Mit „Heaven‘, dem Eröffnungsfilm der Berlinale, hat TOM TYKWER seinen ersten internationalen Film gedreht. Das Ergebnis ist zwiespältig, macht aber Hoffnung
Der Mann strahlt eine nervöse Freude aus. Wie man den Film denn so finde, fragt Tom Tykwer. Faszinierend, irritierend… „Schön“, sagt Tykwer und begründet auch gleich die weniger schöne Art, schon am Anfang des Gesprächs die Meinung seines Gegenübers ausloten zu wollen. „Ich habe einen langen, unglaublich anstrengenden Weg hinter mir. Da giert man direkt nach Reaktionen. Wenn die Leute dann sagen, der Film sei ganz okay, findet man das nicht so schön.“ „Heaven“ (Start: 21.2.), sein fünfter Film in fast zehn Jahren, hat vor kurzem die Berlinale eröffnet. Der Beifall war freundlich; also nicht so schön. Einen wie Tykwer aber, der schon etwas zu lange als Deutschlands größtes Regietalent gilt und es seinen Zuschauern nicht immer leicht macht, richtet keiner überhastet Immerhin hatte er mit „Lola rennt“ den originellsten heimischen Publikumserfolg seit langem gedreht. Und mit „Heaven“ hat er ein Vermächtnis des polnischen Regisseurs und religiösen Kryptikers Krzysztof Kieslowski („Drei Farben“) verfilmt Die Hauptrollen spielen die wunderbare Australierin Cate Blanchett (Nova Meier Henrich vor der Premiere am roten Teppich zu Axel Schulz, dem dümmsten Boxer der Welt: „Axel, findest du Cate Blanchett auch toll?“ – „Aäh, öh, also, ich beschließ jetzt mal, dass ich sie auch toll finde.“) und der Italo-Amerikaner Gio(,,Der englische Patient“) und der Amerikaner Sydney Pollack (Jenseits von Afrika“). Und überwacht wurde alles von Miramax, dem Filmstudio der Gebrüder Weihstein. Und mittendrin eben Tykwer mit seiner Berliner Produktionsfirma X Filme. Deutschland international – das hört sich wie ein schöner Traum an. Roland Emmerich hat es mit seinen großspurivanni RibisL Als Produzenten fungier- gen Hollywoodfilmen hierzulande den ten unter anderem renommierte Regis- Nörglern immer leicht gemacht Wolfseure wie der Brite Anthony Minghella gang Peterson wird wegen „Das Boot“ immer mal wieder geschont Tykwer jedoch spricht die deutsche Schicksalsschwere ebenso an wie die Sehnsucht nach dem Populären, Glamour, Erfolg. Insofern war „Heaven“ der perfekte Eröffnungsfilm für die Berlinale, die seit jeher selbstquälerisch zwischen Filmstars und Filmkunst eiert. Obwohl Erfolg bei Tykwer immer relativ ist Als Ziel hat er immer, mit einem Film „eine inhaltliche Auseinandersetzung zu schaffen und trotzdem das Kino vofi zu machen“. Er redet wie ein Cineast und spricht von sich selbst als „Kinogänger, der einen Film lustvoll erfahren und nicht als Schwerstarbeit empfinden will“. Es solle „Spaß“ machen aber bitte mit Tiefe, indem man „darüber reden und streiten kann“. Mit anderen Worten: Tykwer liebt das Kino, das große Kino, das Kino als Moment einschneidender Erlebnisse., Jch kann mir hintereinander Spielberg, Wenders und Rivette ansehen, ohne dass mich die Verschiedenartigkeit deren Filme stört“, sagt Tykwer und freut sich, dass „Lola rennt“ im Ausland noch häufiger geschaut wurde als in Deutschland. In den USA gehört er gar zu den erfolgreichsten fremdsprachigen Filmen. Als ihm Miramax das letzte Skript des verstorbenen Kieslowski andiente, hat dennoch niemand erwartet, dass er einen straffen Hit hinlegen würde. Dafür ist der Stoff auch zu poetisch und tückisch. In „Heaven“ geht es um die Englischlehrerin Philippa (Blanchett), die in Turin aus Verzweiflung über die