Die Mär vom Blues aus dem Baumwollfeld
Diverse neue Bücher hinterfragen die Rolle von Robert Johnson und anderen Musikern aus dem Delta. Muss die Geschichte des Blues neu geschrieben werden?
Vielleicht hätte sich Eric Clapton mit der Veröffentlichung noch etwas gedulden sollen. Sein neues Album widmete er bekanntlich Robert Johnson, dem Legenden-umrankten Bluesmann, der an der „crossroad“ dem Teufel die Seele verschrieb – und prompt mit 27 Jahren über die Sense sprang. „Als ich Robert Johnson zum ersten Mal hörte“, so Clapton heute, „war ich vom Mythos genauso fasziniert wie von der Musik. Ich konnte mich mit der Legende voll identifizieren – damit, wie er seine Seele verkauft und über Nacht zum Genie wird.“
Im Lichte diverser Forschungsarbeiten, die sich mit Robert Johnson und der Geschichte des Blues beschäftigen, wirkt Claptons Mythen-verlängernde Johnson-Hommage nun doch etwas deplatziert. „Escaping The Delta“, ein exzellent recherchiertes Buch des Amerikaners Elijah Wald, räumt mit den liebgewonnen Mythen am radikalsten auf: Die Bluesmusik aus dem Delta, so seine These, sei primär eine Erfindung weißer Musikkritiker in den 60er Jahren.
Das Klischee vom ländlichen Blues als dem Aufschrei der armen, farbigen Landbevölkerung, der dann zum Siegeszug durch die Welt angesetzt habe, sei nichts weiter als das – ein Klischee.
Robert Johnson, der zu Lebzeiten nur elf Songs veröffentlichte und von „Terraplane Blues“, seiner erfolgreichsten Aufnahme, gerade mal 5000 Exemplare verkaufte, sei eben nicht die Blaupause künftiger Bluesmusiker gewesen.
Und wenn in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts von „Blues“ die Rede war, dann meinte man nicht den archaischen „moaner“, der unter dem Joch seiner Existenz ächzte, sondern großstädtische Sängerinnen wie Ma Rainey und Bessie Smith, die auf dem weißen! – Vaudeville-Circuit Karriere machten. Blues war Pop, und auf der Suche nach populären Elementen habe der Blues beispielweise auch die Slide-Gitarre integriert, die nicht etwa afrikanischen Ursprungs sei, sondern von hawaiianischen Kapellen popularisiert wurde, die bereits zu Beginn des Jahrhunderts durch Amerika reisten.
„Was die Evolution der Schwarzen Musik betrifft“, so Walds vernichtendes Urteil, „ist Johnson jedenfalls eine unbedeutende Randfigur. Selbst wenn er nie eine Note gespielt hätte, wäre die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte kaum anders verlaufen.“
Das Missverständnis, schreibt Wald, habe seinen Lauf genommen, als in den 60er Jahren weiße Rock-Musiker und -Kritiker die field recordings eines Alan Lomax entdeckten und in einem Anfall von romantischer Idealisierung das Rohe, vermeintlich Authentische zum Wahren und Echten verklärten. Während sich die ländlichen Bluesmusiker nichts sehnlicher wünschten, ab sophisticated zu sein und mit moderner Musik in der Großstadt Erfolg zu haben, hätte sie die fehlgeleitete Rezeption des weißen Publikums in ihrer archaischen Enklave nur noch weiter einzementiert.
Selbst für die bizarre Legende von den „Crossroads“ und dem Teufel hat Wald eine erschreckend prosaische Erklärung: Johnsons Freund und Zeitgenosse Son House habe die Mär erstmals 1966 (!) in einem Interview zum Besten gegeben – und dann wohl frappiert miterlebt, wie sich der faustische Schmuh beim weißen Publikum, Eric Clapton inklusive, wie ein Laufteuer verbreitete.
Dass sich Elijah Wald, selbst übrigens Bluesmusiker, mit derart blasphemischen Thesen bei musikhistorischen Gralshütern wenig Freunde machen wird, dürfte er einkalkuliert haben. Doch er hat, neben einer erdrückenden Phalanx von Fakten, auch noch lebende Bluesmusiker in den Zeugenstand gerufen. B. B. King etwa, der’s auf Tournee gern komfortabel liebt und mit der Baumwoll-Seligkeit nie viel am Hut hatte, darf nach Herzenslust schimpfen. „Diese Schriftgelehrten preisen immer den ‚ursprünglichen Blues‘ und diejenigen Protagonisten, die – wie Robert Johnson – jung gestorben sind und dadurch ‚Tragödie‘ symbolisieren. Es ärgert mich ungemein, dass diese Schreiberlinge meinen, den Blues nur mit den Tragödien des Lebens identifizieren zu müssen.“
Und Little Milton, selbst Sohn eines Baumwollpflückers, diktierte Wald folgende Sätze ins Mikrofon: „Blues bedeutet nicht, dass man in einem geflickten Overall auf der Veranda sitzen muss und darüber jammert, dass einen die Frau verlassen hat. Frauen verlassen auch reiche Männer. Die Faszination für dieses ganze ‚down and out‘-Dings ist mir immer suspekt gewesen. Was ist verkehrt daran, Erfolg zu haben und gut gekleidet auf die Bühne zu kommen?“
Eines der wenigen Fotos von Robert Johnson, der 1938 starb, zeigt ihn übrigens nicht als den armen Straßenmusiker, der er de facto war, sondern als sharp-dressed man mit Anzug, Seidentuch und Krawattennadel.
Möglicherweise ist das ja der wahre Grund, dass Armani-Connaisseur Clapton eine derart tiefe Seelenverwandschaft empfindet.