bewohnt, schon umrissen wäre: die Statussymbole der Reichen, die Durchhalte- und Mehrwert-Ethik der etwas Armeren. So wie die Selbststilisierung im Spot der „Bild am Sonntag“-Kampagne, wo Zacher als Graf Koks im Seidenbademäntelchen auf dem Sofa hockt und die Kamera nur kurz zeigt, daß das eine Zelle im dritten Stock einer Mietskaserne ist. Das böhmischste Detail am echten Zacher ist der blaue Schal, extrem nachlässig ins Revers gestopft. Schal hat er immer, betont er, die Frauen waren oft verstört, daß er den auch beim Sex anbehielt.
Er unterbricht sich ständig selbst
Wie checken Götz George oder Hannelore Elsner ins Hotel ein? Sehr leise sicher, und unter Beachtung der Regel, daß man ein viel größeres Aufhebens um die eigene Person stiften kann, wenn man besonders penetrant von sich ablenkt. Auf Tournee zu sein, das kommt Zacher schon ganz rock’n’rollig vor. Was er da fast jeden Abend tut, in kleinen Kulturzentren, die „Scheune“, „Turmbrauhaus“, „Mau Club“ heißen, nennt er einfach „auf die Bühne gehen“: „Viele Schauspieler haben 20 Jahre Theater gemacht – ich nie!“ Und wenn er dann bei „Warten auf Godot“ dabei sein konnte, kam es vor, daß er immer wieder „Mohrrübe“ statt „Karotte“ sagte und der Mitspieler nicht kam, weil „Karotte“ das Einsatzwort gewesen wäre. Zacher muß ganz frei reden dürfen, wie in den Talkshows. Bei der Lesereise für die Autobiographie „Endstation Freiheit“ trieb er die Zuhörer vor zwei Jahren zur Weißglut, weil er sich ständig selbst unterbrach und so lange den eigenen Text kommentierte und abschweifte, bis die Zeit um war.
Das war die Vorstudie. Das aktuelle Projekt und Produkt, ein CD-Hörbuch namens „Rolf trifft Zacher“, ist die reine Improvisation, passenderweise mit Jazz unterlegt. Zacher erzählt Geschichten aus seinem Leben und gibt Ratschläge zum Glücklichsein, viel zu nah am Mikrophon. Der Hörfunkpfarrer, der lüstern labernde Triebtäter, der „Hey du!“-Typ aus der Sesamstraße, der aus dem Trenchcoat heraus Buchstaben an Monster verkauft. „Atmen ist das Allergeilste überhaupt.“ Ein ungestörter Off-Monolog, wie ihn Robert De Niro in „Taxi Driver“ spricht und wie er Rolf Zacher nie vergönnt war (immerhin durfte er De Niro einmal deutsch synchronisieren, in „Mean Streets“). „Wenn du verliebt bist, paß auf deine Freundin auf, denn alle wollen sie ficken.“ Über Sex auf der Berliner Mauer, über die Hüttengemeinschaft mit Hunden in Brandenburg, über Sex im Wald, Sex in der WG und wie er in der Ritterrüstung ein ostdeutsches Ehepaar sehr erschreckt hat Wen das interessiert? Er lacht dreckig, er spielt besoffen, atmet schwer, feuert sich an („Yeah!“), bläst sich auf, lutscht Bonbons, wobei die Stereokanäle zu Zachers Backentaschen werden, wird diabolisch, weiß einen Moment lang nicht weiter. „Es tat so weh. Ja, wie denn so? Ach so, ja… Ja ja. Also, hört auf zu jammern. Wer jammert ist selber schuld.“
Zacher gehört zu den sehr angenehmen Menschen, die auch bei grellem Sonnenwetter nicht unbedingt draußen sitzen müssen. Obwohl er ja sein blaues Tüchlein hat, das den Nacken vor kaltem Wind schützt. Er rückt ans Fenster im Hotel-Frühstücksraum, nimmt die schmale, schwarzteefarben getönte Brille ab, erklärt auf Nachfrage die Herkunft aller seiner Kleidungsstücke – „Die Hose ist von Ermenegildo Zegna, die hab ich, glaube ich, schon 20 Jahre. Jeans mag ich nicht mehr, die Eier müssen Platz haben und schön bibbeln können“ – und nötigt einen, ihm den Finger in den Bauch zu bohren. Ein Muskel-Steak, nach 20 Jahren Yoga. Seitdem