Gruppentherapie mit Krach

Der Dokumentarfilm "Some Kind Of Monster" zeigt, wie Metallica das Gezänk bei der Aufnahme ihres Albums "St.Anger" überstanden

Er knallt die Tür des Aufnahmestudios zu und ist ein Jahr lang verschwunden. Als James Hetfield zurückkehrt, sieht er aus wie nach einer Gehirnwäsche. Das Haar ist sauber gescheitelt, der Bart akkurat gestutzt Er trägt jetzt eine Brille und spricht mit ruhiger Summe. „Das war der wichtigste Abschnitt in meinem Leben“, wird Hetfield am Ende gefasst resümieren.

„Some Kind Of Monster dokumentiert einen Prozess, der in dieser Form wohl einzigartig ist, im Grunde aber auf viele Bands zutrifft. Der Film ist das Porträt von Menschen, die fast 20 Jahre zusammen sind, und von Musikern, die rund 85 Millionen Platten verkauft haben, als 2001 die schwierigste Phase ihrer Karriere beginnt Der Bassist Jason Newsted verabschiedet sich von Metallica und lässt damit unter dem verbliebenen Trio schon seit langem schwelende Konflikte eskalieren. „Wir bemerkten, dass wir uns in der ganzen Zeit nie richtig kennengelernt haben und eigentlich gar nicht miteinander klar kamen“, erzählt Schlagzeuger Lars Ulrich. Um die Aufnahmen für ein neues Album mit ihrem Produzenten Bob Rock als vorläufigem Ersatzbassisten wie geplant durchziehen zu können, holt ihr Management Q-Prime den Therapeuten Phil Towle hinzu – für 40 000 Dollar im Monat Er wird den Job drei Jahre machen.

Der sanft wirkende Wichtigtuer analysiert in den Sitzungen bedeutungsvoll, sie müssten sich ihrer Angst stellen, weil dahinter etwas Geniales stecken kann. Er bringt die drei dazu, gemeinsam an den Songtexten zu schreiben, die sonst nur vom Sänger James Hetfield stammen. Wie Schulbuben sitzen sie mit Block und Bleistift auf der Couch. „Müssen wir da hin?“ mosert schließlich Hetfield. „Können wir den nicht einfach rausschmeißen?“

Und die Kamera ist immer dabei. 1600 Stunden Film belichteten Joe Berlinger und Bruce Sinofsky, von denen 139 Minuten übrig geblieben sind, mit bemerkenswerten Momenten und Geständnissen über Schuldgefühle, wenn ihre Kreativität stockt, tief sitzende Selbstzweifel, Egos, Eitelkeiten, Druck. Erst wirkt der Film (ab 26.8.) wie ein Altar, mit triumphalen Konzertaufnahmen, Star-Posen, protzig aufgelisteten

Fakten und Ulrich im Sportwagen, der grinsend von Rebellion redet. Rock erläutert, dass sie ein kleines, spartanisch eingerichtetes Studio gemietet hätten, damit „der Sound wie bei einer Garagenband klingt“. Es wird ein Anfang beschworen, der dann doch ganz anders kommt. Ulrich und Hetfield geraten in Streit, ihr erster von vielen in „Some Kind Of Monster“. Ulrich findet ein Riff von Hetfield zu „lasch“, und als jener bockig erwidert, warum er immer auf ihn herumhacke, sagt Ulrich: „Du benimmst dich wie ein kompletter Arsch.“ Hetfield steht wortlos auf und geht. Erst über MTV erfahren die anderen, er mache einen Alkoholentzug. Sein Aufenthaltsort bleibt unbekannt, die Zukunft von Metallica ist ungewiss. Berlinger und Sinofsky aber drehen weiter.

