Die Portishead-Sängerin spricht nicht gern. Der Ex-Talk Talk-Mann hasst es, Bass zu spielen. Beth Gibbons & Rustin Man passen gut zusammen
Schön wär’s, aber Achtung: Es war nicht vorgesehen, dass Beth Gibbons irgendetwas zu ihrer neuen Platte „Out Of Season“ sagt Beth Gibbons redet nicht mit fremden Leuten. Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, aber es ließ sich vermeiden, obwohl es dieses Mal wenigstens echte Fragen gegeben hätte. Nach ihrem Verhältnis zu Billie Holiday, die sie so toll imitiert. Ob es nicht unheimlich befreiend war, das eigene Aus- und Einatmen endlich mal ohne Bass und Beat auf dem Tonband zu hören. Danach, was jetzt eigentlich mit Portishead ist Sie sei halt krankhaft schüchtern, entschuldigt sich Paul Webb (er ist der Rustin Man), aber am Ende hat Beth Gibbons dann doch etwas gesagt Einen schönen Satz. Eigentlich nur einen halben. Der kommt später, denn erst muss sie singen.
„Out Of Season“ ist ein Album, das man schon deswegen schlecht erklären kann, weil die Vergleiche entfallen. Eine fünfte Jahreszeit. Als ob eine hundert Jahre alte Partitur mit Naturliedern im Moor gefunden und von den uneitlen Mitgliedern eines nordenglischen Konservatoriums zum ersten Mal gespielt worden sei. Vier Jahre haben sie an der Platte gearbeitet, hart umgerechnet: elf Minuten Musik pro Jahr. Keiner könnte sagen, ob hier ein junges Buschwindröschen oder eine ansatzgraue Diva singt, wenn er Beth Gibbons nicht sehen könnte, wie sie im Londoner Shepherds Bush Empire in Jeans eine der ersten Live-Shows mit der neuen Band gibt, von Akkordeon, Harmonium und Geige begleitet Auf der Bühne nur Leute von Portishead und Paul Webbs ehemaliger Band Talk Talk. Es ist keine absichtliche Fusion, es ist viel simpler: Gibbons und Webb kennen einfach nicht so viele Leute.
Überraschend bewegt sich Beth Gibbons am Ende des achten oder neunten Liedes plötzlich weg von ihrem Mikrofon und schnorrt sich in der ersten Reihe eine Zigarette. Weil Zigarettenanzünden im Theater an sich verboten ist, weiß jeder, der jetzt Rauch einatmet: Es ist ihrer. Nach neun Liedern ist Beth Gibbons aufgetaut, sagt man normalerweise. „Es lag eher daran, dass sie erleichtert war, weil das Konzert bald vorbei sein würde“, korrigiert Paul Webb am Morgen danach. Er kennt sie gut, denn er hat vier Jahre mit ihr verbracht Nicht nebenher, nicht als Projekt. Hauptberuflich. Das geht, wenn man von Tantiemen lebt Schon bei Talk Talk habe er manchmal drei Wochen für eine einzelne Bassgitarren-Linie gebraucht, vor allem, weil er sich mit dem Instrument nie wohlgefühlt habe. Er sehe sich mehr als Komponist, sagt Webb, deshalb sei er auch aus der Band ausgestiegen – der Kontakt zu Mark Hollis ist längst abgebrochen. Bei der endgültigen Aufnahme von „Out Of Season“ hat Webb auch gar nicht viel gespielt, auf den Demos schon – „zum Beispiel: Ich saß in Beths Heimstudio, habe irgendein Instrument genommen und improvisiert, sie hat es aufgenommen. Manchmal war ich zwei Wochen am Stück bei ihr in Devon. We jammed ourselves silly, dann haben wir alles ausgewertet, was wieder drei Monate gedauert hat“ Wenn er zurück daheim bei Frau und Kind war, im ländlichen Umkreis von London, rief Beth Gibbons an. Sie habe noch den einen Akkord verändert, jetzt sei alles gut.
Es gibt eine komische Legende über den Fehlstart der Gruppe Portishead. Nach der ersten Begegnung soll Beth Gibbons eine Arbeit mit Geoff Barrow abgelehnt haben, weil er in ihren Augen ein Bettkanten-Nerd war und sie (die Schüchterne) lieber vor Publikum singen wollte. Bei Beth Gibbons & Rustin Man muss es ganz ähnlich gewesen sein. „Irgendjemand“ (wer genau, das wissen sie lustigerweise nie bei solchen Geschichten) hatte Paul Webb eine Kassette gegeben, auf der die unbekannte Beth Gibbons wundervoll ein Janis-Joplin-Stück sang. „Leider war sie damals zu besessen davon, traditionelle, strukturierte Lieder zu singen“, sagt er, „während ich nach Talk Talk weg von Strukturen und hin zur Improvisation wollte.“ Als sie für die erste Platte von Webbs skandalös erfolgloser Experimental-Band ‚O’Rang backing vocals sang, war eben das Portishead-Debüt erschienen.
Einmal, im April 1995, ließ es sich nicht vermeiden, da hat Beth Gibbons gesagt, dass sie sich beim Singen zu Bartows Tracks immer sehr zügeln müsse, um nicht alles zu ruinieren. Vielleicht klingt sie auf „Out Of Season“ deshalb so anders, so ätherisch und gleichzeitig präsent wie etwas Unwirkliches, das man erschreckend scharf sieht: Sie musste sich nicht zügeln. „Bei Portishead, Talk Talk und der meisten modernen Musik hängt alles an den Drums“, sagt Webb, „bei uns hängen die Drums an den Melodien. In den 30ern und 40ern hatten Schlagzeuger bei Studio-Sessions nicht mal eigene Mikrofone. Solche Platten haben uns inspiriert.“ Da sind die Aftershow-Cocktails, und: Da ist Beth Gibbons, heiter. Es soll nur die Einleitungsfrage sein – Frau Gibbons, warum geben Sie keine Interviews? „Because I’m such an idiot!“ sagt sie, dazu grinst ihr gesamtes Gesicht wie bei einer Schülerin, die im Bus eine alberne Bemerkung belauscht hat und den Nebensitzer ohne Worte dazu bringen will, mit ihr drüber zu lachen, weil ich so bescheuert bin. Beth Gibbons hat eine Gruppe von Freunden entdeckt und entschuldigt sich. Es hätte eh keine offene Frage mehr gegeben.