Der Mythos von den schönen Toten
Jesus war der erste Rockstar. Das Kreuz ist der größte und großartigste Fanartikel aller Zeiten. Und Jesus war der erste tote Rockstar. Wie Jim Morrison und Kurt Cobain und Jimi Hendrix machte der Tod ihn unsterblich. Ein toter Rockstar ist perfekt und bleibt es für immer. Er ändert sich nicht, wird niemals älter und verwandelt sich nicht irgendwann in etwas weniger Perfektes, als er es im Moment seines größten Triumphes war, dem Zeitpunkt seines Todes.
Doch der Tod ist es nicht allein, der dich zur Ikone macht. Wichtig ist auch, wie viele Menschen zusehen, wenn du stirbst, und dass die Kamera dich als Märtyrer erscheinen lässt. Auf meinem letzten Album gibt es einen Song namens „Lamb Of God“, in dem es genau darum ging; als ich ihn schrieb, dachte ich an Jesus, Lennon und John Kennedy. Der Tod fasziniert uns nicht nur, wir sind regelrecht verliebt in ihn, weil er uns solche Angst macht. Und die Menschen, die schon im Leben dem Tod nahe stehen oder auf tragische Weise ums Leben kommen, beschäftigen unsere Fantasie am meisten. Das ist Weltflucht, Vfoyeurismus, ein Stellvertreter-Leben. Oder ein Stellvertreter-Tod. Jim Morrison hatte etwas von einem Schamanen, er war eine Christus-Figur. Sehr inspirierend. Er brachte Dunkelheit in den Mainstream, mitten im Summer of Love. Er tat und sagte, was er wollte, und benahm sich wie ein Kind, bewundernswert und berührend. Ich verdanke es Jim Morrison, dass ich schreiben wollte, dass ich Acid nehmen wollte und das tat, was ich in meiner Jugend getan habe.
Als ich in der zehnten Klasse war, las ich „No One Here Gets Out Alive“, die Bestseller-Morrison-Biografie von Jerry Hopkins und Danny Sugarman, und wollte danach unbedingt schreiben. Mit 14 fing ich an, Tagebuch zu führen und war immer sehr darauf bedacht, dass niemand diese Sachen liest Es ist immer noch nicht einfach für mich, meine privaten Gefühle und meine dunkelsten Geheimnisse der Öffentlichkeit preiszugeben.
Morrisons ungebrochene Faszination rührt daher, dass er von Geheimnissen umgeben ist. Ich glaube, die Art und Weise, wie Rockstars heute auf MTV präsentiert werden, dazu der Voyeurismus des Reality-TV, ist eine enorme Gefahr für jeden, der auf irgendeine Weise „zeitlos“ werden möchte. Ich habe mein Leben lang versucht, mich von diesem Hinter-die-Kulissenschauen fernzuhalten. Es nimmt die Kraft aus dem, was du tust. Nur miese Zauberer fangen an, ihre Tricks zu erklären. All diese Typen, die sich bei „MTV Cribs“ (der Sendereihe, in der Stars wie Robbie Williams ihr Haus und Heim zeigen -Red.) vorfuhren lassen, machen etwas kaputt, was vielleicht ein großes Kunstwerk sein könnte. Heute kannst du zur Legende werden, ohne irgend etwas erreicht zu haben. Du kannst berühmt sein, weil du irgendwie „überlebt“ hast oder einen Millionär geheiratet oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Wir leben in merkwürdigen Zeiten.
Bei Jim Morrison ist es dieses dunkle, sexuelle Element. Du möchtest so wie er sein, wenn du älter bist. Bei Kurt Cobain geht es mehr darum, seinen Schmerz zu verstehen und zu erkennen, wie nahe der Tod uns steht. 1989, als ich noch Journalist war und kurz davor, eine Band zu gründen, schickten Sub Pop Records mir ein Werbepaket mit Bleach und einem Schwarzweiß-Foto von Nirvana. Die Platte hatte etwas Düsteres und Faszinierendes und löste Gefühle aus, die mich bei ihren Songs immer wieder überkommen. Du hörst eine Träne in seiner Stimme, den Schmerz, der in ihm wütet.
Als Cobain starb, hat das niemanden besonders überrascht. Ich war enttäuscht, aber irgendwie auch erleichtert, weil er in seinem letzten Lebensjahr derart zu leiden schien und die Qual jetzt wenigstens ein Ende hatte. Er hasste es, der Rockstar zu sein, der er am Ende war. Aber wie Morrison und Hendrix war er der Beweis dafür, dass die erstaunlichste Kunst von Menschen kommt, die ihr Leben so leben, als gäbe es kein Morgen.