Die Band hat die Rechte ihrer US-Plattenfirma abgekauft und die bedingungslose Nähe der beiden Filmemacher akzeptiert, obwohl Hetfield eingesteht, die Kamera mache ihm Angst. Er steht neben Ulrich am meisten im Fokus, die beide Metallica gründeten, jedoch nie Freunde wurden, während ihr Gitarrist Kirk Hammett geradezu fröhlich ausschaut. James brauchte 43 Bier, nur um sagen zu können, dass wir Kumpel sind – und wir waren allein im Raum“, so Ulrich. Das „Machogehabe von Hetfield und dem Gitarristen Dave Mustaine habe ihn damals genervt, „wie ein Außenseiter kam ich mir vor“. Mustaine wurde nach einem Jahr gefeuert und gründete Megadeth. Seinen Rauswurf indes hat er nie verwunden. Im seither ersten Gespräch mit Ulrich, das zu Towles Therapie gehört, klagt er bitterlich, „was ich alles durchmachen musste“, und er wünsche, „es wäre noch mal 1982“, weil er ja nur „Zweitbester“ geworden ist.

Eine ähnliche Stimmungslage befällt auch Ulrich, als er das erste Konzert von Newsteds neuer Band Echobrain besucht. Nach deren Auftritt steht er einsam im Saal. „Jason ist die Zukunft, Metallica ist Vergangenheit“, murmelt er. „Ich fühle mich als Versager.“ Und er fürchtet klassisch das Urteil seines Vaters, ein zotteliger, dürrer Schrat, der wie bekifft über Rockmusik doziert.

Hetfield gesteht später, er habe nicht gewollt, „dass Newsted mehr Spaß hat als bei Metallica, als seien wir ihm nicht mehr gut genug“. Seit dem frühen Tod seiner Mutter „hatte ich nur meine Musik“. Seine Verlustangst führt zu absurdem Mißtrauen, ja komischem Gezänk, bis „St. Anger“ fertig ist. Dann wird Towle zum Abschied gedrängt. „Er sah sich“, so Hetfield, „schon als Teil der Band.“

OLIVER HÜTTMANN Musikbücher Nnvana „Nirvana – The Complete Guide To Their Music“ (Omnibus/Bosworth, ca. 9 Euro) von James Hector kommt jetzt endlich in einem anständigen Format, nicht in der albernen CD-Größe. Album für Album wird jeder einzelne Song seziert, bisweilen etwas mühselig, meistens informativ. Auch erhältlich: „The Beatles“ (John Robertson 8. Patrick Humphries) und „Madonna“ (Rikky Rooksby), Ersteres verständlicherweise ergiebiger als Letzteres. 3,0 „White Une Fewer“ (I.P. Verlag, 79,90Euro)ist die Autobiografie von Lemmy – in der deutschen Version leider etwas billiger aufgemacht als im Original, aber immer noch äußerst lesenswert. Nächstes Jahr wird der Motörhead-Kopf 60, er blickt also auf viele Jahre im fiesen Musikgeschäft zurück, und natürlich waren die meisten davon randvoll mit Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Vor allem Drugs & Rock’n’Roll. Lemmy ist heute noch fest davon überzeugt, dass man eine Tournee nicht ohne Alkohol und Drogen überstehen kann, „egal, ob du zweihundert Artischocken am Tag isst“. Aufgeschrieben haben die derben Episoden leider nicht denselben Charme, wie wenn Lemmy sie mit seiner verlebten Stimme zum Besten gibt – da wäre ein Hörbuch wirklich mal angebracht. 3,5 „Pop-Splrts“ (Aufbau, 8,50 Euro), herausgegeben von Frank Bruder, will „Die besten Songs aller Zeiten und ihre Geschichte“ versammeln.

