Musik vom Busen der Tastatur
Der Hype, von dem Sie vielleicht noch nichts gehört haben – weil er so leise ist: FOLKTRONICS klingen wie Wiesenmusik, werden aber am Laptop konstruiert. Sitzt ein junger Folkmusiker unter einem blühenden Baum und kaut an einem Grashalm. Auf seinem Schoß balanciert er keine angeschrammte Gitarre, sondern ein silbrig glänzender Laptop. Der Junge hat möglicherweise field recordings gemacht, von einem alten Banjospieler hinter den sieben Bergen. Vielleicht hat er auch aus der eigenen Plattensammlung ein wenig John Fahey gesampelt. Oder einen mongolischen Obertonsänger. Im grünen Idyll ediert er dann die Soundschnipsel zu postmodernen Songs, die er später in dem kleinen Club live spielen wird – auf dem Computer natürlich. So müsste es aussehen, wenn man dem merkwürdigen Hype glaubt, der seit einiger Zeit vor allem durch die deutsche Szene geistert, Laptop Folk, Folktronics oder Digital Folk. Nichts scheint weiter voneinander entfernt als Folklore und Elektronik, und Schuld an dem seltsamen Zusammentreffen ist wohl die Krise der elektronischen Musik: Die Inflation klickernder, zischelnder, pumpender digitaler Selbstdarstellungen hat bei vielen die Sehnsucht nach einer Musik geweckt, die auch authentischen Klängen und Gefühlen Platz lässt, ohne die Entwicklungen der letzten 20 Jahre ganz zu ignorieren. Chris Flor, Gitarrist und Sänger des Duos Komeit, sagt: „Am so genannten Digital Folk finde ich interessant, dass dabei dem Fetisch der sauberen Computer-Hardware der Lagerfeuer-Fetisch der Westerngitarre übergestülpt wird.“
Die Wurzeln liegen im minimalistischen Pop, der Ende der Neunziger unter anderem in der berühmten Berliner Wohnzimmer-Konzertreihe gespielt wurde, ein kuscheliges Paralleluniversum, in dem sich Elektronik, Songwriting, Flüstergesang und vorsichtig gezupfte Gitarren scheu aneinander rieben, in der Musik von Quarks, Contriva, FS Blumm oder Barbara Morgenstern. In der Techno-Hochburg Berlin war die Wohnzimmerszene ein Platz zum Atemholen, eine digitale Version des New Yorker Village. „Die Leute fanden das gleich super oder wenigstens ulkig, dass wir zweistimmig zur Gitarre gesungen haben“, erinnert sich Ron. Jetzt, wo viele so etwas machen, ist das schwieriger geworden. Der Schockeffekt ist komplett weg.“
Letztes Jahr hatte das Kölner Independent-Label Tomlab mit dem zweiten Album des US-Laptop-Folk-Duos The Books sogar einen kleinen Hit: „The Lemon Of Pink“, auf dem die Books gesampelte Banjos, Celli, Mandolinen und Leierkästen in winzige Soundpartikel zerlegen und nach einem abstrakten Collage-Prinzip zu sanften neuen Songs zusammenbauen, verkaufte über 14 000 Stück. Der Berliner Musiker und Labelbetreiber Guido Möbius sieht den Hype dennoch skeptisch: „Fast alles, was heute unter folktronics‘ subsummiert wird, hat mit Folk nichts zu tun. Die meisten Leute, die diese Musik machen, sind Computer-Autisten.“ Auf seinem selbst im „Zeit“-Feuilleton gefeierten Album „Klisten“ arbeitet Möbius zwar mit Instrumenten, doch Behaglichkeit kommt bei ihm nicht auf. Gibt es denn niemanden, der das Klischee vom Grashalm kauenden Laptop-Folkie mit Leben füllt?
„Für meine CD ‚Lichten‘ habe ich mich mit meiner Gitarre erst mal ein halbes Jahr lang auf einen Berg in Ligurien gesetzt“, sagt Frank Schültge alias FS Blumm. Doch wenn Blumm vom Berg steigt, setzt er sich nicht etwa an den Laptop, im Gegenteil: Er schreibt die Ideen von Hand auf Notenpapier. „Ich spiele Gitarre, Akkordeon, Xylofon, Vibrafon, Klavier, Melodica und Kalimba. Andere übernehmen für mich Cello, Schlagzeug, Waldhorn, Saxofon und Klarinette.“ Das klingt so schön und zerbrechlich, dass man Kerzen anzünden will. Das einzig Digitale bei FS Blumm ist der Harddisc-Rekorder.
Auch Jörg Follert aus Köln, der sich Wechsel Garland nennt, hat seine größten Fans unter Electronica-Liebhabern, versucht aber Brückenschläge: „Unter Ausschluss des Vergangenen kann man nichts Neues erfinden. Im Techno hieß es anfangs: ‚Nie wieder Gitarre!‘ Doch da war bereits klar, dass sich das Genre irgendwann nur noch um sich selbst drehen wird. Ich möchte ein komplexeres Gefühl vermitteln als Jetzt geht’s ab!‘ oder „Fett!“ Folk und Elektronik können genauso wenig getrennt voneinander betrachtet werden wie Natur und Technik – ein so signifikanter Moment wie der, als Dylan elektrisch wurde, wird sich kaum wiederholen, der grenzüberschreitende Eklektizismus der Incredible String Band dagegen schon, diesmal digital. Wie der britische Autor Kodwo Eshun schreibt: „Even the sternest Powerbook glitchhound has a Nick Drake album somewhere in their collection.“