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VIVA liebt uns bekanntlich, aber ob das nach der Fusion mit MTV auch so bleiben wird? Nachdem der US-Medienkonzern Viacom die unliebsame Kölner Konkurrenz aufgekauft hat, stellt sich nun die Frage: Wie geht es weiter? Und: Kratzt uns das überhaupt?
Jetzt schluckt MTV also VIVA. Oder ist es umgekehrt? Bei den Sendern selbst scheint es keiner so genau zu wissen. Obwohl es so aussieht, als habe MTV VIVA geschluckt, ist man in Köln die Ruhe selbst, während bei MTV in Berlin – so man Insidern glauben darf- derzeit die Panik regiert: Hektisch wird längst Produziertes aus dem Programm gekippt, täglich schielt man ängstlich auf die Quoten der Konkurrenz, deren Shows zurzeit oft einen Tick besser dastehen als die der Mutter aller Musiksender. Denn natürlich will man sich in eine möglichst gute Ausgangsposition bringen, wenn endgültig alle Zahlen auf den Tisch kommen und sich Viacom in aller Ruhe die Rosinen, sprich: die besten Mitarbeiter herauspicken kann. VIVA wurde im Auftrag von Viacom bereits durchgescannt; die Unternehmensberatung von Boston Consulting hat schon vor Wochen ein Profil erstellt. Zwei autonome Online-Abteilungen etwa wird sich der neue Mega-Sender wohl kaum leisten wollen. Immerhin hat VIVA einen Betriebsrat – MTV hat es bis zuletzt erfolgreich verstanden, derlei Bemühungen im Keim zu ersticken. Und außerdem hat noch das Kartellamt ein Wörtchen mitzureden, weshalb auch das MTV/VIVA-„Integrations-Komitee“ seine Arbeit noch nicht aufgenommen hat, um sich konkretere Gedanken über die neuen Strukturen zu machen. Bei VIVA will man noch den Spruch der Marktwächter abwarten. Doch das Ergebnis steht eigentlich fest: Der Musikfernsehmarkt ist so klein -wen interessiert es da, wer hier mit wem fusioniert?
Wenn’s denn soweit ist, steht manch interessanter Punkt auf der Tagesordnung: Wieviele Sender bleiben übrig? Wieviele Mitarbeiter werden entlassen? Und natürlich: Wer wird der neue Chef? Nach Ansicht kundiger Beobachter ist zumindest letzte Frage falsch gestellt Sie sollte eher lauten: Wer wird die neue Chefin?
Seit Beginn der Regentschaft von Catherine Mühlemann, die „Pop-Prinzessin“ Christiane zu Salm ablöste, folgt das Konzept von MTV einem simplen Grundsatz: reagieren und kopieren. Wer nicht wagt, der gewinnt. „Dismissed“ ist ein Quotenrenner? Prima, bauen wir es mit deutschen Kandidaten nach! Dass derartige kulturelle Transfers aber nicht problemlos funktionieren, wurde bereits beim deutschen „Celebrity Deathmatch“ deutlich: Was in den USA die Massen begeistert, interessiert hier zu Lande keine Sau. Lost in translation. Von dem anfänglichen PR-Feuerwerk (Wir erinnern uns: Kanzler Schröder bekommt von Joschka F. einen Pflasterstein in die Fresse, das Kanzleramt ist empört, MTV pocht aufs Recht auf Satire) blieb nicht viel übrig. Heimlich, still und leise wurde die aufwändig produzierte Show aus dem Programm genommen. Von der peinlichen „Jackass“-Kopie des armen Ben Tewaag („Wir machen keine Jackass-Kopie“) ganz zu schweigen. Als die „Osbournes“ ihren Siegeszug feierten, dachte man bei MTV natürlich gleich über eine deutsche Variante nach: Nina Hagen, das wär’s doch! Ein Titel ward auch schnell gefunden: „Die Hagens“.
Tatsache ist: Seit Jahren hat es MTV Deutschland nicht verstanden, ein originäres Show-Format zu etablieren – weshalb man zurzeit lieber gleich die amerikanischen Originale sendet.
