Ein Außenseiter aus Überzeugung: Zum Tod des britischen Musikers, Malers und Schriftstellers Kevin Coyne, der in seiner Wahlheimat Nürnberg starb
Am Ende hat er seinen Frieden gefunden, der zornige junge Mann von einst. Die Wut auf die Verhältnisse verwandelte sich in die Altersweisheit, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Kevin Coyne, der Engländer in Nürnberg, der in den 70er Jahren fest ein Popstar geworden wäre, passte in keine Schublade. Er blieb bis zum Schluss ein Außenseiter aus Überzeugung. Ein armer Irrer, dem künstlerische Glaubwürdigkeit wichtiger war als kommerzieller Erfolg. Vom Kritikern gelobt, von einer weltweit verstreuten Fangemeinde geliebt vom großen Rest völlig unbeachtet Im Alter von 60 Jahren ist Coyne, der an einer schweren Lungenkrankheit litt, in seiner Wahlheimat Nürnberg gestorben. Sein Tod verschaffte ihm noch einmal die Aufmerksamkeit, die er sich für seine Arbeit manchmal gewünscht hätte.
Bis zuletzt arbeitete der Mann mit der Figur eines Stehaufmännchens wie ein Besessener, schrieb Gedichte und Kurzgeschichten, malte Bilder und gab noch Konzerte, obwohl er sich ohne Sauerstoffgerät kaum mehr bewegen konnte. Kunst war für ihn buchstäblich ein (Über-)Lebensmittel.
Kevin Coyne, 1944 in einer Arbeiterfamilie im mittelenglischen Derby geboren, trat nach dem Studium an der Kunsthochschule eine Stelle als Beschäftigungstherapeut am Whittingham Hospital an. Die Erfahrungen dieser Jahre waren für seine künstlerische Entwicklung ebenso entscheidend wie die Zeit im Londoner Problem-Viertel Soho, wo er als Sozialarbeiter von 1969 bis 1971 junge Arbeitslose und Alkoholiker betreute. „Der Umgang mit so genannten Verrückten hat meine Arbeit sehr beeinflusst. Ich fand es immer sehr erstaunlich, wie kreativ diese Leute sind, wenn man sie nur dazu ermuntert.“
Viele von Coynes Songs und Stories kreisten um die Frage: Was ist normal, was verrückt? Auf der Bühne erweckte er als keckernder Kobold mit vielerlei Stimmen diese liebenswert verrückten Figuren zu neuem Leben. Kein Geringerer als der ebenfalls kürzlich verstorbene John Peel entdeckte den Rock-Exzentriker mit dem Blues-Feeling: Unter dem Bandnamen Siren nahm Coyne zwei Langspielplatten für Peels Plattenfirma Dandelion auf, 1972 folgte sein erstes Solo-Album, „Case History“. Es wurde in nur drei Stunden eingespielt und präsentierte Coyne erstmals als „singenden Sozialarbeiter“ – ein oberflächliches Etikett, das aber lange an ihm kleben sollte.
1973 wechselte der untypische Star zu der jungen, noch risikofreudigen Plattenfirma Virgin. Zum Einstand erschien das Aufsehen erregende Doppelalbum „Marjory Razor Blade“, auf dem Coyne die unglamourösen Themen seines ersten Solo-Albums erneut aufgriff!
In den folgenden Jahren festigte Coyne mit wechselnden Partnern (von Zoot Money bis Bob Ward, von Andy Summers bis Dagmar Krause) seinen Ruf als musikalischer Einzelgänger und Querkopf, der konsequent am Markt vorbei produzierte. Seine Platten wurden ständig gelobt, aber wenig gekauft. Süffisant und selbstironisch sang Coyne auf „Millionaires & Teddy Bears“ vom „Albtraum, in einem Zimmer voll goldener Schallplatten aufzuwachen“.
Tourstress und Erfolgsdruck waren für einen ausgeprägten Individualisten wie ihn auf Dauer Gift. Als er auf dem Höhepunkt einer persönlichen Krise Mitte der 80er in Deutschland hängenblieb, war Coyne eine mehr schlecht als recht lebende Legende, die ihren Ruf nach Kräften selbst zerstörte. Ausgerechnet in Nürnberg fand Coyne wieder zu sich selbst und bekam seine Alkoholprobleme endlich in den Griff.
Der Workaholic gewann seinem Leben zwischen zwei Ländern und sämtlichen Stühlen die positiven Seiten ab. Er gründete die Paradise Band, ging immer wieder mit jungen Musikern – darunter auch seine Söhne Robert und Eugene – ins Studio und auflburnee, veröffentlichte Platten und Bücher und widmete sich verstärkt der Malerei. Die Stadt Nürnberg ehrte Kevin Coyne 1992 mit ihrem großen Kulturpreis, der Fernsehsender Arte widmete ihm einen eigenen Themenabend.
Aus der sicheren Distanz der Provinz beobachtete Kevin Coyne den internationalen Rock-Zirkus eher amüsiert als frustriert. Gern erzählte er immer wieder die (wahre) Anekdote, dass er nach dem Tod von Jim Morrison als Ersatzmann bei den Doors im Gespräch war. Er habe aber keine Lust gehabt, sich bis an sein Lebensende in Lederhosen zu blamieren. Sänger, „die nur die richtigen Geräusche machen“, verabscheute er. Der Mann mit der leidgeprüften, lebenserfahrenen, liebeskranken Stimme wollte die Zuhörer in ihrem Innersten treffen. Oft an der Schmerzgrenze. Zu künstlerischen Kompromissen war der intellektuelle Fußball-Fan und begeisterte Fern-Seher, der zurückgezogen in einer kleinen Mietwohnung lebte, nicht bereit: „Was ich im Laufe meines Lebens begriffen habe, ist die Tatsache, dass wir Menschen am Ende allein sind. Jeder ist für sein Leben allein verantwortlich. Diese Grunderfahrung, dieses Gefühl der Isolation, der Einsamkeit bestimmt meine Arbeit. Über das Internet erreichen mich täglich wundervolle E-Mails aus der ganzen Welt. Aber ich brauche das nicht Ich würde auch singen, wenn mir niemand mehr zuhört. Ich glaube, ein Künstler kann gar nicht anders. Er muss tun, was er tut.“
In einem Interview wenige Stunden vor seinem Tod zog Coyne eine versöhnliche Bilanz: „Erfolg bedeutet für mich, dass es ein paar Leute gibt, denen meine Arbeit gefallt. Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn ich in der Hitparade landen würde. Aber das ist halt nicht passiert. Hits machen nicht glücklich. Ich bin zufrieden.“
All seine Werke durchzieht neben einer sozialkritischen Ader ein hintersinniger, rabenschwarzer Humor. Seine Zeichnungen und Bilder haben eine Menge mit Comics und Cartoons zu tun, viele seiner Texte stehen in der Tradition englischer Nonsense-Literatur. „Die Kunst, aber auch Humor und Gottvertrauen helfen einem dabei, die Absurdität des Lebens auszuhalten. Ich denke jeden Tag über den Tod nach, aber ich habe noch so viel zu tun. Die Dunkelheit – oder was immer als nächstes kommt – ist näher, als man denkt. Aber ich habe ein spirituelles Vertrauen, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht. Das gibt mir Kraft.“