Die Downloads aus dem Tagebuch
Web-Tagebücher, auch "Blogs" genannt, sind bereits eine Geißel der Menschheit. Die MP3- Blogs kommunikationsfreudiger Musikfans hingegen entpuppen sich oft als wahre Fundgrube.
Schon gehört? Das Internet ist ein idealer Kommunikations- und Vertriebskanal und das, bitte die Ohren spitzen, insbesondere auch für Musik. Denn wo sonst könnte eine Band oder ein Label so viele potenzielle Hörer zu so geringen Kosten erreichen. Plattenfirmen wie Künstler veröffentlichen deshalb seit geraumer Zeit kostenlose Musik-Downloads auf ihren Webseiten und nutzen so das World Wide Web zu Promotion- und Marketingzwecken. Gesammelt und bestenfalls auch rezensiert werden alle diese Angebote jedoch nur von wenigen Seiten, wie zum Beispiel durch das deutschsprachige Portal tonspion.de. Allerdings handelt es sich hierbei wohlgemerkt immer um entsprechend lizenziertes Material der jeweiligen Urheber. Nicht nur in dieser Beziehung schlagen die so genannten MP3-Blogs einen neuen Weg ein.
Unter einem Blog wird grundsätzlich eine Art öffentliches Online-Tagebuch verstanden. Das Netz ist voll davon, und wer erfahren will, wie es um die Seelen von Zigmillionen Menschen gerade so bestellt ist, liest einfach deren jeweilige Einträge. Im Gegensatz zu solchem eher mediokren Gedankengut gibt es allerdings auch gut besuchte Blogs von beispielsweise Wissenschaftlern, Journalisten oder Musikern. Aufgrund der zumeist hohen Qualität der Beiträge stellen diese eine gute Adresse dar, um sich zu verschiedenen Themengebieten kompetente Meinungen einzuholen. Ein MP3-Blog hat Ähnliches im Sinn: Der Betreiber äußert sich dezidiert und wissend über ein nicht zu weit definiertes musikalischem Umfeld und stellt – Achtung! – auch einige Songs zum direkten Download von einem Server bereit. Zumeist jedoch ohne Erlaubnis der Künstler. Ohne Zustimmung der Plattenfirma. Ohne überhaupt mal jemanden gefragt zu haben.
Doch die obligatorischen Klagen der Musikindustrie sind trotz Kenntnisnahme der MP3-Blogs bislang ausgeblieben.
Oliver Wang, ein 32-jähriger Discjockey aus San Francisco, ist so ein MP3-Blogger. Er besitzt rund 7000 Platten, fühlt sich zwischen Soul, R&B und HipHop pudelwohl und ist der Meinung, dass es darüber zu wenig fundierte und leicht auffindbare Wissensquellen gibt. In seinem mittlerweile stark frequentierten Blog „Soul Sides“ (siehe Kasten) bietet Wang Rares und Klassisches von unter anderem Ray Charles, Al Green oder Big Daddy Kane zum Runterladen an – und zwar jeweils gepaart mit ausführlichen Besprechungen und historischen Informationen zu jedem Stück. Das ist – nüchtern betrachtet – ein journalistischer Service, den sich die Autoren normalerweise teuer bezahlen lassen. MP3-Blogs aber sind vollkommen kostenfrei und entstehen zumeist aus Idealismus und einem gewissen Drang zur Selbstdarstellung. Und weil die Blogs frei zugänglich sind, kann sich jeder, so er denn will, nicht nur musikalisch weiterbilden, sondern sich auch gleich die entsprechenden Songs anhören. Der Blogger wiederum postet im Gegenzug häufig Verweise auf die Künstler-Homepages oder eine Bezugsquelle für die entsprechenden Tonträger.
Insbesondere kleinere Labels, die kein großes Werbebudget haben, senden bisweilen schon Promo-CDs an bekannte Blogger. Die Hoffnung, eventuell einen Eintrag auf der jeweiligen Seite zu bekommen, verspricht kostenlose Promotion an genau der richtigen Stelle. Denn die Leser insbesondere spezialisierter Musik-Blogs sind zumeist auch Fans der jeweiligen Genres und durchaus bereit, eine Band bei Gefallen auch zu unterstützen. Das ganze System setzt dabei auf die Glaubwürdigkeit des „Von Fans für Fans“-Prinzips. Wohl nicht zuletzt deshalb hat es sich Warner Music in den USA mit der MP3-Blog-Gemeinde gehörig verscherzt. So schickte die Plattenfirma an insgesamt acht Blogs einen Song der noch unbekannten Warner-Band The Secret Machines – natürlich verbunden mit der Bitte, das Stück zu berücksichtigen. Die Blog-Betreiber winkten ob des zu kommerziellen Titels jedoch ab. Als Warner dann auch noch in dem geschätzten MP3-Blog „Music for Robots“ angebliche Fanpostings über die Gruppe vortäuschte, war die Geduld der Web-User dann doch vorbei. Als „bestenfalls plump, schlimmstenfalls hinterlistig“ wurde der Fehlgriff der Plattenfirma abgewatscht. Deutsche MP3-Blogs sucht man im Web übrigens bisher noch vergeblich. Kein Zufall: Das Risiko, sich aufgrund nicht lizenzierter Downloads hierzulande eine Klage einzuhandeln, erscheint vielen Usern derzeit noch zu hoch.