Mehr Songs über Bärte und Mädchen
Ihrer strengen religiösen Erziehung zum Trotz haben sich die Kings Of Leon mittlerweile mit dem vermeintlich teuflischen Rock'n'Roll-Lifestyle recht gut arrangiert
Fangen wir mit dem Wichtigsten an: Die Bärte sind ab. Nur nicht bei Schlagzeuger Nathan, der sich von der wuchernden Gesichtsbehaarung noch nicht trennen konnte. Während er mittlerweile aussieht wie der freundliche Soziologiestudent von nebenan, erinnern Caleb, Jared und Matthew an die Halbwüchsigen, die früher nach der Schule in den elterlichen Garagen an ihren Mofas rumschraubten.
Wir befinden uns auf dem Zeltplatz hinter der Bühne des Festivals in Haldern am Niederrhein, wo der paramilitärische Tour-Manager der Kings Of Leon Besucher vor einer Art Bundeswehrzelt empfangt und einem seine vor Coolness kaum laufen könnenden Jungs vorstellt Als dann allerdings Paul Wellers Tourmanager erscheint, um den Kings den halbwüchsigen Sohn (!) des Modfathers vorzustellen und die ehrfürchtig und leicht buckelnd seine Hand schütteln, ist die ganze toughe Rock’n’Roll-Aura futsch. Auch wenn alle Beteiligten in den nächsten Minuten nichts unversucht lassen werden, um diese wieder herzustellen.
Ich darf mit Caleb sprechen, dem schmalen Jungen mit der Mädchenfrisur, der Jeansweste und der großen Stimme. Wir fangen natürlich mit der wichtigsten Frage an: Wo ist denn der Bart geblieben? Ein gequältes Lachen meines Gegenübers. „Der stört beim Knutschen“, knurrt er. Dann ist also alles in Ordnung in Liebesdingen? Das Album lässt ja anderes vermuten, schließlich heißt es ja „Aha Shake Heartbreak“… „Machst du Witze? Wir sind auf Tour, da herrscht kein Mangel (lacht). Aber im Ernst: Gerade auf Tour gibt es ja besonders viele Abschiede. Jeden Abend – oder Morgen eigentlich. Und außerdem können einem ja nicht nur irgendwelche Mädchen das Herz brechen, auch Freunde können das, oder die Sehnsucht nach der Heimat auf langen Tourneen.“
Es ist schon erstaunlich, wie die drei Brüder Caleb, Jared und Nathan Followill, die bis zu ihrem 14. Lebensjahr keine Berührung zur Popkultur hatten und stattdessen mit ihrem streng religiösen Predigervater durch den Süden der USA reisten, so schnell ins Rockstar-Klischee hineingewachsen sind (ihr Cousin Matthew steht ihnen da vermutlich in nichts nach). Caleb erzählt von Groupies, Drogen und dem wahren Rock’n’Roll, und sein Frauenbild könnte die ein oder andere Korrektur vertragen. Aber er ist sich der Klischees, in die die Kings Of Leon ab und zu reintappen, durchaus bewusst „Klar wird man schnell in eine Schublade gesteckt Aber es ist ja auch cool, ein Rockstar zu sein. Nur diese ganze Südstaaten-Geschichte, mit der wir immer konfrontiert werden: Creedence Qearwater Revival, Lynyrd Skynyrd und so. Wir hatten noch nie was von diesen Bands gehört, als wir unser erstes Album aufnahmen. Danach haben wir uns das natürlich mal reingezogen, und ich konnte die Vergleiche nicht ganz nachvollziehen. Vielleicht waren es auch einfach nur die Bärte (lacht). Aber die sind ja jetzt ab. In letzter Zeit haben wir viel mehr Hip-Hop, R&B und alten New Wave gehört als irgendwelchen Southern Rock. Ich liebe beispielsweise die Talking Heads.“ Was man „Aha Shake Heartbreak“ aber nicht wirklich anhört.