er das hinter sich hat, was er „Krankheit“ oder „schwierige Zeit“ nennt, gehört Zacher zu den offiziellen Lebensbejahern, trinkt kaum Kaffee, raucht „ein, zwei Zigarettchen“ am Tag. Man fragt sich, womit er sich bloß für die schaurigeren Teile des Hörbuchs in Stimmung gebracht hat „Also erstmal genieß ich es, meine Stimme durch den ganzen Körper vibrieren zu lassen“, sagt Zacher. „Das ist ja schon toll. Da hab ich auch lang dazu gebraucht, so ’ne Stimme zu kriegen, ohne zu saufen, vom Alkohol wird sie ja so brüchig, oder vom vielen Rauchen. Ich hab das von den tibetanischen Mönchen, da gibt’s so ’ne Platte mit 15 Mönchen (beginnt unvermittelt, ein anhaltendes, kehliges Geräusch zu machen, wie ein Didgeridoo, eine halbe Minute, keine verstörte Zwischenfrage bringt ihn raus). Das hab ich ein Jahr gemacht, immer bevor ich gedreht hab. Durch die Hippie-Zeit, da war ich jung, da war ich 24, da hab ich das gelernt.“
Die Stimme. Das Wichtigste überhaupt. Zachers Stimme ist ja nicht wirklich tief, sie ist mehr sandig, manchmal steinig. Sie hat den einschüchternden, schief nölenden Ton, in dem man sich im Alptraum einen Satz wie „Freundchen, reich mal die Brieftasche rüber!“ vorstellt. Zacher redet auch nicht immer laut. Wenn er leise redet, wenn die Kehlkopfgeräusche gegeneinander scheuern, klingt es eigenartigerweise so, als ob er einem mit dem Mund ganz nah ans Ohr kommt, obwohl er weit weg sitzt. Die außerordentliche Fähigkeit, wie ein gewürgtes Geflügel zu krähen, brachte ihm 1971 einen Gastauftritt auf der „Tanz der Lemminge „-Platte von Amon Düül II, beim Song „H.G.Well’s Take Off“, wo er „Das Leben der Hühner ist rot!“ deklamiert und schlimm schreit. Die Tourneen mit der Krautrock-Band aus Landshut sind bis vor kurzem der einzig ernsthafte Rock’n’Roll in Zachers Leben gewesen.
„Sag mal, habt ihr ’n Rad ab?“
„Da kamen schon Plattenproduzenten: Ja, Herr Zacher, wir stellen uns das so vor, sie mit ’ner Pulle Whisky in der Hand und neben ’ner Mülltonne, und ich: ,Sag mal, habt ihr ’n Rad ab? Und die immer: Ja, welche Zielgruppe?‘ Und ich: ,Wißt ihr was, leckt mich am Arsch, meine Zielgruppe ist von acht bis 80.‘ Das merk ich auf der Straße. Ich mach ja auch richtige Rock’n’Roll-Musik in Berlin, Elvis Presley und solche Dinger, richtige Auftritte, (singt ebenso unvermittelt die erste Strophe von Elvis‘ „All Shook Up“, mit Lippe). Ich mach jetzt nicht auf Sänger, überhaupt nicht auf authentisch. Westernhagen? Den hab ich einmal auf der Bühne gesehen, da war ich ganz traurig. Und das hat er auch gesehen, den mag ich ja sehr. Wir haben viel Respekt füreinander. Er hat einmal meine Rolle gespielt, in ‚Der Mann auf der Mauer‘. Da wollten eigentlich alle mich haben, aber er hatte ’nen Vertrag. Ich hab da mal das Set besucht, und er sagt zu mir: ,Du, tut mir leid, aber ich mußte das machen.‘ Der wußte, daß eigentlich alle mich wollten.“
Daran, daß sich das alles in Richtung Whisky und Mülltonne entwickelt hat, ist Zacher natürlich selbst schuld. Eine Typfrage, okay, aber das Bordstein-Image hatte er nicht von Anfang an, und heute wird er mit ein bißchen Pech komplett darauf reduziert. Die meisten Leser blättern in Zachers Buch „Endstation Freiheit“ zuerst nach den Fickgeschichten, obwohl es auf den 318 Seiten wenig schweinische Stellen gibt. Und obwohl er eigentlich nur im mittleren Kapitel über Drogen schreibt, das er und sein Lektor erstaunlich treffend „Heroin“ genannt haben. Heroin, der mittlerweile abgesunkene High-Life-Zeitvertreib der 70er Jahre.
