New Noises
Willkommen im "„New Noises"-Club: Ein Freigeist singt den Gospel, ein Junge namens Antony gib die gefallene Diva, ein Berliner macht auf Rat' Pack'Crooner, Kanadier schunkeln mit dem Akkordeon auf der New Wave und drei schwedisch'Schweizer Bohemiens sitzen an der Theke.
01 Bleiben Sie dran, Sie befinden sich nicht auf einer 60s-Girlgroup-Compilation, sondern auf unserer neuen JVew Noises“. „Since You Stole My Heart“ klingt zwar, als hätte man es schon seit Jahren in seinem Plattenschrank, doch es stammt von Fred Thomas, dem ganz sicher Beach Boysund Shirelles-hörenden Songschreiber des Musikerkollektivs SATURDAY LOOKS GOOD TO ME aus Detroit und befindet sich auf dem neuen Album „Erery Night“. Das letzte Album hieß übrigens ^411 Your Summer Songs“ – doch auch „Every Night“ wird an den sonnigen Tagen dieses Jahres gute Dienste leisten. Allsummer lang!
02 Für Regen gibt’s dann ja immer noch THE KILLERS, deren Jenny Was A Friend Of Mine“ schon anfangt, als gehöre es in den „Blade Runner“-Soundtrack – nur um dann in Richtung Duran Duran abzudrehen. Trotzdem komisch, daß man bei 80er Referenzen gleich an Regen denken muß – wahrscheinlich weil er so sauer war. Das war auch Killers-Sänger Brandon Flowers, nachdem er beim Konzert in Hamburg aufgrund einer Grippe passen mußte und Fans auf die Bühne bat, die seine Songs statt seiner singen sollten. Das ganze endete im Debakel, und er ließ abbrechen. Die restlichen Deutschland-Konzerte waren jedoch ein voller Erfolg – ebenso wie ihr Debütalbum „Hot Fuss“, mit dem die Band aus Las Vegas den Durchbruch schaffte.
03 Auch THE ARCADE FlRE aus Montreal graben auf ihrem ziemlich feinen Debüt „Funeral“ tief in der Musikhistorie herum und mischen New Wave mit Chanson-Elementen, Streichern und Akkordeon. Das Album erzählt die Geschichte des 15jährigen Alexander, der von zu Hause ausbüchst. In „Neighborhood #2 (Laika)“ erzählen die Geschwister: „When daddy comes home you always statt a fight/ So the neighbors can dance in the police disco lights/ The police disco lights/ Now the neighbors can dance/ Look at ‚em dance.“ Es darf getanzt werden.
04 Einer der charmantesten Beiträge dieser „New Noises“ ist wohl die
Verliererhymne „Not On Top“ des in Paris beheimateten schwedisch-Schweizer Trios HERMAN DUNE. Schon ihre letzten Alben waren wundervolle Skurrilitäten
zwischen Will Oldham und Aki-Kaurismäki-Film-Soundtrack. „There’s 67 better ways to make some sense. Yeah, whatever.“ Hängerlyrik zum Wohlfühlen. Zur Zeit sind Herman Düne, die aussehen, als seien sie direkt aus „Das Leben der Boheme“ entsprungen, wieder live unterwegs. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.
05 „Im gonna watch die blue birds fly over my shoulder/ Fm gonna watch them pass me by/ Maybe when Fm older/ What do you think I’d see/ If I could walk away from me“, diese Zeilen stammen aus „Candy Says“, Lou Reeds Ode an den Warhol-Superstar Candy Darling. Auf dem Cover von ,J Am A Bird Now“, dem zweiten Album von ANTONY & JOHNSONS, sehen wir Candy auf ihrem Sterbebett liegen. Die Thematik der Songs ist damit schon umrissen: Das Leben und Sterben im falschen Körper. Antony begann seine Karriere mit Cabaret-Auftritten im New Yorker Pyramid-Club, tourte mit Lou Reed, sang auf dessen „The Raven“ und dem Live-Album Animal Serenade“ mit. Auf letzterem gibt er (natürlich!) „Candy Says“.
