Viele Kollegen singen seine Songs, und täglich werden es mehr. Nun hat Alleskönner LEE HAZLEWOOD selbst wieder ein neues Album zusammengestellt
Gegen jede Vernunft und wider besseren Wissens stellt man sich Lee Hazlewood auch heute noch genauso vor wie auf den Covern seiner Singles aus den späten Sechzigern: Auf „Something Special“ zeigte Lee uns einen seiner gefürchteten Ringelpullover und tadellos blitzende Zahnreihen – und auf „Suzi Jane Is Back In Town“ eine Sonnenbrille, die einen jederzeit wieder in Erstaunen versetzen kann; der frappante Schnauzbart erschien damals wie ein unveränderliches Merkmal. Gibt es heutzutage mal wieder irgendein obskures Swing- oder Easy Listening-RevivaL werden Hazlewoods Songs dafür dankbar zweckentfremdet, ohne dass es je für ein wirkliches Comeback des legendären Alleskönners gereicht hätte. Es muss schrecklich geklungen haben, als Bono von U2 erst im Februar gemeinsam mit der irischen Landplage The Corrs anlässlich eines „St. Patrick’s Day Specials“ des Musiksenders VH-1 „Summer Wine“ von Lees berühmtestem Album „Nancy & Lee“ anstimmte. Das gerade veröffentlichte Tribute-Album „Total Lee – The Songs Of Lee Hazlewood“ klingt da schon versöhnlicher: Wie gewohnt brillieren Lambchop, Calexico und die Tindersticks, auch der Rest kann sich, mal mehr, mal weniger, sehen lassen. Auch Lee selbst ließ sich nicht lange bitten. In den Achtzigern und Neunzigern komplett von der Bildfläche verschwunden, kehrt er nun mit rarem und neuem Material, augenzwinkernd „For Every Solution There’sAProblem“ genannt, zurück. Dass einen die eigene Erinnerung und die unterschlagenen Jahre tatsächlich überlisten werden, weiß man spätestens beim Gespräch mit Hazlewoods Begleitpersonal: Lee sei anwesend, er sei sehr gut drauf, er rede so viel, dass keiner der anwesenden Pressevertreter es geschafft habe, mehr als zehn Fragen zu stellen. Vor allem aber sei er alt geworden. Als erster DJ Elvis Presley aufzulegen, mit Phil Spector zusammenzuarbeiten, „Something Stupid“ für Frank Sinatra und Tochter Nancy zu produzieren und Gram Parsons letztendlich zur Veröffentlichung seines Albums mit der International Submarine Band zu verhelfen – nur ein paar der Verdienste Hazlewoods, für die andere mehrere Leben oder eine Ewigkeit brauchten. In ein paar Wochen feiert Lee seinen 73. Geburtstag. Mittlerweile hat er drei Kinder von zwei Frauen, vier Enkel und einen UrenkeL Seine Sonnenbrille ist diesmal Marke „Rentnerparadies“, auch Basecap und Lederjacke haben schon bessere Tage gesehen. Wehren ist zwecklos – die einzige Chance: Lee Hazlewood reden lassen. I Lee über den Umgang mit ungebetenen Gästen: „Nachdem ich lange Zeit in Europa herumvagabundiert bin, lebe ich jetzt zufrieden mit meiner Jeanny in Texas. Wir sind nicht verheiratet, aber sie hat meinen Namen angenommen. Die Leute würden gern herausfinden, wo ich wohne, aber sie schaffen’s nicht. Vor kurzem hat eine Frau, die mich zu einem Jubiläumstreffen der High-School-Absolventen einladen wollte, einen Freund von mir aufgespürt, um ihn nach meiner Telefonnummer zu fragen. Er sagte zu ihr: ,Lee kennt seine Telefonnummer nicht, also hat er mir sie nie gegeben.‘ Ich kenne meine Nummer wirklich nicht. Because I never call nie.“ m Lee übers Fernsehen: „Ich schaue MTV, aber ich kenne die Namen der Bands nicht, die dort gespielt werden. Die Einblendung am unteren Bildrand ist so schnell wieder weg, so schnell kann ich gar nicht gucken, geschweige denn lesen. Dafür hab ich noch vier alte Kopien von Michael Ciminos ,Heaven’s Gate‘ im Keller gelagert. Vielleicht sind die irgendwann doch mal was wert.