Doch im Kern ist Zachers Leben ein Glücksritter-Roman. 1941 in Berlin geboren, im Taxi zum Krankenhaus. Dem Vater ist er nie begegnet. Flucht und Irrfahrten, auf dem Weg die erste FDJ-Mitgliedschaft, mit zehn zurück in Berlin. 1957 Blut geleckt bei einem Akademie-Kurs mit dem Pantomimen Samy Molcho. Gründung des eigenen Theaters, hastig abgebrochene Stippvisiten an verschiedenen Schauspielschulen. Die große Show riecht er als Würstchenverkäufer im Cabaret von Rolf Eden, als Kellner im „Big Apple“ darf er ab und zu Stand-up-Comedy machen. Zwischendurch, um die Mutter zu beruhigen, zwei Jahre Lehre in der Bäckerei Krause am Steglitzer Damm.
„Diese elementaren Jobs, das sind eigentlich ganz tolle Geschichten. Als Bäcker; dieses Sinnliche, die Gewandtheit, die du da bekommst, diese Umsicht und Weitsicht. Das ist ja auch kreativ. Was meinst du, wie schön das ist, Brotteig zu formen? Ich wußte ja, daß ich das nicht mein Leben lang machen werde. Ich wollte ja Schauspieler werden, also Clown. Ich hab ja mit meinem Theater schon was verdient. Meiner Mutter hab ich ’n bißchen geholfen, die hatte ja kein Geld. Die Welt ist so ’n harter Kampf- wenn du als Kind viel Liebe hattest, dann biste kräftiger, biste gewappneter, würd ich mal sagen. Und wenn du so hin- und her rast als kleiner Mensch – die Wurzeln gehen grade rein, und dann mußte schon wieder weg. Ich hab ja als Kind ein paar Monate praktisch nur im Güterwagen gelebt, hin- und hergefahren. Du merkst das als Kind ja nicht so. In Afrika, die Kinder sind so lebendig und so was von toll. Was die für ’n Lebensmut haben! Als Kind sieht man das ja nicht so.“
Reisen ohne Gepäck
Zacher bleibt ein Wurzelloser. Hamburg, wo er sich mit Künstlern umgibt, als Volontär beim Film die Stars im Cabrio des Produzenten nach Hause fahren darf und sehr stolz ist, als ihm Bernhard Minetti zum Dank einen Apfel schenkt. München, die Kinostadt der 60er, wo er mit dem späten Montgomery Clift dreht, mit Klaus Lemke, beim neuen deutschen Film, in Schnulzen und Soft-Pornos spielt. Jugoslawien, Frankreich, Italien, Spanien. Die tollen Autos, die Zacher sich leisten kann, sind vor allem Transportmittel, denn eine feste Garage zum Reinstellen kauft er sich nirgends. Im übertragenen Sinn: Er reist ohne viel Gepäck, wie auch?