Die Hitliste der Flops wird angeführt von Benjamin von Stuckrad-Barres „Lesezirkel“. Dass der umtriebige Pop-Literat als Moderator eine Fehlbesetzung war, hätten schon die ersten Castings zeigen müssen. Doch bei MTV beantwortete man die Frage, ob der gute Mann nicht vielleicht ein Moderatorentraining bekommen solle, nur mit: „Braucht er nicht“ Offenbar im Gegensatz zu Christoph Schlingensief, den der Programmchef übers Telefon zu coachen suchte und dem beim gut gemeinten Rat, „doch mal die Hosen runterzulassen“, fast der Hörer aus der Hand gefallen wäre. Schlingensief zog es vor, zu VIVA zu gehen, wo er für seine innovative „Freak-Show“ den Grimme-Preis kassierte.
Doch selbst Shows wie das mit großen Hoffnungen gestartete interaktive Format „TRL“ (Total Request Live), für das man sich eigens einen Producer der Harald-Schmidt-Show kommen ließ, oder die Neuauflage von „Select“ – der Versuch, belangloses Blabla als „ernsthaftes“ Gespräch und GZSZ-Mimen als „Künstler“ zu verkaufen – dümpeln im Quotenkeller. In den USA ist „TRL“ natürlich ein Hit.
Kein Wunder also, dass allein die US-Shows regelmäßig Quote bringen. Und um nämliche geht es, seit man nicht nur bei MTV, sondern seit Ende 2003 auch bei VIVA Tag für Tag die GfK-Zahlen auf den Tisch bekommt Gorny hat es damals geahnt: Mit dieser Entscheidung öffne man die Büchse der Pandora, das sei das Ende des Musikfernsehens, wie wir es kennen. Bezeichnend, dass ihm Jörg Grabosch, Chef der angegliederten Produktionsfirma Brainpool. damals öffentlich widersprach: Im Gegenteil, das sei ganz toll, endlich habe man Zahlen, mit denen man arbeiten könne. Doch so sehr man den „Sonnenkönig ohne Sonne“ (die „SZ“ über Gorny) für seine wohlfeilen Phrasen belächeln mag, hier sollte er Recht behalten. Mit den GfK-Zahlen begann die Paranoia, sank jeder redaktionelle Mut, machte man sich von zufälligen Schwankungen ebenso abhängig wie von der Vorliebe der Zuschauer, auch noch die 28. „Elton“-Wiederholung mit guten Quoten zu belohnen.
Nur ist VIVA nicht Pro7, und MTV nicht RTL. Wenn drei HipHopper in den Urlaub fahren, sackt die Quote für „Mixery Raw Deluxe“ sofort in den Keller. Zumal die GfK bei ihren Messungen nur die „Erstfernseher“ berücksichtigt – die Zweitapparate, die in den Kinderzimmern stehen, bleiben außen vor. Kurzum: Musikfernsehen mit den Maßstäben des großen Fernsehens zu messen, ist zumindest fragwürdig, oft aber auch fatal.
Derweil wurde der Zuschauer Zeuge einer wundersamen Verwandlung: das einst bunte, doofe VIVA wurde frecher, das anfangs innovative MTV zunehmend platter. Beide Sender sind verwirrt und auf Identitätssuche – und verwandeln sich in ihre Konkurrenten. Zum Glück hat man gleich vier Sender, so lässt sich das Ganze bequem verschieben, kann man Identität und Profil suggerieren: Während MTV 2 Pop das Music Programming von VIVA kopiert, setzt VIVA plus auf die MTV-Playlist Kurzum: Die Zusammenlegung der vier Sender ist im Grunde nur logisch. Hier wächst endlich zusammen, was zusammengehört Insofern traf Mühlemann mit ihrem Statement den Nagel auf den Kopf: „Musiksender werden verschwinden“, wusste sie schon vor zwei Jahren in einem Interview mit der „Welt“. Eine self-fulfilling prophecy, die sie nun selbst hilft, in die Tat umzusetzen. Zumindest zwei werden wohl weichen – und glaubt man dem Munkeln der Insider, wird’s zuerst MTV 2 Pop treffen. Und was Pandoras Büchse betrifft: Die war längst schon auf. Die „Bits & Pieces“-Strecken, wie bei Viva die redaktionellen Beiträge genannt wurden -Promo-Schnipsel, die zwischen die Videos gestreut wurden und Clip-Länge grundsätzlich nicht überschreiten durften – sind individuellen Sendungen gewichen, einem „richtigen“ Programm. In den Anfangszeiten des Musikfernsehens war alles im Fluss – und dieser Fluss hieß flow. Doch spätestens Mitte der Achtziger hatte es sich in den USA bereits ausgeflowt. