Gold aus dem Mist
Als Keane in London wohnten, funktionierte nichts. Erst daheim im Dorf wurde ihr Klavier-Pop entdeckt
Selbstverständlich ist das hier wieder so eine Band wie Travis, Coldplay und Starsailor, tragischer Pop mit Fensterscheiben-Nebel und Scheinwerfern und den schwer zu erklärenden pastoralen Schwingungen, die einem das Gefühl geben, dies sei Land-Musik (obwohl es doch immer Stadt-Musik ist, die demonstrativ durch den Wald tappt). In England sind Keane mit ihrer ersten Major-Label-Single „Somewhere Only We Know“ Ende Februar auf Platz drei eingestiegen, sie werden als wichtige Neuentdeckung beschrieben, und sicher haben sich viele Leute beim ersten Anhören gefragt, ob das denn jetzt schon alles sein soll, diese Musik und die drei kleinen südenglischen Männer zwischen 25 und 28, an denen das Besonderste ist, dass sie keinen Gitarristen, keinen Bassisten, dafür einen Pianisten haben.
Ein „NME“-Reporter schrieb ganz goldig in einem Konzertbericht, dass Keane zwar alles verkörpern, was eine Rock’n’Roll-Band hassenswert macht, aber dass ihre Lieder halt so toll seien und Zyniker die Platten wohl voll Freude unter der Bettdecke hören, damit es keiner mitkriegt. Bei Kopfweh sind sie nicht zu empfehlen, weil Sänger Tom Chaplin oft durchdringend heult. So erinnern Keane auch an Musik, an die lange niemand erinnert hat, an Ultravox mit Midge Ute und an a-ha, Klavier-Operetten, aufgeschlagene Herzen und die Art von Melancholie, die nicht direkt weinerlich klingt, sondern mehr heroisch, ritterlich.
Als sie 1997 kurz vor dem Schulabschluss in der Kleinstadt Battle in Sussex zusammenkamen, klangen Keane sogar wie U2, weil ihr damaliger Gitarrist Dominic U2-Effektgeräte benutzte. In London gab es damit nichts zu holen. Coldplay waren ihre engen Freunde, man trat oft zusammen auf, hatte treue Durchhalte-Fans, doch Coldplay durften dann eine Single machen, und Keane mussten weiter empfindlich früh aufstehen, um die Übungsraum-Miete zu verdienen, 40 Pfund pro Probe. „Gutes Songwriting wurzelt in Traurigkeit und Einsamkeit. Unsere Zeit in London war meistens frustrierend und hat uns dadurch inspiriert“, sagt Keyboarder Tim Rice-Oxley. Sie zogen zurück nach Sussex, ab ihnen alles zu teuer und erfolglos geworden war, verloren den Gitarristen und wollten keinen neuen, weil sie sich verschworen wie eine Gang fühlten. Das Glück lag im Dorf. Dort fand sie der Mann vom berühmten Londoner Fierce Panda-Label, der drei Jahre davor schon Coldplay entdeckt hatte. Weil sie nun so viele Konzertreisen machen, haben Keane eigentlich kein Zuhause mehr, aber meldetechnisch wohnen sie noch heute in Battle. Und gehen nie mehr weg.