„Ich bin Sternzeichen Widder, und alle Widder, die ich kenne, die hängen mit einem Bein in der Scheiße, und mit dem anderen Bein federn sie das noch ab. Du mußt dich eigentlich nur immer wieder raushauen aus dem sogenannten Depressiven. Wie’n Kind, oder wie damals auf LSD. Die Sache ist ja die: Je klüger du bist, je mehr Wissen du hast, je kultivierter und belesener du bist, umso komplizierter bist du ja. Deswegen war ich ja immer mit den Proleten zusammen, als Kind auch. Die Bürgerkinder haben mich immer verraten. Und die Arbeiterjungs waren anders. Das ist einfach so. Meine Mutter hat gesagt:, Willst du denn auch nur Arbeiter werden? Und ich hab gesagt: Mutti, was ist denn mit dir los? Guck dir mal die an und guck dir mal die an, wie die angeben. Was heißt denn ,nur Arbeiter‘? Wer soll denn die Häuser bauen? Und außerdem will ich das gar nicht.“‚ Klar ist das seine Masche, die Street Credibility. Für einen freischaffenden Schauspieler ist es nicht so komisch, sich am einen Tag als Jet-Setter und am nächsten Tag als Malocher zu fühlen, aber wenn Zacher in seinem Leben eine Sache besonders schön vorgeführt hat, dann die: daß die Bedürfnisse von Prolls und Bessergestellten am Ende des Tages dieselben sind.
Erst vor kurzem wurde ja bei soziologischen Grabungsarbeiten in Deutschland die sogenannte Unterschicht wiederentdeckt – die im Fernsehen vorgeführt wird, bei Gerichtsshows und bei „Big Brother“, von der die Politik die ganze Zeit redet, ohne ihre Sprache zu sprechen und ohne an sie heranzukommen. Zacher kennt sie. Auch das Vulgäre, Laute, Prahlerische. Er konnte nie der Held sein. Zacher hat die Früchte des Kapitalismus geerntet, aber mit ihnen gespielt wie mit Gummibällen. Und regelmäßig alle fallengelassen. Er erzählt stolz, daß sogar der Bundeskanzler mal mit ihm geredet hat, das muß so schön gewesen sein wie die Apfelübergabe mit Minetti. Ein Glück für den Zeitungsjungen, daß Zacher nur im dritten Stock wohnt.
„Wenn ich auf der Straße langgehe – ob das jetzt sogenannte einfache Leute sind, ob das halb komplizierte oder sehr komplizierte Leute sind, ob das Broker oder Ärzte, Lehrer oder Maler oder Verkäuferinnen sind, alle freuen sich. Und warum? Weil ich immer versuche, die Wahrheit zu finden. Sofern das überhaupt geht. Das spüren die Menschen. Egal, welches Auto einer fährt, egal aus welchem sozialen Bereich er kommt Im Gegenteil, die Leute, denen’s schlechter geht, die haben ’ne ganz andere Sensibilität als Menschen, die Geld haben. Die denken nur: Wer nimmt mir was weg? Ich hab auch nie richtig gemeine Menschen gespielt Vielleicht mal ’nen Zuhälter, der seinem Mädchen ’ne Ohrfeige geknallt hat Wer weiß, wieviele Leute das machen? Aber ich hab nie Kinderschänder gespielt, das hab ich abgelehnt Oder ’nen Nazi. Oder ’nen Wirtschaftsverbrecher.“
„Herr Zacher, Sie kommen in die Hölle!“
