Ruhe in Benztown und Eimsbush, dafür Eminem-Show in Nellyville: DEUTSCHER HIPHOP steckt nach fetten Jahren in der kommerziellen und künstlerischen Krise
Es ist wie im Profi-Fußball oder beim Leistungsturnen, man muss nicht sehr alt sein, um sich zu alt für HipHop zu fühlen. „Wir war’n mal Stars, die Karriere ist vorbei“, hat der stattliche 31 Jahre alte Torch auf seiner letzten Platte gerappt, einer der ehemaligen Köpfe von Advanced Chemistry, die man ungeprüft gerne als erste richtige HipHop-Crew der deutschen Szene nennt. Ein kokettes Bild entwirft er: Die Veteranen gucken von den Treppenabsätzen der Heidelberger Heimat dem bunten Treiben der Kopisten zu, „Schluss mit der Heuchelei, wir sind frei, kein Underground, der im Popbusiness steht“. Der Einstieg der „Krauts With Attitüde“ (früher Compilation-Titel) ins Popbusiness geschah da widersprechen sich die Historienschreibungen nicht – im September 1992 mit „Die da“, dem Nummer-zwei-Hit der Fantastischen Vier. „We are from the Mittelstand, you know?“ hat Thomas D. einem Team von „MTV“ London erklärt, seither läuft der Laden für die geschichtsvergessenen jungen Deutsch-Rapper. Die Marke pflegt sich von allein, unterstützt von Major-Plattenfirmen. Sollte man denken.
In dem Moment fliegt die Top-Ten-Bilanz für das Jahr 2001 auf den Tisch: „Von innen nach außen “ von Curse (höchster Stand: Platz 9), „Samy Deluxe“ von Samy Deluxe (Platz 2), nicht mehr. Fettes Brot haben zum ersten Mal seit sechs Jahren die Liste verfehlt, Ferris MC hat von seinem Album „Fert’tch“ nur halb so viel verkauft wie vom Vorgänger, Afrobs „Made In Gertnany“ ist verglichen mit den Erwartungen ein Flop, ebenso in diesem Jahr JDas dritte Auge“ von Die Firma und „Dreamteam“ vom Plattenpapzt. Artist Development in die falsche Richtung die halbwegs etablierten deutschen Rap-Acts verlieren Käufer, während bei Eminem, Nelly und anderen die Nachfrage mindestens stabil bleibt. Dass eine Tbp-Ten-Platzierung heute ohnehin für viel weniger Umsatz steht als vor zwei Jahren, ist bekannt.
Zum 1. Juli kommt dann die Pressemitteilung, dass Urban (das Black-Music-Department von Universal) und der deutsche Ableger des Defjam-Labels ab jetzt „auf allen Ebenen miteinander kooperieren“, was unter anderem die Rapperin Pyranja und die Berliner Spezializtz den Plattenvertrag kostet. Und in Stuttgart, so hört man, legen selbst die eingeweihten DJs keine deutsehen HipHop-Stücke mehr auf. Zur kommerziellen Krise, die man wegerklären, ignorieren oder durch besseres Marketing beseitigen könnte, scheint die künstlerische Krise zu kommen., J)er HipHop-Hype hat seine Talsohle erreicht“, titelt die Branchenzeitschrift „Musikwoche“. Fettes Brot rappen: „Ich hab eine gute Nachricht für alle: Rap ist tot!“
Ob eine solche Aussage lässiger Defätismus, ein ernst gemeinter Alarm oder nur Spiel ist, lässt sich kaum sagen: Ausgerechnet im HipHop gehört es ja zu den typisehen Handbewegungen, sich gegenseitig zu dissen und zu verdächtigen, und das macht die Suche nach den Symptomen und Ursachen einer wirklichen Krise so schwer. Noch ein programmatisches Stück: „Deutschrap“ vom neuen Album der Massiven Töne, „MTV. „Es ist um Rap schlecht bestellt“, rappen sie da, „es heißt ,express yourself, aber alles, was sie rumschrei’n, ist ,express your Dummheit'“ – soll das ein zeittypisches Problem sein? Hätte man das nicht schon während der großen Deutsch-Hop-Blüte vor drei Jahren menetekeln können? „Es musstejetzt sein“, sagt Schowi von den Massiven Tönen. „Vor ’nem Jahr wäre es vielleicht auch schon passend gewesen.“