“ ¿ Lee über Provinzler: „Die meisten Zeitgenossen sind schon etwas seltsam. Letztens ging ich in einen Zeitschriftenladen, um wie jeden Tag meine drei Tageszeitungen zu kaufen, und der Typ hinterm Tresen fragte mich ernsthaft, was ich denn mit so vielen Zeitungen wolle und ob vielleicht mein Fernseher kaputtgegangen sei. Kaum zu glauben, aber so sind nun mal die Menschen hier in Texas.“ ¿ Lee und die Geschichte von „These Boots Are Made For Walking“: „So um 1961 sitze ich in einer Bar und warte auf meinen besten Freund. Ich kenne jeden in der Bar, bis auf diesen stämmigen Mann Mitte 40, der eine halb so alte Frau geheiratet haben soll. Und seine Frau ruft in der Bar an, schon zum zweiten Mal, und alle hören, dass dieser Baum von einem Mann nach Hause kommen, aber vorher dringend Babynahrung kaufen und mitbringen soll – natürlich haben wir ihn damit die ganze Zeit aufgezogen. Da setzte er sich breitbeinig hin, schaute grimmig und wild entschlossen, blickte auf seine Stiefel und rief: ,Don’t you worry when I get home – if you mess with me, diese boots are gonna walk all over you.‘ Und ich dachte nur: Wow, das ist großartig.“ I Lee über Frank Sinatra: „Ich weiß nicht, woher die Gerüchte kommen, dass wir nicht miteinander klarkamen. Vielleicht durch die unsinnigen Gerüchte, ich hätte was mit seiner Tochter gehabt. Frank war immer ein Businessman – und würdest du etwa jemanden hassen, der deine 27-jährige Tochter plötzlich reich macht? Comeon. Frank setzte diesbezüglich großes Vertrauen in mich. Einmal saßen wir zu dritt in New York in diesem Restaurant und wollten in Ruhe essen. Mit einem Mal kam da dieser Kerl an unseren Tisch und hielt Nancy einen Vertrag mit den Worten ,Sign this!‘ unters verdutzte Gesicht. Ich sagte zu Nancy ,Tu’s nicht‘ – und hab dem Lackaffen letztendlich eine gelangt. Ich hätte ihn gut und gerne mitten ins Gesicht hauen können, aber ich habe es dabei belassen, ihm eins aufe Schulterblatt zu geben. Bevor er zurückschlagen konnte, kamen plötzlich zwei Typen aus dem Nichts und schleppten ihn weg. Frank sagte nur: ,Ich schätze es, dass du gut auf meine Tochter aufpasst.‘ Spätestens da wurden wir Freunde.“ I Lee über den Ruhm und das vermeintliche Traumpaar Nancy & Lee: „Nancy wird von den Leuten auf der Straße immer noch sofort erkannt und muss ständig Autogramme geben. Gerade vor zwei Wochen erst habe ich mit ihr telefoniert. Mich erkennt ja niemand, ich bin alt, und Legenden nutzen sich schnell ab. Obendrein bin ja auch angezogen wie ein Penner. Ich bin zufrieden, solange ich eine warme Mahlzeit und genug Schlaf habe. Finanziell geht’s mir blendend, die Tantiemen, weißt du? Es war damals schon ein Riesenspaß, die Öffentlichkeit mit anzüglichen Songs wie ,Sugar Town‘ oder ,Some Velvet Morning‘ zu provozieren. Auch die vermeintlich simplen Boy/Girl-Lieder hatten doch meist eine dunkle, mysteriöse Seite.“ I Lee über neues Album „For EverySolution There’s A Problem“ und das Hazlewood-Tribute „Total Lee“: „JJirtnap Stories‘, ,Strangers, Lovers, Friends‘ und der Bonus-Track sind Stücke, die ich innnerhalb der letzten zehn Monate geschrieben habe. Zwei Songs sind bislang nie veröffentlichte Demos, die AI Casey noch rumliegen hatte, und der Rest sind Demo-Fassungen von Songs, die später mit Orchesterbegleitung veröffentlicht wurden. AI sagte immer zu mir: ,Lee, you sing better on demos than you sing on bigrecords.‘ Und hast du dieses Tribute-Album gehört? Ist das nicht großartig? Von all den Interpreten kenne ich ehrlich gesagt zwar nur Calexico, Lambchop und die Webb Brothers, aber auch der Rest ist stellenweise geradezu genial.“ Jan Wigger