Der Nashville-Renegat STEVE EARLE sieht das US-amerikanische Imperium schon in Trümmern liegen
Die Dinge nahmen schon ihren Lauf, als Steve Earle auf Urlaub in Irland noch andere Dinge im Kopf hatte. Da war dieser windige Journalist, der Wind von diesem Song bekommen hatte und es prompt schaßte, der Presseabteilung „viel zu früh“ (Earle) ein Vorab-Tape des neuen Albums „Jerusalem“ abzuschwatzen.
Das Resultat war die nette „New York Post“-Schlagzeile: „Twisted ballad honours Tali-rat“. Die Ratte heißt John Walker Lindh, studierte erst im Jemen den Koran und dann im Taliban-Camp diverse Sprengstoffe – mit dieser „verdrehten Ballade“ versuchte Earle sich in die Haut des jungen Malcolm X-Fans aus liberalem Spät-Hippie-Haushalt im kalifornischen Marin County zu versetzen. Der als Moslem damit klarkommen musste, dass sein Vater ein spätes Coming-out als Schwuler feierte. Und just zu 20 Jahren Haft verknackt wurde.
Die frühe Aufregung um John Walker’s Blues“ kann Steve Earle nicht ganz so ungelegen gekommen sein, wie er behauptet; any promotion ist immer noch good promotion. Wobei es dem 47-jährigen Musiker eine „besondere Genugtuung“ war, dass ihn selbst das „Wall Street Journal“ auf schnödem Boulevard-Niveau „unpatriotischer“ Umtriebe bezichtigte. Earle legt Wert auf die Feststellung, dass Stücke wie „The Truth“ und „America V. 6.0“ schon vor 9/11 entstanden. Dabei haute ihn der Vorschlag seines Label-Chefs Danny Goldberg, „Transcendental Blues“ ein dezidiert politisches Album folgen zu lassen, ursprünglich „nicht vom Hocker“. Denn „meine Politik ist, was meine Politik eben ist“, und fließe „ohnehin in meine Musik ein“. Und ist nicht Kunst und der Kampf um ihre Integrität „an sich immer schon hoch politisch“? Und gibt es nicht genügend schlechte Beispiele?
Doch dann saß auch Steve Earle „45 Minuten geschockt vorm Fernseher“, befürchtete schon, nicht nur sein Engagement gegen die Todesstrafe sei nun „völlig umsonst“ gewesen, und schrieb dann „die Platte, die Danny schon lange vorgeschlagen hatte, von der ich dachte, dass ich sie nie schreiben würde. Worüber sonst hätte ich schreiben sollen?“ Dabei (er-)löst er das Drama aus aktueller Emotions-Rhetorik. „Ashes To Ashes“ etwa reflektiert die historische Banalität, dass bisher noch jedes Imperium fieL Aber mit der Historie haben’s seine Amis halt nicht so. „Wir sind wohl dazu verdammt, die Fehler zu wiederholen, die alle gemacht haben. Wer waren noch gleich die Römer? Jedes Imperium fallt irgendwann, ob Musik, Politik oder Fußball. Hey, ich war Arsenal London-Fan in den 80er Jahren, als sie nur noch Mist gespielt haben.“
Und was wird von den USA bleiben, wenn auch sie warum auch immer in Schutt und Asche versunken sein werden? Zwei Dinge, so seine Prognose. „Rock’n’Roll“, klar, und „die Verfassung“. Earle: „Die ist größer als die USA. Nach dem großen Kollaps wird man feststellen: Hey, da standen ja ein paar gute Dinge drin.“