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als Viacom dort das Ruder übernahm und das angeschlagene Schiff mit dieser Programmreform wieder auf Gewinnkurs brachte. MTV Deutschland vollzieht also eine eigentlich längst überfällige Entwicklung nach, die der Muttersender längst hinter sich hat: zurück zum Fernsehen alter Schule. Das Musikfernsehen als Konzept löst sich auf, schließlich ist heute überall Musik drin. MTV versucht daher mehr und mehr, wieder wie „richtiges Fernsehen“ auszusehen und sich als pop culture-Sender zu verstehen – eine Art RTL II für Arme. Da passt es, dass Mühlemann mit RTL II-Chef Ansdorfer verbandelt ist – auf diese Weise kann man fröhlich Sendungen tauschen (wie etwa „The Dome“, den dann MTV-VJs anmoderieren dürfen, oder diverse MTV Award-Shows). So bleibt alles in der Familie.
Nein, überraschend kommt die Fusion nicht Überraschend war allenfalls der anfängliche Erfolg von VIVA, doch Gorny beging zu viele strategische Fehler, wollte schließlich in die Politik, aber die Politik, sie wollte Gorny nicht – und da war es schon zu spät. Machtmensch Gorny vergraulte schon in den ersten Stunden. „Der Dieter“ ließ nur Ja-Sager in höheren Positionen zu, schuf mit seiner Gornykratie ein Klima der Angst, das den Betrieb nach und nach aushöhlte. Allein der wendige Michael Kreissl, heute Geschäftsführer bei Disney, vermochte ihm mit strategischem Geschick etwas entgegenzusetzen. Ex-MTV-Moderator Steve Blame wurde auf Gornys Geheiß von der Security aus dem Gebäude befördert, nur die Handschellen fehlten. Danach installierte Gorny nur mehr Marionetten und machte hauseigene Redakteure zum Programmdirektor.
MTV-Chefin Mühlemann regierte ähnlich effektiv. Ihre erste Amtshandlung war ein Großreinemachen, unter BWLern auch als „cleaning“ bekannt: Wirf alle raus, die dir gefährlich werden könnten. Alle mussten sie gehen: der Personal-Chef, der Sales-Chef, der Chef der Sponsoring-Abteilung – nahezu die gesamte Führungsebene wurde rausgefegt. Fortan hatte man vor der zierlichen Person Respekt.
Dass Mühlemann an die Macht kam, hat sie indirekt ihrer Vorgängerin Christiane zu Salm zu verdanken. Die streitbare High Society-Lady und Botho-Strauß-Verehrerin hatte es gewagt, die massive Dominanz der Londoner MTV-Zentrale in Frage zu stellen. Die Schweizerin Mühlemann dagegen empfahl sich als loyal und zuverlässig. Nun sollen also Mühlemann und Gorny gemeinsam an den freundlichen Kiffer Brent Hansen „berichten“, der von London aus mit eiserner Hand regiert.
Dem ein oder anderen Beobachter mag der sich anbahnende Machtkampf ein kulinarisches Vergnügen versprechen. Hier der monomanische Medienfürst, dort die ebenso unauffällige wie effiziente Mühlemann; hier einer, der das Rampenlicht über alles liebt, dort eine, die’s scheut – das könnte doch der Beginn einer wundervollen Zusammenarbeit sein! Doch Spekulationen über soviel mediale Harmonie sind wohl fehl am Platz, weitaus wahrscheinlicher ist, dass fortan Mühlemann, die schon jetzt bereits Osteuropa betreut, in Zukunft auch die MTVIVA-Geschicke leiten wird.
VIVA und MTV fusionieren? Sven Regener hat dazu bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt: „Wenn mir etwas scheißegal ist, dann das.“