Nach schweren Schicksalsschlägen haben RUSH wieder zueinander gefunden und endlich Abschied von der einstigen Opulenz genommen
Die Plattenfirma redet schon von einem Comeback: Lange sechs Jahre ist es immerhin her, dass Rush mit „Test For Echo“ neues Material präsentierten und damit ein musikalisch durchwachsenes Jahrzehnt zu einem vorzeitigen Ende brachten. Seither wartete man eigentlich täglich auf das offizielle Aus.
Die Gründe für die lange Stille sind dabei so bekannt wie tragisch. 1997 und 1998 verlor Trommler Neil Peart erst seine Tochter durch einen Autounfall, dann seine Frau an ein Krebsleiden. Peart, unter Schock und seines bisherigen Lebens jäh beraubt, verließ die Heimat in Toronto und verabschiedete sich aus allen ihm gebliebenen Zusammenhängen für gute zwei Jahre auf einen Motorradtrip, der ihn schließlich an die kalifornische Küste brachte, wo er seither lebt. „Ich wäre ein Lügner, wenn ich nicht zugäbe, dass ich an die Zukunft der Band nicht mehr so recht glauben konnte“, sagt Sänger/Bassist/Keyboarder Geddy Lee im Rückblick. „Wir haben erst mal versucht, Neil so gut es ging zur Seite zu stehen und alles von ihm fernzuhalten, was mit Rush zu tun hatte.“ Es wurde 2000, bis Peart den Neuanfang wagen wollte.
„Um in Ruhe arbeiten zu können, mieteten wir für ein ganzes Jahr ein kleines, von einer befreundeten Familie betriebenes Studio in Toronto“, erzählt Lee, „je weniger Fremde, desto besser.“ Was folgte, beschreibt Lee als einen recht schwierigen Prozess des Sich-Annäherns und Wiederherstellens, in dem viel geredet und eher wenig musiziert worden sei. „Es war ein Versuch, nicht mehr. Wir waren zu jedem Zeitpunkt bereit, die Aufnahmen abzubrechen und die Band endgültig aufzulösen.“ Schließlich entstanden aus den mitgebrachten Lyrikskizzen von Peart und vorsichtigen Sessions dann doch die ersten Songs, die die mittlerweile 30 Jahre gewachsenen Strukturen der altgedienten kanadischen Kunstrocker langsam reaktivierten.
Das nun fertige „Vapor Trails“, ein relativ unbehauenes Ding aus hoch verzerrten Gitarren und kantigen Arrangements, bringt eine 1989 mit dem Album „Presto“ begonnene Entwicklung zu Ende. Lee, Lifeson und Peart begeben sich in die größtmögliche Distanz zu der Keyboard-geschwängerten Opulenz, die ihre Alben in den 80er Jahren geprägt hatte, und verweisen gelegentlich sogar auf die ungehobelte Trio-Emphase des Frühwerks. „Unsere letzten Platten waren ein fast physischer Befreiungsschlag gegen uns selbst“, schmunzelt Lee, im Gespräch eben der freundlich-bedachte Mann, den man sich vorgestellt hatte, „wir waren in all der Elektronik gefangen, die wir um uns aufgetürmt hatten. Da war ein Update nötig.“ Nun mag Lee auch wieder an ein Morgen für Rush glauben. „Wir sind mittlerweile erstens Freunde, zweitens Musiker“, setzt er die Prioritäten richtig, „und auf dieser Grundlage gehen wir einen Schritt nach dem anderen. Wohin und wie weit, wird sich zeigen.“