Der magische realismus von STEWART O’NAN wird zur spukhaften Phantastik

Das Buch hat einen verspielten und ziemlich verrückten Charakter“, sagt Stewart O’Nan und grinst. „Doch es ist keine Horror- oder Geistergeschichte im herkömmlichen Sinn. Der Roman besitzt vielmehr ein übernatürliches Element und meditiert über das Leben in den Vorstädten und darüber, was es heißt, in einer solchen Hölle gefangen zu sein.“

Stewart O’Nan, 1961 in Pittsburgh geboren, zählt neben Rick Moody, Ethan Canin oder Pinckney Benedict zu den interessanten Vertretern jener Riege nachrückender amerikanischer Erzähler, deren Romane den „schmutzigen Realismus“ von Raymond Carver, Tobias Wolff oder Richard Ford erfolgreich in die Gegenwart fortschreiben. Mit „Engel im Schnee“, „Sommer der Züge“, „Die Speed Queen“ oder „Das Glück der Anderen“ profilierte O’Nan sich als magischer Realist, der die Schattenseiten des modernen Amerika in Geschichten von bisweilen klaustrophobischer Dichte zu bannen vermag. Mit seinem aktuellen Roman „Halloween“ nun verbeugt sich der einstige Flugzeugingenieur vor Größen wie Shirley Jackson und Ray Bradbury, deren aberwitzige und nicht selten spukhafte Phantastik seinem neuen, irrlichternden Roman die erzählerische Richtung liefert.

„Der Roman ist bizarr und ähnelt darin auf gewisse Weise dem Debüt ,Engel im Schnee‘, denn er untersucht auf verwandte Weise die Welt von Jugendlichen, ihre Träume ebenso wie ihre Albträume“ sagt O’Nan. „Er ist das Produkt einer geradezu verrückten, aberwitzigen Logik.“ In der Tat. Denn,,Halloween“ ist ein aufwühlendes und zutiefst beunruhigendes Buch zugleich, das an Stephen Kings finstere Ausgeburten denken – und mit fortschreitender Lektüre nichts Gutes ahnen lässt Langsam und wie in Zeitlupe rollen die Ereignisse an – bis der Plot seine Betriebstemperatur erreicht hat und O’Nan sämtliche Register seines Erzählens zieht.

Er entspinnt einen Plot, der auf ein reales Ereignis zurückgeht: den Unfalltod einiger Jugendlicher aus dem Raum Pittsburgh, die angetrunken mit ihrem Wagen gegen einen Baum knallten. Drei von ihnen starben auf der Stelle, die beiden anderen kamen – der eine mit einem Schrecken fürs Leben, der anderen mit einem irreparablen Hirnschaden – davon. „Ich hatte von der Geschichte vor Jahren in der Zeitung gelesen und augenblicklich das Gefühl, dass ich darüber schreiben wollte“, erinnert sich der Amerikaner. „Doch ich wusste, dass diesem Stoff nicht mit billigem Realismus beizukommen war, und so beschloss ich, das Ganze als Geistergeschichte zu erzählen.“

Und O’Nan macht von der ersten Zeile an Ernst mit seinem Vorhaben. Geschickt wirft er seine Schlingen aus, um sich den Leser zu angeln – und im Folgenden hinab zu stürzen in eine Welt der Düsternis, des Zwielichts, der Ungreifbarkeit und des kalkulierten Wahns. Denn es ist Halloween, der Tag der lebenden Toten. Und just an diesem Tag kehren nun die Geister der drei getöteten Teenager aus dem Zwischenreich zurück. O’Nan versteht es glänzend, die Ereignisse jener Todesnacht noch einmal vor dem Leser abrollen zu lassen: die ausgelassene Stimmung der Freunde. Der Joint, der rumgeht. Und der Polizeiwagen im Rückspiegel, während die Smashing Pumpkins die Arie zum Untergang kreischen. Das alles zwingt O’Nan in starke, tiefenscharfe Bilder, die er atemlos und mit der Intensität von Stromstößen in die Leserhirne jagt: jede einzelne Sekunde vor dem Crash aufs Schmerzhafteste verlangsamt.

Dann folgt der große Schnitt – und all das ist nur noch bittere Geschichte. Denn der eigentliche Plot hebt mit der Rückkehr der drei Zombies an, die für eine lange, scheußliche Nacht zurückkehren in jene Welt, zu der sie nicht mehr gehören, um zu sehen, was aus denen geworden ist, die überlebten. Doch auch Tim und Kyle sind ja innerlich schon“längst tot“, und so können selbst die drei heimgekehrten Geister nicht verhindern, dass die beiden tun werden, was aus ihrer längst unrettbar verzerrten Sicht getan werden muss. Denn es ist wieder Halloween, und wieder lockt die vom Mondschein beschienene Straße. Mit ein paar Büchsen Bier und einem Handy ausgerüstet, machen sich die beiden auf den Weg – entschlossen, ihren drei alten Kumpels endlich nachzufolgen.

Stewart O’Nan hat mit „Halloween“ einen so beklemmenden wie mitreißenden Roman geschrieben, ein Buch, dem das seltene Kunststück gelingt, uns das Fantastische, Übersinnliche so sehen zu lassen, dass es geradezu vertraut wirkt: lustig und drastisch wie ein Graffitti und doch so unheimlich und grotesk wie eine Nachtmahr, die nicht enden will. Konzis zeichnet der Roman, der in seiner poetischen Kälte ebenso wie in seiner unbezwingbaren Logik an Jeffrey Eugenides‘ Debüt, „Die Selbstmord-Schwestern“ erinnert, das Protokoll einer prozesshaften Selbstauslöschung. Dabei gelingt O -Nan eine faszinierende Nahaufnahme dieser von allen Zwängen und Moralvorstellungen entfesselter Wesen, die längst verloren sind für die allzu durchsichtigen Versprechungen irdischer Geister. So atmet der Leser bis zur letzten Seite die gleiche Luft aus Traum, Entsetzen und Humor, aus Erkenntnis und Mut wie einst bei Hawthorne, Kafka oder Poe. Und mit Schrecken wird er feststellen, dass es unsere Welt ist, die da vorgestellt wird. Eine Welt, die immer und überall ist, wo Menschen sind.

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