Die weiße Linie nach Plötzensee
Wo die Toten Hosen abblitzten, feiert Sido, der Berliner Proleten-Rapper, einen Konzerterfolg: Die Häftlinge im Jugendknast kennen den Block und die Drogen
Selbst in Gefängnissen werden Sommerfeste gefeiert, zumindest im Drogenfachbereich der Jugendstrafanstalt Berlin: Im begrünten Innenhof des strengen Klinkerbaus stehen erwartungsfroh ein paar wackelige Stände für Getränke, selbstgebackenen Kuchen und Bratwürste, es gibt sogar eine kleine Bühne. Vor acht Jahren erlebten die Toten Hosen in diesem Berliner Knast einen ihrer Tiefpunkte. Weil sie zu Beginn des gutgemeinten Auftritts den Häftlingen ein ironisches „Scheiße, dass es nix zu saufen gibt“ entgegenrotzten. Eine Betreuerin, die das Debakel miterlebt hat, erinnert sich noch: „Es gab keinerlei Applaus, nur eisiges Schweigen, nach drei Songs wurde das Konzert abgebrochen, die Arroganz der Toten Hosen hat die Häftlinge total aufgeregt.“
Seitdem hat sich einiges geändert vor allem die Insassen: „Heute hören hier alle Aggro“, behauptet ein kräftiger kleiner Kerl. Tatsächlich alle? Ja, alle!“ Aggro Berlin ist ein kleines, seinem Namen verpflichtetes HipHop-Label, dessen Vorzeigerapper Sido auf erklärten Wunsch der Knackis heute auftreten soll. Der 23-Jährige aus dem Märkischen Viertel erreichte im Mai mit seinem Debüt „Maske“ Platz drei der deutschen Charts. Ein sensationeller Erfolg, doch in den Schulen, Dönerbuden und Jugendzentren deutscher Problem-Stadtteile ist Sido schon seit mindestens zwei Jahren ein Star. Ein Anti-Held, der die Sprache der sozial Derangierten spricht, ein Schulabbrecher; Drogenliebhaber und Kleinkrimineller. Auch der humorvolle Chronist einer deprimierenden Realität. Irgendwie der deutsche Eminem.
Es liegt eine merkwürdige Ironie in der Tatsache, dass ausgerechnet im Drogen-Knast einer tappt: „Steig ein, zieh die weiße Line. Die Party geht auf mich, behalt den Schein.“ Doch Sido, der sich unter die herumstehenden Häftlinge gemischt hat, versucht, Engagement zu zeigen: „Drogen sind bis zu einem bestimmten Punkt sehr gut, dann fängt es aber auch an, scheiße zu werden, weißt du.“ Der Anstaltsleiter, ein Alt-Hippie im schwarzen Designeranzug, kommt dem verunsicherten Rapper zu Hilfe: „Wir wollen hier natürlich nicht, dass Drogen verherrlicht werden, aber wir würden auch niemandem verbieten zu singen ‚Trink, Brüderlein, trink‘.“
Sido macht sich nun, zusammen mit den Kumpels seiner Band Die Sekte, auf den Weg zur Bühne, Vorher teilt er noch mit, warum „Maske“ für ihn das erste echte deutsche Rap-Album ist: „Natürlich gab es schon vorher einen Haufen Platten, aber die hatten alle was von ‚Die da‘ und den Fantastischen Vier. Rap kommt von der Straße, das ist eine Musikrichtung für Unterprivilegierte, und da zähl ich mich auf jeden Fall dazu. Ich erzähle von Sachen, die in meiner sozialen Schicht passieren, weißt du?“
Als sich Sido jetzt sein Markenzeichen überstreift, die silbrige Maske, und den Hit „Mein Block“ anstimmt, sind die Arme der Knackis in der Luft: „Hab doch keine Angst vor dem Typ mit dem Schlagring/ Er ist zwar ’n bisschen verrückt, doch ich mag ihn.“ Im Video sieht man eine rasante Fahrt durch Sidos Zuhause, das Märkische Viertel in Berlin. „Hohe Häuser, dicke Luft, ein paar Bäume/ Menschen auf Drogen – hier platzen Träume.“ Der Song hat etwas Identitätsstiftendes, besitzt aber auch den prickelnden Reiz einer Asso-Peepshow. Etwas albern ist es gelegentlich auch – die Zielgruppe liest nun mal keine „FAZ“. Dass Sido hier auf der Bühne steht – und nicht unter den Insassen – ist wohl eher Zufall: „Ich hab immer Glück gehabt. Und wenn’s dann wirklich hart auf hart gekommen ist, dann hab ich mich rausgehalten.“
Den Begriff Gangster-Rapper mag er deshalb nicht: „Kleinkriminellen-Rapper, das passt eher. Ich kenne aber auch ein paar Gangster, die versuchen zu rappen. Aber die werden nicht berühmt: Die haben ihr ganzes Leben lang nur in Kriminalität und Straße investiert – und nicht in Rap.“ Und das macht, bei allem Hang zur Authentizität, einen Riesenunterschied.