Die Auswahl ist natürlich extrem willkürlich -esgibt die üblichen Verdächtigen („Satisfaction“ „Smells Like Teen Spirit“), aber auch Roxettes“The Look“ oder „Macarena“. Auf „Radio Eins“, wo sie einst gesendet wurden, waren diese bits and pieces sicher unterhaltsam, gedruckt wirken sie doch etwas dünn, zumal manche „Hintergrundgeschichte“ längst jeder kennt. 2,0 „My Back Pages“ (Lukas Verlag, 24,90Euro) von Siegfried Schmidt-Joos (Autor des berühmten „Rock- und Pop-Lexikons“) widmet sich keinem kleinen Thema: „Idole und Freaks, Tod und Legende in der Popmusik“, so der Untertitel. Zusammengefasst werden Texte aus vier Jahrzehnten, teils überarbeitet, teils heute noch so wahr wie damals, als sie in der Reihe „Idole“, im „Twen“ oder „Spiegel“ erschienen. Ray Charles und B.B. King werden gewürdigt, Dylan, Sinatra und Elvis natürlich, aber auch abseitigere Figuren der Popkultur wie Judy Garland, Tiny Tim oder der Rockstar unter den Satanisten, Aleister Crowley. 3,5 „Exit Music: The Radiohead Story“ (Omnibus/ Bosworth, ca. 22 Euro) von Mac Randall ist die aktualisierte Version dieser seltsamen Erfolgsgeschichte. Wieder wollten Radiohead nichts beitragen, für aufschlussreiche Interviews sind die fünf ja ohnehin nicht bekannt. Trotzdem hat Randall massenhaft Zitate zusammengetragen, Fakten und Thesen gesammelt (und ein paar eher schwammige Schwarzweißaufnahmen in die Mitte geklebt). Erfreulicherweise geht ihm bei aller Begeisterung für die künstlerische Leistung der Briten nicht der Humor verloren. Randall erkennt das Muster, nach dem Radiohead-Alben entstehen: „1) Band enters studio. 2) Band falls apart. 3) Band takes stock of itself and shifts gear. 4) Band recovers and f inishes album. 5) Band says it’s learned its lesson and this will never happen again.“ Womit sich alle künftigen Artikel über die Leiden von Thom Yorke und Kollegen erledigt ha-ben. 3,5 „Smashing Pumpkins – Tales Of A Scorched Earth“ (Heiter Skelter, 18,50 Euro) von Amy Hanson beginnt mit der Geschichte von Dädalus und Ikarus – als Hinführung zum ersten Kapitel, das „Sorry.YourPizza’sCold“ heißt. Eine irre Band verdient eine irre Biografie. Hanson widmet sich ausgiebig Billy Corgans Gratwanderung zwischen Ehrgeiz und Arroganz, Selbstzweifel und -Überschätzung, aber auch den Bands um die Smashing Pumpkins herum nicht unbedingt in Chicago, wo Corgan angeblich „Angst hatte, mit irgendwem zu reden“. Bald wollte die ganze Welt mit ihm sprechen, aber selten sagte er mehr als das Nötigste, und so wird die Autorin zurückgeworfen auf das Nacherzählen von Tour- und Studio-Geschichten, ein paar Todesfällen und Personalwechseln. Ein Happy End gibt es freilich auch nicht, aber die Auflösung der vorangestellten Sage: „We Icarused“, erklärt Corgan das Ende der Pumpkins. Zu nahe am Feuer gespielt. Vielleicht, schimmert die Hoff nung durch, erstehen sie aber auch wieder auf – wie dieser andere Grieche, Phoenix. 3,0 „Steve Marriott – All Too Beauliful…“ (Heiter Skelter, ca. 34 Euro)von Paolo Hewitt und John Hellier blickt zurück auf das zu kurze Leben des britischen Sängers, Songschreibers und Schlawiners, der mit den Small Faces nicht nur Weller und Gallagher inspirierte, mit Humble Pie Amerika eroberte, von der Mafia abgezogen wurde, unter Schizophrenie litt, mit 44 schließlich in einem Feuer umkam. Ein unglaubliches Leben, so packend wie ehrlich aufgeblättert. 4,5 von Birgit Fuß

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