Mein Gott, vor lauter Sozialkacke fast das mit dem Ficken vergessen. In den 70ern war Zacher nämlich auch schon ein beliebter Talkshow-Gast, wegen der freien Rede. Er sprach eloquent in der Runde über Sex vor der Ehe, was dem Theologen drei Sitze weiter so stank, daß er unterbrach: „Herr Zacher, Sie kommen in die Hölle!“ „Da komm ich doch gerade her, mein Freund!“ antwortete Zacher. Heute sagt er: „Die sollen froh sein, daß wir Hippies damals den Sex erstmal entzüchtigt haben. Verstehste? Das war’n harter Kampf.“ Pause. „Aber geil, ne?“
Im Sommer 1969, bei Dreharbeiten in Spanien, fliegt Zacher mit dem roten Porsche schlimm aus der Kurve. Die Rückenschmerzen kommen immer wieder, die Morphiumspritzen halten nie lang genug. Als ein Freund ihm in größter Not Heroin zu schnupfen gibt, ist der Rücken plötzlich gut, und Zacher hat ein neues Laster gefunden, mit dem er damals im deutschen Showgeschäft relativ allein dasteht. Einmal geht es ihm beim Dreh so übel, daß die Crew von Fassbinder Feuerwehr spielt und mit dem Beutelchen anrückt Kokain. Damit kann er nichts anfangen. Im Herbst 1974 fallt er in Hamburg auf einen Spitzel rein und muß ins Gefängnis. Kommt raus, kommt wieder rein. Alles zusammengerechnet, sitzt er zwei Jahre ein. Im Winter 1979 schafft er auf Gran Canaria den Entzug, ohne Klinik, angeleitet von einem Mann, den er am Strand trifft und der angeblich der Anwalt von Van Morrison ist. „Weißt du, wie lang das dauert, sich auch erst mal psychisch zu befreien von dieser ganzen Verfolgung? Wenn du zehn Jahre drauf warst, brauchst du eigentlich 30 Jahre, um das erstmal… Jetzt denk ich darüber gar nicht mehr nach. Wenn ich in Frankfurt bin und ich bin genau an dem Platz, wo ich früher immer war, weil man da was gekriegt hat und wo die Polizei in Zivil hinter mir her war – dann muß ich denken: Wow, ist das geil, Alter! Das ist einfach’n unheimlich tolles Gefühl, wie wenn du vor einem See stehst und sagst: Hier war ich fast ersoffen, aber da bin ich rübergeschwommen. Keiner hat mir geholfen, aber ich hab’s geschafft. Das ist das Tolle.“
Mittlerweile hängt Zacher wie ein Boxer im Stuhl, hat das teure Jackett abgelegt und sich eine babyblaue Hamburg-Städtejacke übergezogen. Riesige Pranken, wenn er in die Luft greift. Schon das ist seine Show, auch wenn fast keiner zuschaut, denn hier im Hotel-Cafe tut er im Prinzip nichts anderes als auf der Bühne bei seiner Jazz-Tour. Erinnerungen nachspielen, die er an sich selbst hat Denen er auch gar nicht viel mehr Sinn abzuringen versucht, als sie damals hatten, als ihm noch der Überblick fehlte. Zum Beispiel, wie er dem Innenminister Baum bei der Bundesfilmpreis-Verleihung für „Endstation Freiheit“ (dem ersten Film nach der großen Krankheit) mehrmals die Schüttelhand wegzog und das Publikum fragte: „Soll ich?“ Daß von Zachers Kunstwerken wenig geblieben ist, daß es außer Fassbinder und Herzog keiner aus dem neuen deutschen Kino so richtig in den Kanon geschafft hat, als sich in den 80ern und 90ern plötzlich auch die jungen Filmer auf Komödien konzentrierten – darüber kann er sich nicht aufregen. Nicht mehr.
