Arne Willander über die inszenierte Reality-Sitcom „The Osbournes“ und den genialischen Selbstdarsteller Ozzy als Privatier der Rockmusik
Die Anekdoten über Ozzy und seine Aussetzer und Eskapaden, an denen sich Heavy-Metal-Apologeten seit Jahrzehnten wärmen, haben eine eigene Folklore begründet, die das einst Erschütternde ins Possierliche überführt hat. Die angeblichen Schrullen, Skurrilitäten, Absonderlichkeiten des Patienten werden beschworen wie Epiphanien, um einen Rest Relevanz in der Bürgerschreck-Attitüde nachzuweisen. Metal, seit je die Musik von Modernisierungsverlierern, Bierdimpfeln und Freaks, ist natürlich —- anders als die widerlichen Horrorshows von Rammstein, Marilyn Manson oder Slipknot -— vollkommen ungefährlich, ein Sedativum zur Unterstützung des Status quo. Ozzys frühe Skandale — mal biss er in eine Fledermaus, mal pinkelte er gegen eine amerikanische Institution, haha — nehmen sich heute aus wie Bubenstreiche, und dass die Drogen ihn verblödet hätten, verliert auch ein wenig den Schrecken, wenn sie mit Millionen bezahlt werden.
In jeder Hinsicht einleuchtend ist es also, dass der vormalige Bürgerschreck jetzt selbst Bürger geworden ist — und in Beverly Hills ja durchaus kein ungewöhnlicher. Wer soll sich über die Osbournes wundern, wenn der weirdo Marion Brando in der Nähe wohnt? Während Brando seit Beginn seiner Karriere, ja recht eigentlich bereits als Schüler daran arbeitete, spätere Rollen an Wahnsinn zu übertreffen, muss Ozzy irgendwann eingefallen sein, dass man Freak auch als Beruf ausüben könnte, so wie es später Nina Hagen, Dieter Bohlen, David Copperfield und Verona Feldbusch erfolgreich praktizierten. Woran immer Ozzy leiden soll, Wortfindungsschwierigkeiten und Konzentrationsstörungen: nichts, was vermeintlich normalen Menschen nicht täglich widerfährt. Die Erfindung Ozzys aus dem Geist der Demenz besteht in der immergleichen bequemen Freizeitkleidung eines rekonvaleszierenden Vorruheständlers, dem trippelnden Gang von Brian Wilson und dem unbewegten Gesicht von Buster Keaton. Er malt — gut, etwas exzentrisch —Figuren auf Papier aus.
Hinter der Maske verbirgt sich ein genialischer Schauspieler, der ein Bonmot nach dem anderen erfindet und dabei den so genannten britischen Humor nicht verbirgt, „l’m a rockstar!“ witzelt der angeblich Umnebelte, um häuslichen Aufgaben zu entkommen, die sowieso seine Frau Sharon erledigt. Den überall hinkackenden Köter bezeichnet Ozzy als Terroristen aus bin Ladens Bande, freilich schaut er am liebsten historische Dokumentationen und — Lemmy grüßt von ferne — altes Kriegszeug. Auf einem Umzugskarton steht natürlich „dead things“. Wer Ozzy für eine Art „Rain Man“ des Rock hält, übersieht doch wohl, dass Autisten selten zur Ironiefähig sind. Der Kampf mit der Fernbedienung: überall unvermeidlich, bloß dass Ozzy den Unpatenten gibt. Die scheißenden Hunde: ein bisschen eklig und von Sharon inszeniert, aber nicht weiter wichtig in einer Villa mit Steinfußboden, allerdings ausgesucht geschmacklosem Interieur. Die pissende Katze: ein runnmg gag.
Sogar die Kinder haben sofort ihre Rollen angenommen. Zwischen der „Addams Family“ und den Gören der „Sopranos“ spielen sie die amerikanischen Jugendlichen, wie das Fernsehen sie vormacht. Eine „dysfunktionale Familie“ sind die Osbournes mitnichten — vielmehr funktioniert die Familie besser als der deutsche Durchschnittshaushalt. Man werfe einen Blick in die Küche oder bedenke, dass für die Tölen eine Hundetrainerin engagiert wird. Während Ozzy in bestem Britisch seine Apercus streut und bloß dekorativ immerzu „fuckin“ einstreut -— ein Manierismus, den die gesamte Familie übernommen hat -, gibt Sharon die Frau mit dem Helfersyndrom und dem Tier-Tick. Kein Problem, wenn man viel Zeit und Geld hat und sich nicht bei jeder Gelegenheit karitativ betätigt. Schulkameraden begrüßen Dad respektvoll als Pater familias.
Es wird nicht lange dauern, bis die Obdachlosenverbände und Pädagogenclubs den dekadenten Lebenswandel dieser Sippschaft geißeln werden. Anders als bei „Big Brother“, schweigen in Deutschland noch Unvermeidliche wie Günther Beckstein zu der Serie, Möllemann ist noch nicht mit dem Fallschirm auf dem Anwesen gelandet, und Westerwelle wird nicht eingeladen.
Womöglich lässt sich per Sitcom mancher Spitzbube resozialisieren. Aber auch Programme mit begnadeten Komikern wie den Burschen von der Bloodhound Gang, die den ganzen Tag Titten witze erzählen, oder den Jungs von Blink-182, die furzen, rülpsen und die Hosen herunterziehen können, wären durchaus auf dem Niveau des amerikanischen Fernsehens. Kochen mit Trent Reznor, Gartenarbeit mit Fred Durst, am Swimmingpool mit Kiss — so werden diejenigen, vor denen uns die E Kern immer gewarnt haben, zu denen, die uns vor den Eltern warnen.
Und der Rock’n’Roll der Zukunft wird ein Ohrensessel am Kaminfeuer sein.