Schowi, eigentlich Jean-Christoph Richter, ist ein HipHop-Funktionär der zweiten Generation. Mitbegründer des Stuttgarter „Kolchose“-Netzwerks (aus dem auch die Gruppe Freundeskreis hervorging), Mitbegründer der Veranstaltungsagentur „0711-Büro“, Mitbegründer des „Kopfnicker“-Labels. „Ich habe das Gefühl, dass die Leute vergessen haben, Musik zu machen“, beginnt er die Krankheitsdiagnose. „Es werden zurzeit viele Tapes verkauft, man hört sich die Rapper an, und eigentlich sind das nur Hörspiele, reine Image-Geschichten. So wie kleine Mädchen Bibi Blocksberg hören, so verfolgen die Hip-Hop-Heads die krassen MCs, die unheimlich böse sind und Wörter in den Mund nehmen, die diejungs selbst nie aussprechen würden. 90 Prozent der Sachen, die wir bei Kopfhicker gekriegt haben, waren katastrophal schlecht. Wir haben uns ernsthaft gefragt: Warum haben die niemanden in ihrem Umfeld, der ihnen sagt, dass sie das lieber nicht einschicken sollten? Das zeigt für mich, dass die Leute in Deutschland hiphopmäßig im Großen und Ganzen keine Bildung haben.“ Es klingt wenig arrogant und sehr verzweifelt.
Dabei haben die wichtigsten Institutionen der Volksbildung in den letzten Jahren doch alles getan, um die Sache transparent zu machen. HipHop-Lexikon in der „Bravo“, Graffiti-Werkstatt im soziokulturellen Zentrum. „Das ist ja die Gefahr. Man glaubt, dass man HipHop versteht, man legt sich dieses ganze Weltbild zurecht, und das ist dann unerschütterlich. Dabei geht es doch um das Gegenteil, dass man keine Konventionen kennt und Einflüsse von überall her aufnimmt. Du brauchst nur Papier und Stift und eine drum machine, dann bist du der Definition nach ein Rapper, auch wenn du Scheiß-Musik machst“, sagt Schowi. Wer seiner Meinung nach den Scheiß verbrochen hat, erzählt er zwar nicht („HipHop-Deutschland ist so klein, man läuft sich dauernd über den Weg“), aber die Analogie zwischen dem Schallplattenmarkt und einer Toilette kann man sich grafisch vorstellen: Was verstopft ist, muss irgendwann überlaufen.
Dann werden auch gute Inhalte auf den Kachelboden gespült, aber die Massiven Töne standen mit „M T3″zum Redaktionsschluss unmittelbar vor dem Top-Ten-Einstieg (vergleichen Sie die letzte Heftseite, d. Red.). Was auch bei einer so namhaften Gruppe heute vor allem als Marketing-Erfolg gilt – 20 000 Sportwagen-Quartettspiele wurden passend zur Single „Cruisen“ auf Festivals verteilt, dazu Sticker und Flyer. „Man muss eine stimmige Welt um das Produkt herum schaffen“, sagt Emu Diakhate, der zuständige Marketing Manager der Firma Warner, „bei HipHop gehört dazu die klassische Street-Kampagne“. Mag sein, dass junge Rapper nur noch Stuss reden, aber er hat das aufziehende Unwetter früher gerochen. Da war das alte Problem, dass man deutsches Material gegen den Widerstand der Radios kaum promoten könne, und der typische Major-Label-Fehler, alles vom Markt wegzusignen, was es gab.
