Für die Bühnenpremiere des „Muzzicals“ Joe’s Garage musste Frank Zappas Original kaum modernisiert werden: Der Wahnwitz ist zeitbeständig
Für Gisi Weller war Frank Zappa lange das, was er für viele immer noch ist, nämlich „der, der ‚Bobby Brown‘ singt, und die anderen grölen dann mit“. Doch es kam der Tag, da Ludwig Adam an die junge Sängerin mit Konservatoriums-Diplom herantrat, die gerade in „Falco – A Cyber Show“ auftrat, zuvor aber auch schon durch „freizügigere Mädchenrollen“ (Weller) aufgefallen war. Er würde sie gern als die Mary in seiner Bühnen-Version des Zappa-Konzeptalbums, Joe ’s Garage“ besetzen, ließ der gern mit dem Image des „Alpenzappa“ kokettierende Gründer der Hallucination Company wissen. Weller wusste nach dem ersten Date mit dem Script nur eins: „Ich bin ein anständiges Mädchen, das mach ich nicht.“ Sie lacht. Und bekennt dann, „inzwischen schon zum Fan mutiert“ zu sein.
Im sogenannten „Rock-Muzzical“, das pünktlich zum 10. Todestag des Maestros auf große Tournee geht, hat Gisi Weiler nun sogar gleich zwei Auftritte. Nicht nur gibt sie die naivverlorene Mary, sondern auch „den ganz Bösen“: Als Unterwelt-Boss Bald Headed John muss sie den gefallenen Provinzknaben Joe im Knast sogar mit Gewalt nehmen. „Ich hab da über viele Schatten springen müssen“, sagt die ungelernte Schauspielerin. „Als Frau einen Mann auf der Bühne zu vergewaltigen, das war auch verkleidet ein hartes Stück, das hat mich am Anfang sehr zerknirscht.“ Die Anfänge reichen für Ludwig Adam zurück bis ins Jahr 1995, als er zum zweiten Todestag von Zappa ein Konzert in Wien initiierte und irrsinnigen Spaß dabei hatte, „in dieser Klangwolke zu stehen. Schon damals dachte ich, da gibt’s doch noch Joe’s Garage’…“ Doch erst im letzten Jahr konnte die Musical-Version im Rahmen des Musterviertel-Festivals in einem kalten Zirkuszelt zu später Stunde vor 200 Zappatisten Premiere feiern. „Da haben wir gewusst, dass die Bösartigkeit darin funktioniert – weil man dabei auch noch lachen kann.“
Zappa selbst hatte zu Lebzeiten nur einzelne „Joe’s Garage“-Songs (wie den Tripper-Klassiker „Why Does It Hurt When I Pee?“) aufgeführt. Ursprünglich als Drehbuch konzipiert, war eben das noch vor der Verfilmung in der Ecke gelandet, nachdem er seinen Prozess gegen Warner Brothers gewonnen hatte. Zappa stürzte sich stattdessen über Jahre in die musikalische Fundgrube, die ihm seine alte Firma nun überlassen musste.
Adam erfand „Joe’s Garage“ nicht neu, hielt sich in seiner Bühnenadaption vielmehr so nah wie möglich an Geist und Wort des Meisters. „Eine modernisierte Version ist nicht nötig“, glaubt der Österreicher. „Man muss nur den Kern des Originals rausholen, die Geschichte des Joe, wie er immer wahnsinniger wird.“ Einzig und ausgerechnet die von Adam selbst gespielte Figur des Central Screwtinizer schlüpft in neue Kleider. Bei Zappa ist der sinistre Erzähler mit Megaphon im Geist jener Zeit noch ein Roboter gewesen, heute muss „das Böse“ als Anzugträger mit Aktenkoffer daherkommen. Meint Adam. Das flaue Update bekommt vom Publikum der Vorab-Präsentation in Hamburg prompt spontanen Beifall. Is‘ halt schön, wenn in Zeiten wie diesen wenigstens noch ein paar (alte) Fronten funktionieren.
Unterdessen durfte der Gitarrist Conrad Schrenk als musical director die wahre Sisyphusarbeit verrichten und dabei auf „eine endlose Reise“ gehen. Ohne Notenmaterial musste der Zappa-Wahnwitz komplett nach Gehör transkribiert werden. Ab das letzte Detail stand, war zwar prinzipiell der Weg frei für gewisse Veränderungen. Und tatsächlich werden bestimmte Grooves auch schon mal so adaptiert, „dass das eher wie Chili-Musik klingt“. Aber wie weit traut man sich wirklich weg vom komplizierten Original? „Es verlässt einen irgendwann der Mut“, konzediert Schrenk. „Manchmal dachte ich: Das ist ein Disco-Song aus den 70ern, kann man da jetzt einen Disco-Song für die 90er draus machen? Aber die Original-Arrangements sind irgendwie magnetisch, man kommt nicht davon weg.“
Mit seinem Sextett versucht Schrenk zwar, das klassische Zappa-Lineup nachzuahmen, hat aber alle Hände voll zu tun, wenn die Besetzung an ihre Grenzen stößt. „An Stelle von Bläsern hab ich zweistimmige Gitarren mit Keyboards synchron gemacht. Wir sind dadurch total gefordert, müssen irrsinnig wechseln, dauernd andere Rollen übernehmen, spielen Posaunen-Parts auf der Gitarre und springen dann zum nächsten Keyboard-Part. Die Arrangements sind sehr straff.“ Dazu kommen die „schnellen dramaturgischen Wechsel'“, vom reinen Spiel zur Begleitung für die sechs Darsteller in insgesamt zehn Rollen. Dramatisch würde es, wenn jemand ausfällt, denn eine B-Besetzung existiert nicht.
Den musikalischen Fesseln zum Trotz versprüht, „Joe’s Garage“ durchaus anarchisch-abstrusen Charme, etwa wenn Joe, der doch eigentlich mit seiner Garagenband reüssieren wollte, auf dem Sektentrip eine riesige Küchenmaschine ins Nirwana vögelt. Die „Hamburger Morgenpost“ erinnerte das „Schmutzical“ zuweilen an den „Auftritt einer ausgelassenen Schultheatergruppe“. Was ja auch für eine gewisse Frische stehen kann. Den Segen alter Zappa-Kombattanten hat die Unternehmung jedenfalls. Captain Beefheart besuchte heimlich eine Vorstellung in Wien und notierte danach öffentlich, er sei überrascht gewesen, wie der Stoff im Geiste Zappas bearbeitet worden sei. Napoleon Murphy Brock, einst Sänger und Saxofonist bei Zappa, sah,Joe’s Garage“ im Rahmen der 14. Zappanale in Bad Doberan und schwärmte hernach, die Österreicher hätten das Konzept auf das nächste Level gebracht, „besser wird’s nicht“.
Und was sagt die Jugend zur Reprise von „Joe’s Garage“? „Wir erleben es, dass der 50-jährige Vater den 20-jährigen Sohn mitnimmt oder die Tochter“, sagt Ludwig Adam. „Und die sagen: Wow! Hab ja gar nicht gewusst, dass es sowas gibt! Was für tolle Musik! Ich hoffe, dass da eine Bewegung auch zu den Jungen stattfindet.“ Hätte Frank bestimmt auch gefallen.