ELVIS IST TOT, ES LEBE DER KING

Es gibt zwei Dinge, die mir einfallen, wenn ich an Elvis Presley denke. Das eine ist der allseits bekannte „Elvis lebt!“-Mythos, der immer noch ab und zu in der amerikanischen Presse auftaucht, wenn mal wieder irgendein Fan den King in einem Supermarkt gesichtet haben will. Das andere ist ein Zitat von John Lennon, kurz nach Presleys Tod vor 25 Jahren: „Elvis ist nicht erst jetzt gestorben, sondern schon als er zur Army ging.“ An beiden Aussagen ist wohl etwas Wahres dran, und ich möchte noch eine dritte hinzufügen, die vielleicht deutlicher macht, warum das so ist. Sie stammt aus dem Buch „The Secret Fantasies of Fans“ von Fred und Judy Vermorel: „Schließlich gibt es bloß einen einzigen gangbaren Weg, Menschen zu konsumieren: Man muss sie auslöschen.“

Hört man sich heute die Aufnahmen an, die Elvis 1954 für das Sun-Label machte, ist man immer noch fasziniert. Ob Label-Chef Sam Phillips wirklich einen weißen Sänger suchte, der klingt wie ein Schwarzer, ist umstritten. Mit Presley hat er ihn jedenfalls nicht gefunden. „Ich höre einen jungen Mann, weiß wie der Wal, der deswegen besonders war, weil er in seiner besten Musik völlig sein eigener Herr bleiben konnte“, schrieb Greil Marcus. Hier war Presley noch ganz bei sich, seine Stimme und seinen Körper hatte er voll im Griff – und nur er. Der Presley-Biograf Michael Ventura beschrieb die ersten öffentlichen Auftritte wie folgt: „Elvis war ein leibhaftiger Bruch in der weißen Realität. Ein klaffender Spalt in die Natur der westlichen Welt.“ Durch seine Musik und das aufreizend-sinnliche Kreisen seiner Hüften sprengte Presley alle Werte und Symbole, an denen sich die Jugendlichen im prüden Nachkriegs-Amerika orientierten. Ein Schock für die Gesellschaft, ja: eine Gefahr.

Diese reagierte mit Vereinnahmung. 1958 gelang es ihr, den Körper des King unter Kontrolle zu bekommen: Elvis musste zur Armee und wurde zum Traum aller Schwiegermütter. Er war für zwei Jahre außer Gefecht gesetzt. In dieser Zeit wurde aus dem Rebellen Elvis Presley der Mythos des Kings, auf den die US-Bürger alle möglichen Wünsche und Gefühle projizieren konnten. „The minute he entered the army, Elvis proved himself smarter than any of us had ever given him credit for being: he became Forever“, so Lester Bangs.

Von da an lebte die Legende. Als Presley zurückkam, hatte sein Manager Colonel Parker Lunte gerochen, denn mit dem Mythos war viel mehr Geld zu verdienen als mit dem Bilderstürmer. Die Emotionen und Bedürfnisse der amerikanischen Mittelschicht ließen sich viel besser in Hollywood-Filmen und Schnulzen unterbringen. Von da an hörte man nicht mehr das aufreizend kreisende Becken, sondern nur noch die Lippe. Elvis‘ Bild in der Öffentlichkeit war zur Karikatur verkommen, zum Klischee, zum „Wegwerfartikel“ (Greil Marcus).

Mitte der 60er Jahre standen sich das mittlerweile arg ramponierte Bild des Kings in der Öffentlichkeit und der noch immer jugendhaft schöne Körper Presleys gegenüber. Als hätte er sich, wie die Titelfigur in Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“, nachdem sie ihr Porträt des Malers Basil sah, gewünscht: „Wenn ich es doch sein könnte, der ewig jung bliebe und das Bild müsste altern.“ Wie Dorian bleibt auch Elvis makellos schön, während sein Bild für jede seiner Sünden ein Stück hässiicher wird. Und wie Gray kann auch Presley die Hässlichkeit seines Bildes eines Tages nicht mehr ertragen und versucht, es zu zerstören. Das war um Weihnachten 1968, das Christmas-Special, ein letztes, unglaubliches Aufbäumen, ein furioser Auftritt im engen schwarten Lederanzug, der sein amponiertes Image wieler aufpolierte. Doch ihm vurde schnell klar, dass er liesen exzellenten Auftritt, ler da über amerikanische Jildschirme flimmerte, nienals würde wiederholen ;önnen. Sein Auftritt war :benfalls zur Legende geworden, und so teilte er mch hier das Schicksal des )orian Gray: Das Bild war lach dem Angriff wieder nakellos, er selbst jedoch var ruiniert.

Einige Jahre später sah nan einen fetten Klops über eine Bühne in Las Vegas rollen. Doch das zählte nicht, was zählte, war der glänzende Mythos, der jeden Abend neu zelebriert werden musste. Greil Marcus beobachtete, Elvis‘ Darstellung des eigenen Mythos sei für das Publikum derart befriedigend, dass er ohne die geringste musikalische Identität dastehe. „Er sieht aus wie Elvis“, begeistert sich ein Fan 1972 in Las Vegas bei einem seiner Auftritte. Was an dieser Figur aussieht wie Elvis, sind die Insignien des Mythos „King Of Rock’n’Roll“ – dargestellt durch den strassbesetzten Anzug. Zunächst war es das rebellische Becken, dann die lächerliche Lippe, nun also der Anzug. Somit hat sich der Mythos nun endgültig vom Körper Elvis Presleys gelöst. Wer in dem Anzug steckt – der monströs-obszöne „echte“ Elvis oder ein Imitator – ist völlig gleichgültig, denn den „King“ erkennt man nicht daran, wer er ist, sondern daran, was er trägt. Presleys Tod war da fast nebensächlich, denn der Mythos lebt jenseits des realen Körpers weiter – auch heute noch.

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