Bernd Gockel über NEILL YOUNG, amerikanischen Patriotismus und die Frage, ob politische Positionen die ästhetische Rezeption hijacken können
Ob das neue Neil Young-Album einmal rückblickend emotionsloser, gar „objektiver“ beurteilt werden wird, steht in den Sternen – derzeit jedenfalls stehen die Chancen denkbar schlecht.
Schon der Titel des Albums sorgte im Vorfeld für ideologische Mulmigkeit. „Are You Passionate?“, so hieß es, sei ein patriotisches Bekenntnis zum Amerika des 11. September. Das Cover (rote Rose auf Tarnanzug) gab der Befürchtung neue Nahrung – und als dann die Single „Let’s Roll“ (eine Reverenz an die beiden Amerikaner, die auf „Flug 93“ die Terroristen attackierten) alle dunklen Vorahnungen noch übertraf, eilten die düpierten Young-Verehrer weinend zur Klagemauer.
Keine Frage: Eine Zeile wie „Going after Satan on the wings of a dove“ ist eine Lachnummer, peinlich aber doch nicht wegen der politischen Position (die zu teilen man in keiner Weise gezwungen ist), sondern aufgrund der sprach-lichen Plattheit, die krass unter Youngs gewohntem Niveau liegt. Gleiches gilt für die krude Cover-Ästhetik – was die Vermutung nahelegt, dass Patriotismus und Ästhetik nicht gerade die idealen Bettgenossen sind.
Im Gegenzug sollte man sich im Lager der Rezipienten aber auch der Frage stellen, ob hier nicht mutwillig Äpfel mit Birnen vertauscht werden. Anders gesagt: Ist es möglich, dass politische Positionen die ästhetische Rezeption überschatten?
Hinter dem vorauseilenden Misstrauen gegenüber jeglichem nationalen Pathos steht offensichtlich das europäische Unvermögen, den amerikanischen Patriotismus als ein Phänomen zu akzeptieren, das – lässt man imperialistische Exzesse mal außen vor – im Grunde eine beneidenswerte nationale Tugend ist. „Die Engländer“, mokierte sich unlängst Mick Jagger über den Stars & Stripes-Rausch, „haben spätestens nach dem 1. Weltkrieg erkannt, dass Patriotismus nichts als Humbug ist.“
Was haben wir gelacht. Man muss nur an die jüngste Michael-Schumacher-Kampagne der Londoner „Times“ erinnern, um sich die latente Virulenz des britischen Nationalismus vor Augen zu führen. Natürlich sind die Feindbilder heute auf wohlfeile Schlagzeilen zurechtgestutzt. Statt Blut fließt nur noch Häme (immerhin!). Doch dieser Patriotismus, dem die zivilisatorisch unerwünschten Zähne gezogen wurden, entpuppt sich in der Realität als umso perfider und hinterfotziger. Und wer nun behauptet, die britischen Beißzwänge seien doch nur das Werk von Rupert Murdoch und seinen Yellowpress-Junkies, verwechselt Ursache mit Wirkung: Es sind nationale Bedürfnisse, die hier gestillt werden – und dementsprechend hohe Auflagen generieren.
Einem Volk, das kollektive kosmopolitische Utopien verinnerlicht – oder zumindest die schlimmsten Pickel der politischen Pubertät auskuriert hat -, würde man vielleicht noch das Recht attestieren, den US-Patriotismus als atavistischen Reflex zu belächeln. Deutschland, diese stoiberisierte Ruine nationaler Identität, sollte bei der Diskussion besser auf jegliche Wortmeldung verzichten.
Selbst beim „Spiegel“, der sich bislang nur durch Augsteins keifende Anti-Amerika-Tiraden positionierte, scheint man inzwischen ins Grübeln gekommen zu sein. Im November letzten Jahres schrieb Henryk M. Broder einen bemerkenswerten Essay („Die Arroganz der Demut“), der so gar nicht zur bisherigen Hochnäsigkeit passen wollte. „Im Gegensatz zum Anti-Kommunismus“, schrieb er, „der sich mit dem Ende der Sowjetunion erübrigt hat, hat sich der Anti-Amerikanismus weiter entwickelt…. Mögen die Franzosen den Amerikanern vor allem ihre Essgewohnheiten und ihre Oberflächlichkeiten verübeln, dennoch sagen sie jedes Jahr zum D-Day: ‚Thank you – our liberators!‘ In Deutschland werden Essgewohnheiten und Oberflächlichkeiten nur vorgeschoben… Noch immer kränkt die Erfahrung, dass man sich nicht aus eigener Kraft befreien konnte, sondern dass es Kaugummi kauende Neger waren, die deutschen Studienräten ihre NSDAP-Insignien abnahmen.“
Dass man kulturell nun auch noch von Amerika angefixt ist, macht das nationale Dilemma nur noch prekärer. Schließlich, um noch einmal Broder zu zitieren, »wird kein Mensch gezwungen, in einen Film von Spielberg oder in ein Konzert von Madonna zu gehen. Statt Dylan und Leonard Cohen hören wir fortan nur noch Sasha und Herbert Grönemeyer, und dem depressiven Humor von Woody Allen halten wir die dralle Heiterkeit von Dirk Bach entgegen“.
Was wir natürlich nicht tun. Wir werden auch weiterhin Neil Young hören – auch wenn uns das Unterbewusstsein für eine Weile mit der Frage quälen wird, ob unsere Ohren hören dürfen, was der Kopf nicht hören will.
PS: Am 1. März hatte Wolfgang Doebeling Gelegenheit, Neil Young in Boston zu interviewen (s. Seite 52). Noch am selben Tag gratulierte Youngs Plattenfirma dazu, dass aus den vereinbarten 45 Interview-Minuten – auf Wunsch des Künstlers! – stolze 90 wurden. Was bei einem „schwierigen“ Menschen wie Young ja geradezu sensationell sei. Young selbst verabschiedete Doebeling mit den Worten: „I really respect you, Wolfgang.“
Tags darauf war plötzlich alles ganz anders: Das Management kritisierte den „überkritischen“ Ansatz des Interviewers und sagte die wenigen anderen deutschen Interviews („Stern“, „Spiegel“) kurzerhand ab.
Könnte es sein, dass Young bei seiner Begegnung mit der europäischen Presse klar wurde, dass nicht nur sein Album, sondern auch sein Patriotismus auf den Prüfstand kam?