06 Wenn man aus Ulm nach Berlin zieht, muß man vielleicht seine Vorstellungen vom Metropolenleben irgend wie ausschwitzen. Seinen Namenin MARTIN DEAN umändern, sich als quarzender Bohemien inszenieren, zu Beatbox, Orgel und Frauenchören den Crooner geben. Warum nicht? First we take Gögglingen, then we take Neukölln. Das Album, auf dem sich Martin Deans Mayfield-Cover „Just A Little Bit Of Love“ befindet, heißt „The Best Of Martin Dean“. Sie werden jetzt lachen, aber der Titel ist Programm.
07 Das ist er auch beim neuen FINK-Album „Bam Bam Bam“. Reduktion und Repetition sind die Stichwörter. Samples, Beats, Verfremdungen. Trotzdem kommen die liebgewonnenen Fink-Qualitäten nicht zu kurz, wie man auf dem exzellenten „Durchreise“ hören kann. Der Gospel eines Ungläubigen. „Wir reisen hier nur durch und nehmen nichts mit/ Den Himmel sehen wir uns an, hier und jetzt/ Die Reise geht nur hin und nicht zurück“, raunt der transzendental obdachlose Sänger Nils Koppruch hier.
08 Wo wir schon in Hamburg sind, können wir auch gleich noch bei KETTCAR vorbeischauen, die mit ihrer Plattenfirma Grand Hotel Van Cleef nur wenige hundert Meter entfernt von Koppruchs Atelier residieren. Kettcar haben mit „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ den Nachfolger mit überaus erfolgreichen „Du und viele von deinen Freunden“ fertig, mit dem sie die neue deutsche Gitarrenpop-Mitte sicher sehr gut verteidigen werden. Dabei sind sie in ihrer Umständlichkeit ähnlich anrührend wie „Balu“, der Bär aus dem, „Dschungelbuch“, der dem zentralen Stück des neuen Albums auch den Namen gab.
09 Kommen wir von Balu zu einem anderen Großen des gewaltlosen Widerstands: „Ghandi“. Der gleichnamige Song hat allerdings durchaus aggressive Untertöne. Und auch, wenn es genau so klingt: Es ist nicht PJ Harvey, die da singt, sondern die australische Songwriterin ANNE McCUE, die unter anderem von Lucinda Williams hoch geschätzt wird. Wenn man die anderen, eher rootsigen Songs ihres internationalen Debüts „Roll“ hört, weiß man auch warum.
10 BENNY SINGS ist nicht der Name einer ABBA-Coverband a la Björn Again, auch wenn man das zunächst meinen könnte. Benny Sings ist ein junger, wuschelköpfiger Songwriter und Multiinstrumentalist aus Den Haag. Auf seinem zweiten Album „I Love You“ spielt er seinen Soulpop, der an einigen Stellen an Phoenix erinnert, live mit einer zehnköpfigen Band. Und das swingt – auch wenn Benny Sings mal nicht gewinnt.
11 Als Tobias Kuhn, Sänger der Regensburger Gitarrenband Miles, seine ruhigere Songwriting-Seite unter dem Namen MONTA auf dem Album „Where Circles Begin“ zeigte, wurden plötzlich auch die Kritiker ganz still, denn man wurde Zeuge äußerst versierten Songwritings mit großem Pop-Appeal. Das Album wurde nicht nur kommerziell weitaus mehr als ein Achtungserfolg. Passend zur Tour, die bereits Mitte März begann, gibt es hier den noch unveröffentlichten Track „Coma“, der ein bißchen an Preston School Of Industry erinnert.
12 Baß, Klavier und Beatbox – mit ganz einfachen Mitteln spielen Oliver Minck und Benedikt Filleböck alias WOLKE aus Köln ihre deutschsprachigen Songs. Einige der Stücke auf ihrem Album „Susenky“ hat das Duo schon auf dem selbstproduzierten „Heimspiel“ von 2003 in üppigeren Versionen eingespielt. „Susenky“ haben die beiden in Prag aufgenommen, im Studio des Cellisten Pavel Jedla, der die beiden in Köln im Konzert sah und in seine Heimatstadt einlud. Dir Album benannten sie nach einer tschechischen Keksspezialität. Susenky, das sind die Plätzchen mit der Marmelade in der Mitte.