Rod Steiger sagte, er gehört nach Hollywood
„Das hab ich mal ’ne Zeit lang bedauert. Durch kommerziellen Erfolg hast du halt ’nen anderen Stellenwert. Die Börse ist’n bißchen höher, das ist eigentlich alles. Aber in Deutschland ist es so: Die machen keine Stars. Niemand ist einer, auch Herbert (Grönemeyer) nicht oder Marius (Müller-Westernhagen), als Sänger vielleicht, aber nicht als Schauspieler. Franka Potente? Gut, das kann ja sein. Aber-, ich vergeß ihr Gesicht. Ganz irre. Ich hab überhaupt nichts gegen sie, aber ich hab sie’n paar mal gesehen, und ich weiß nicht, wie sie aussieht“
Und wie war das mit Kinski? „Kinski hab ich nie kennengelernt. Er war damals ganz anders drauf, und ich war in der 68er-Szene. Ich hab ihn gesehen, im Sportpalast in Berlin. Nicht den Jesus-Auftritt, das war ja in der Deutschlandhalle, da war er schon voll auf Amphetamine. Im Sportpalast hat er so seine Dinger gebracht, so Villon (imitiert Kinski, rollend und pathetisch): ,Wenn du nicht deine dreckige Fresse hältst, dann scheiß ich dir ins Gesicht, du Arschloch, du! Und so richtig gequietscht, so was hab ich manchmal zitiert: ,Wenn da hinten nicht Ruhe ist – Kinski hätte jetzt gesagt‘ Ich hab ja nur Kinski zitiert, ich selbst würde das nie sagen. Aber Kinski war so einer, der hatte keine Sensibilität für Entgleisungen. Dabei konnte der so charmant sein.“
Rod Steiger, mit dem Zacher 1981 in „Der Zauberberg“ spielte, soll hinterher gesagt haben, daß ein Typ wie er eigentlich nach Hollywood gehöre. Nicht, daß es ein konkretes Angebot gegeben hätte. Aber Zacher hat ja schon immer Sachen auf gut Glück gemacht. „Wenn einer beim Casting fragte: „Kannst du auch reiten?“ – dann sagte er ja, weil man alles schnell noch lernen kann.
„Ich bin auch mal nach Hollywood, da hab ich meine Tochter besucht (Anna, deren Mutter Martina den Millionärssohn Paul Getty III geheiratet hatte). Da sagte ich mir: Besuch ich doch mal den Eichinger im Büro, den Berndl kenn ich ja von ganz früher. Und ich komm hin und denk mir: Hier weht ja ein Wind! Da mußte ich erst mal anderthalb Stunden warten. Dann war ich noch beim Emmerich, der war in meiner Klasse gewesen, als ich Dozent an der Filmhochschule war. Und Emmerichs Schwester sagte zu mir: ,Rolf, bleib hier! Was willst’n da in Deutschland? Ich stell dich allen vor, zu uns kommt Brian de Palma.‘ Aber ich hatte irgendwie dieses ganze… (macht ein katzenhaftes Maunzgeräusch). In Hollywood will ja jeder zum Film, mich hat das erschreckt Und dann war ich noch zweimal fast überfallen worden. Das war mir irgendwie alles too much, dieses harte Ding.“
Schließlich gab es auch positive Gründe, um daheim – angesichts der erbärmlichen Spielfilmbücher – besser Fernsehserien zu drehen. „Tatort“,, ,Knastmusik“, „Büro Büro“.
„Nach der schwierigen Zeit in meinem Leben kam ich auch von meinem Virtuosentrip runter. Ein Kollege hat mir gesagt: ,Du mußt Serien machen. Seit ich Serien mache, passiert mir gar nichts mehr, weil alle mich kennen.‘ Und ich hatte eh jahrelang noch so ’nen Horror, wieder verhaftet zu werden. Da hab ich mir gedacht, paßt gut rein, und dann hab ich ’ne Serie gemacht, und dann haben mich die Leute erkannt Da haste gar keinen Arger mehr. Bei mir ist das so: Wenn ich mal in München kurz zum Flughafen muß, dann fahr ich am Streifenwagen vorbei und geb richtig Gas, überhol die rechts, wenn’s geht. Dann kommen die hinterher, und dann erkennen die mich. In jedem Polizeiwagen in Deutschland ist einer, der mich erkennt Die sagen dann (spricht hinreißend breites Bayrisch): Ja mei, dös is ja der Zacher, Wahnsinn!‘ Und ich sag: Jungs, jetzt nicht lange reden, Blaulicht, tatü tata, Flughafen!‘ Und die: Ja freilich, des mach mer!‘ Und das, obwohl ich Preuße bin.“
„Lass das Glas doch fallen!“
Zachers Welt: Die einfachen Leute lieben ihn, die Vernünftigen haben ihn sowieso längst aufgegeben. Ein Working Class Hero, dem alle Wut abgeht, weil er zur Not ja alles hat. Zacher wünscht gern einer Oma auf der Straße einen schönen Tag, weil die sich ja auch dann drüber freut, wenn sie ihn nicht erkennt. Soll vorkommen.