Untätigkeit der Behörden ein Bombenattentat auf einen Drogenhändler verübt. Dabei sterben allerdings nur ein Vater und seine zwei kleinen Töchter. Philippa ist geschockt, lässt sich widerstandlos festnehmen. Doch die Polizei akzeptiert ihre Motive nicht und hält sie Amerikanische Abenteuer: TYKWER in Hollywood, VONNEGUT im Abgrund der Vorstädtefür eine Terroristin. Nur der junge Carabiniere Filippo (Ribisi), der bei dem Verhör dolmetscht, glaubt ihr. Und aus Liebe hilft er ihr, den Dealer doch noch zu töten. Danach flieht er mit Philippa durch die italienische Provinz. „Heaven“ ist der erste Film, zu dem Tykwer nicht selbst das Drehbuch verfasst hat. „Aber ich konnte mich sofort mit der Story und ihren Figuren identifizieren, als stammten sie von mir.“ Mit der hintergründigen Thematik – Zufalle, Seelenverwandschaft und Erlösung durch liebe – hatte sich Tykwer auch in „Der Winterschläfer“, „Lola rennt“ und „Der Krieger und die Kaiserin“ befasst Er sei kein praktizierender Christ wie Kieslowski und „gehe an die Theologie nur theoretisch heran, aber ich glaube an ein dialektisches Konzept vom Leben und Schicksal“. Und dafür hat er in „Heaven“ mit elegischen, erlesenen Bildern mehr als adäquate Symbole gefunden. Geradezu unheilvoll sakral erscheint die Szene, in der Philippa auf einer Rolltreppe hinunter fahrt, während im Hintergrund der Lift am Bürohaus mit der Bombe nach oben steigt. Die Detonation ist nicht zu sehen, nur als dumpfer, fast stummer Knall zu hören, wenn die Wucht die Fahrstuhltür eindrückt und einen glühenden Spalt reißt wie die Pforte zum Fegefeuer. Ohnehin sprechen hier überwiegend die Bilder und die Blicke zwischen Philippa und Filippo, deren Gefühle fast zu zerbersten drohen im Schweigen. In der ersten Hälfe des Films führt das zu einer ergreifenden, auch bedrückenden Intensität Danach aber, in den prachtvollen expressionistischen Farben der Toskana, wird die Geschichte all zu zäh und gar kitschig, wenn sie sich im Gegenlicht der Abendröte wie Adam und Eva unter einem Baum auf einem Hügel lieben. Das Ende, es bleibt Tykwers Manko. Bei, JDer Krieger und die Kaiserin“ uferte es aus, jetzt stolpert er in einen märchenhaften Schlussakt. Zehn Monate hat Tykwer an „Heaven“ geschnitten, während seine Lebensgefährtin Franka Potente mit einem Part in Ted Demmes „Blow“ auch die ersten internationalen Erfahrungen machte. Tykwer sagt, er habe alle Freiheiten gehabt und keinen Bammel vor den berüchtigten rigiden Eingriffen der Weinsteins oder dem übermächtigen Ruf von Minghella und Pollack. „Ich hatte eine klare Vision, dann ist man gut gewappnet Und da X Filme an der Produktion beteiligt war, hatte ich kreative Rückendeckung aus der Heimat Und die Gruselfaktoren, die man immer über die Amis hört, sind eher eine Legende. Eigentlich prüfen sie nur, ob du dir sicher bist. Deshalb versuchen sie dich auch zu verunsichern. Man muss halt lernen, die irritierenden von den konstruktiven Vorschlägen zu unterscheiden.“ Bei den Testvorfuhrungen war er sogar dabei. „Nach so langer Arbeit verliert man die Distanz zu dem eigenen Film. Ein Screening ist da gnadenlos, man merkt sofort, wenn die Leute unruhig werden.“ So wurde auch geopfert, was Minghella und Pollack gelassen hätten. „Das sind irrsinnig höfliche, verständnisvolle Typen. Ich hatte nie das Gefühl, da kommen jetzt die Gurus und geigen mir ihre Meinung.“ Dann blitzt wieder seine nervöse Freude auf: „Ich glaube, sie sind sehr stolz auf mich.“ Oliver Hüttmann