Vielleicht ist das ein Fall fürs Fremdenverkehrsbüro von Nashville: Die Kings Of Leon hatten ihre halbe Jugend lang nichts mit Rock zu tun, benehmen sich aber wie Rockstars aus dem Bilderbuch, sie haben niemals Southern Rock gehört, spielen ihn aber aus dem Effeff. Da muss irgendwas in der Luft liegen in Tennessee.
Seit der Veröffentlichung von „“Youth And Young Manhood“ haben die Kings allerdings mindestens ebenso viel Zeit in Großbritannien verbracht, wie zu Hause. „Die ganze Aufregung startete in England, und zu Haus in Tennessee kannte uns kaum jemand. Ich weiß noch, wie ich in einer Tankstelle in der Nähe von Nashville stand, und da kam so’n schräger Typ an und meinte: ‚Hey, bist du nicht einer von den Kings Of Leon?‘ Da wusste ich, dass wir’s auch in den Staaten schaffen werden. Erst kennen dich die Freaks und dann alle anderen auch.“
„Aha Shake Heartbreak“ ist nun das typische zweite Album. Wie bei den Strokes und bei den Libertines zündet es nicht sofort, ist aber in seinem Ansatz breiter und variabler. „Da ist alles drauf, was wir in den letzten Monaten so aufgelesen haben, die Musik, die wir gehört haben, die lange Tour, die Mädchen, die wir getroffen haben, und die Freundschaften, die wir geschlossen haben.“
Die Mädchen finden sich natürlich vor allem in den Texten wieder, da gibt’s das selbstbewusste „Dale Blues“: „Girls are gonna love the way I toss my hair/ Boys are going to hate the way I sing“, und die schwächeren Momente wie den Erektionsproblem-Blues „Soft“. „Wir haben dieses Mal auch über Sachen geschrieben, für die wir uns schämen und die wir normalerweise nicht erzählen würden. Es gibt Songs über Schlägereien, Songs über Liebe und halt auch Songs darüber, dass du keinen hoch kriegst Es klappt ja nicht immer. Auch die Brüste der schönsten Frau stinken manchmal.“ Als Musikjournalist der alten Schule kann man da natürlich nicht mitreden, lächelt verlegen, sucht am Abend nach dem Interview verwirrt Zuflucht in seiner mit Vinylregalen tapezierten Ein-Zimmer-Bude und nimmt noch einen Löffel Kodein, bevor man alleine einschläft.
Freundschaften schlössen die Kings in letzter Zeit vor allem mit anderen, naja: Rockstars. „Ich habe z.B. Adam Green gefragt, ob er mir nicht einige Tipps geben kann, wie man gute Songs schreibt“ Ausgerechnet Man kann sich kaum vorstellen, dass die Kings Of Leon putzige Songs wie „Bluebirds“ oder knifflige Sachen wie „No Legs“ singen, die man nur dem dackeläugigen Adam Green nicht übel nehmen kann, ohne dass man vermutet, „Weird Al“ Yankovic steckte dahinter. Aber Adam tat das einzig Richtige: „Er gab mir zwei Platten von Townes van Zandt: ‚Our Mother The Mountain‘ and ‚The Late Great Townes van Zandt‘. Wir hören das manchmal nachts im Tourbus. Unglaublich gut. Heavy Stuff.
Die Strokes, Ben Kweller und Conor Oberst von den Bright Eyes gehören ebenfalls zu den Freunden der Kings. Und alle wohnen mittlerweile in New York. Doch auf Caleb wirkt die Metropole nicht so inspirierend: „Wir wohnen in der Nähe von Nashville an einem See. Das ist der See, an dem auch Johnny Cash gelebt hat Nur da kann ich Songs schreiben, wenn ich so weit gucken kann, wie mein Auge reicht. Ich brauche die Landschaft, in der ich aufgewachsen bin, um die Dinge, die ich in den großen Städten erlebt habe, zu verarbeiten.“ Auch ein Klischee, aber ein schön sentimentales. So wie eine Postkarte mit einer staubigen Straße, die Richtung Sonnenuntergang führt. So wie die Luftaufnahmen von Alvin Straight in David Lynchs „Straight Story“, wenn er mit seinem Rasenmäher durch den Mittleren Westen der USA fährt. So wie „Aha Shake Heartbreak“.