Ein weitgereister, ehrwürdiger Techno-Meister wie DJ Hell kann das sagen: Auch die Club-Musik braucht sowas wie Altrocker
Er brüllt, er bäumt sich auf, er faucht, bis man obszöne Wörter heraushört. Der Espressoautomat in diesem Hotelcafe ist ein viel wilderer Gesell als DJ Hell, der ihm gegenüber sitzend – alles ruhig abwägt, bevor es es ausspricht. Kein crazy Satz, leider. Wäre so schön gewesen für die Überschrift.
Helmut Geier, 41, ein Techno-Diplomat mit Sitz in München, der in New York, Paris, Tokio und an den dortigen DJ-Pulten freundlich begrüßt wird, vor allem in Japan wollen die Leute dich anfassen. Da ist es besser, etwas weiter weg zu sein.“ Wenn er nach dem Wochenende die Platten-Reisekiste öffnet, erinnert er sich jedes Mal, warum sein Job in den elend langen Nächten so toll ist“Da kommt so ein bestimmer smell raus, eine Mischung aus Rauch, Schweiß und abgestandener Luft. Das mag ich.“
Hell selbst (das DJ gehört nicht zum Künstlernamen) muss besser riechen. Er verkehrt mit Hugh Hefher und P. Diddy,erlegtfiir das empfindliche Naschen Donna Versace auf, wenn Modenschau ist. Seine eigene Geschichte läuft seit 20 Jahren eng verschränkt mit der Geschichte vom Auf- und Niedergang von Techno in Deutschland, aber die Jet-Set-Pose vom Cover seines bahnbrechenden „Munich Machine“-Albums hat etwas Sinnbildliches: Er wird das selbst nicht sagen, aber Hell ist ein Art-Punk, und wie könnte sich ein Art-Punk auf der Love Parade wohlfühlen oder einen Track mit Nena machen? Sie hätten Anfang der Neunziger dafür gekämpft, die Musik ganz in den Vordergrund zu stellen, erzählt er, „aber das hat sich im Lauf der Jahre verändert. Ich finde, dass der DJ schon im Mittelpunkt stehen sollte, er soll Interviews geben und sein Wissen weitergeben.“
Giorgio Moroder wollte nicht mit ihm sprechen. Der „Spiegel“ hatte ein Gipfeltreffen in L.A. organisiert, doch der Disco-Meister nahm Hell ein paar ästhetische Zitate übel, die eigentlich als Respektsgeste gemeint waren. Und nun gehört auch Hell schon zur Väter-Schicht in der elektronischen Musik, ein Altrocker-Symptom, finden manche: Nur Väth, Westbam, Hell füllen große Hallen, an gewöhnlichen Wochenenden bleiben die jungen Leute lieber zu Hause und mischen sich die Cocktails zum Einkaufspreis. „Ich glaube, dass meine Generation die ersten Elektronik-DJs hat, die mit dem Ganzen alt werden. Man muss es aber auch so sehen, dass wir das größte Wissen haben. Ich war ja Ende der Siebziger ein Punk, und heute signe ich zum Beispiel die Band Tuxedomoon für mein Label und lasse sie von Detroitern der dritten Generation remixen. Solche Verbindungen kann ein Junger gar nicht sehen.“
Auf Hells neuem Album „N.Y. Muscle“ singen Alan Vega von Suicide und Erlend 0ye von den Kings Of Convenience, es klingt stupid, aggressiv und dissonant, wie ein Kraftwerk-Roboter mit Rasierklingen-Wundmalen. Hell benutzt aus Prinzip keine gesampelten Gitarren-Riffs, mit denen Disco-Punk-DJs ihre Leute animieren. Aus dem Organisations-Team des legendären New Yorker Electroclash-Festivals schied er aus, als die Differenzen darüber, was musikalisch seriös sein würde, zum Eklat führten, und Hell den Künstlern seines „International Deejay Gigolos“-Labels durchgab, sie sollten dort besser nicht spielen.
Sein Dunstkreis in München, zu dem die Plattenfirma Disko B gehört, hat diese Qualitätsmaßstäbe übernommen. „Fuck Eectroc(l)ash!“-Shirts gibt es da, und „Diktatur des Kapitals“, das Album des etwas jüngeren Elektro-Pop-Dandys Christian Kreuz, der aber auch alt genug ist, um eine Geschichte jenseits von Elektro zu haben. In den Achtzigern hasste er Synthies und war Rocker.
Und ist es heimlich immer noch.
„Die Disco ist für mich durchaus ein Ort der Anarchie“, sagt Kreuz. Und gibt in seiner Single „Koks und Prada“ Hells Champagner-und-Versace-Freunden ordentlich einen mit. Kann gut sein, dass die dooferen unter ihnen die Ironie nicht verstehen und lustig dazu tanzen – leider werden auch nur wenige das fein einziselierte Zitat von der Volksmusikgruppe ,JDie Stoakogler“ erkennen, mit dem Kreuz sagen will, „dass Jet Set genau so dumpfbackig Lst wie der Musikantenstadl. Die Leute wollen endlich etwas Anderes, Neues hören, sie wissen es nur noch nicht.“ Und wenn die Leute zu einem unbekannten Stück nicht tanzen: „Das heißt ja nicht, dass sie es nicht mögen. Vielleicht unterhalten sie sich, oder sie haben keine Zeit zum Tanzen, weil sie knutschen.“ Eine Altersweisheit.