„Deutscher HipHop ist immer in der Krise gewesen“, meint Diakhate trocken. „Man hat Mittelmaß aufgeblasen in den letzten zwei Jahren. Die Leute, die HipHop am Anfang wegen der Hipness gekauft haben, finden jetzt etwas anderes hip. Und die echte Szene ist natürlich nicht bereit, Mist zu kaufen. Alle haben davor gewarnt. Bei Drum’n’Bass war das nicht anders, bei Acid Jazz auch nicht, und beim so genannten Nu Rock wird es auch bald so sein, glauben Sie mir.“
Man muss also jeden beglückwünschen, der den Absprung vom lebenslang lecken Vergnügungsdampfer vorzeitig geschafft hat. Vielleicht sogar Xavier Naidoo. Der ist kein Rapper, war aber bekanntlieh bis zur blutigen Trennung Teil von Moses Pelhams Rödelheim-Kombinat „3p“ und wurde als Feature-Sänger für Sabrina Setlur ins erste Bühnenlicht geführt. Das Familienmodell von 3p (wo man übrigens die Zeitzeichen erkannt hat und verstärkt R&B produziert) erscheint allerdings rückblickend als Musterbeispiel für Künstleraufbau und Gegenparadies zum deutschen Firmenalltag: „Die Talentsucher und A&Rs sind in den seltensten Fällen in der Szene aktiv“, urteilt Warner-Mann Emu Diakhate, „sie kennen die history der Musikfarbe nicht, und sie vergessen, was ein A&R eigentlich tun soll. Der wartet nicht an seinem Schreibtisch, bis die Hits vorbeifliegen. Der sollte im Studio sein und die Künstler betreuen. Diese Arbeit hat man seit den achtziger Jahren viel zu sehr den Produzenten überlassen, dabei geschieht hier doch die eigentliche Produktentwicklung einer Firma.“ Nirgends ist das nötiger als bei HipHop, wo jeder per Definition der Hauptdarsteller sein kann: Man braucht einen, der den MC zur Not wieder heimschickt und ein Jahr später nachschaut, ob sich etwas entwickelt hat.
Aber immer noch gibt es genug verlässliche crowd pleaser, um jedes Jahr die zwei größten Deutsch-HipHop-Festivals vollzukriegen. Beim Stuttgarter „HipHop Open“ und beim „Splash“ in Chemnitz traten, in weitgehend identischer Konstellation, die Flautengewinnler und alten Helden auf, vor lückenlos besetzten Wiesen. „Ich habe an die Krise geglaubt“, bekennt Stefan Faber, der bei „Viva“ die Show „Mixery Raw Deluxe“ produziert, „dann war ich beim ,Splash‘ und habe gesehen, wie 30 000 Leute für die deutschen Bands gesprungen sind. Seither gibt es für mich keine Krise mehr.“ Reggae von Seeed und Gentleman hat er gehört, für den es früher fundamentalistische Prügel gesetzt hätte. Und überhaupt, „dieser Anspruch, dass deutscher Hip-Hop sophisticated und politisch korrekt sein soll, der ist doch von außen, von uns Medien an die Künstler herangetragen worden. Die Korrektur hat in den USA schon längst stattgefunden: Es geht ja auch ums Bouncen und Partymachen.“
Vbr den ,Viva“-Auguren haben die Plattenfirmen mitunter am meisten Angst, der „Viva“-Produzent merkt das: Kürzlich hat man dort die missverständlich benannte „Schlüpfer-Rotation“ eingeführt, in der pro Woche ein Act präsentiert wird, dessen Qualitäten man mehr im Album-Bereich sieht. „Die Firmen schicken uns oft nur die Single“, sagt Faber, „aber wir wollen das Album hören. Wir fragen dann nach: Lasst ihr den auch nicht gleich wieder fallen?“ Joy Denalane lief als „Schlüpfer“. Tatsächlich ein Single-Flop und danach ein Top-Ten-Album.
Produzent DJ Stylewarz, gleicher HipHop-Jahrgang wie der eingangs zitierte Torch, hat es sogar hinbekommen, dass sein Album „The Cut“ erstmal ganz ohne Single herauskam. Das ist in letzter Konsequenz die Art von langfristigem, nicht an Blitz-Hits orientiertem Marketing, von dem viele gerade faseln. Als Ausweg aus einer Krise, die Stylewarz relativ sieht: „HipHop hat zwei Jahre lang über seine Verhältnisse gelebt. Klar gibt es viele junge Rapper, die nicht wissen, was sie tun. Aber wenn es ihnen keiner erzählt, woher sollen sie es wissen?“ Eine Nation von Millionen wird sie nicht aufhalten können, aber eine Handvoll Ignoranten schafft das immer.