„Die Kids sollen mal probieren, jung zu bleiben. Ist mein Ernst. Erwachsensein heißt ja auch: vielen Leuten in den Arsch zu kriechen. Diese Wichtigtuerei. Wenn ein Glas runterfällt – laß doch fallen! Wenn ich auf der Bühne bin, kippt mir öfter mal so’n Glas weg. Das genieß ich. Und dann fallt das so vor die Zuschauer, und die finden das natürlich total prima. Das sind Kleinigkeiten, aber das ist ja gerade das, was das Leben irgendwie geil macht“
Das endgültige Schlußwort ruft Zacher erst hinunter, als er die Treppe zum Zimmer schon halb oben ist. Einen guten Rat. Einen Beweis dafür, wie souverän man als kindlicher, körper- und geistesbewußter 64jähriger unter den Barrieren des Alltags hindurch den großen Limbo tanzen kann. „Immer dran denken: Langsam vögeln!“
Die Vögel antworten ihm
Und ein allerletztes Mal geht es um den Papst, der vor 21 Stunden gestorben ist. Erzbischof Werner Thissen ist auch im NDR- Fernsehstudio, aber leider darf Zacher nicht mit ihm sprechen. Zwischen Filmbeiträgen über Schnäppchenjäger auf dem Flohmarkt und einen Professor Bergmann, der das Finkenmännchen studiert, sitzt er mit der „DAS!“-Moderatorin Bettina Tietjen auf dem roten Sofa, und nach dem Finkenfilm fragt sie ihn hundertprozentig erwartungsgemäß, ob er sich mit Vögeln auskenne. Zacher erzählt vom Hinterhof eines Hamburger Freundes, wo er immer pfiff, bis die Vögel ihm antworteten, wie dem Franz von Assisi, ergänzen die Zuschauer im Kopf. Er lacht, denn wie schön wäre es gewesen, wenn sie das mit dem Vögelthema nicht vorher abgesprochen hätten. Aber Zacher muß ja nicht immer. Hauptsache, er kann, wenn er mag.
Der nächste Hammer hat ihn selbst überraschend getroffen. Am 11. Mai hat nämlich im Berliner Columbia Club die deutsche Version des australischen Musicals „Gabba Gabba Hey!“ Premiere, ein Tanztheater zur Musik der Ramones, eine auf Deutsch vom romantischen Splatter-Regisseur Jörg Buttgereit inszenierte Stinkefinger-Replik auf „Abbamania“, und Rolf Zacher macht mit. Er wollte immer auf die Bühne, jetzt lassen sie ihn so richtig, weil Martin Semmelrogge nicht kann. War ja auch irgendwie seine Rolle, könnte Zacher denken, der alte Punkrocker (als die erste Ramones-Platte kam, war er 36 und voll auf Heroin). Semmelrogge, wieder im Gefängnis, konnte nicht pünktlich zum Musicalstart vom westfälischen Attendorn in eine Berliner Anstalt verlegt werden, es wird nichts mit dem abendlichen Freigang. Erst ein paar Tage zuvor hat Zacher von seinem Glück erfahren, er lernt schon die Lieder auswendig. „Martin, mach’s gut!“ prostet er mit dem Wasserglas in die Kamera. „Der sieht bestimmt fern!“
Die größte Freude machen die NDR-Leute ihm, als sie am Ende eine nette Frau von der Tanzschule hereinführen. Über den Sende-Abspann tanzt Zacher Partner-Rock’n’Roll, „Rock Around The Clock“. Die unverwüstliche Ermenegildo-Zegna-Hose! „Wow, das sah jetzt aber sehr geschmeidig aus“, sagt die Moderatorin. Aber in der Working Class des Rolf Zacher gibt es eh nur geschmeidige Arbeit.