Willkommen in der Wirklichkeit
Jung, forsch und begabt: Eine neue Regiegeneration belebt das deutsche Kino mit lebensnahen und humorigen Debütfilmen über das Erwachsenwerden
Hoch ist es nicht ganz abgebrannt, das deutsche Kinoland. Mehr als acht Millionen Zuschauer haben sich bisher,.Der Schuh des Manitu“ angetan, und damit ist das Komödchen aus dem Geist des Fernsehens nun nicht nur vom Niveau her auf der Höhe der „Otto“- und eben „Winnetou“-Reihen. Künstlerisch hilft dieser Erfolg also dem deutschen Film nicht weiter, aber er reißt zum Jahresende erheblich die schwache Umsatzquote heimischer Kinoproduktionen hoch und beschert Bernd Eichmgers Firma Constantin, die ohnehin gut im Wettbewerb liegt, einige weitere Millionen Mark.
Kommerziell zwar nicht durchschlagend, jedoch allemal stark erweist sich ein anderer und eher kleiner deutscher Film. Knapp 700 000 Leute wollten bereits „Lammbock“ sehen, das Regiedebüt von Christian Zübert. Vielleicht fühlten sie sich von der fidelen Bezeichnung Kiffer-Komödie angelockt oder kamen wegen Publikumsliebling Moritz Bleibtreu, aber das kann ihm egal sein. Zübert, 28, ist drin im Kinobetrieb. Und er kommt nicht allein.
Fast ein Dutzend Filmemacher reüssiert derzeit, von dem man sich durchaus auch neue Impulse erhoffen kann. Sie sind jung, haben gerade ein Filmstudium abgeschlossen oder einfach eine Idee wie Zübert, der eigentlich als Drehbuchautor jobbte und Regisseur „erst mit 40 oder so“ werden wollte. Er durfte dann sein eigenes Skript verfilmen, das immerhin schon einigejahre in der Schublade lag, weshalb manches arg der Diktion von JPulp Fiction“ und „Reservoir Dogs“ folgt. Er sei damals „voll auf die Tarantino-Schiene abgefahren“, bekennt Zübert auch. Hinter den komischen Dialogen über Pamela Anderson, AC/DC und Mehmet Scholl erzählt er allerdings von „Leuten, die Tarantino cool finden, selbst aber gar nicht cool sind“, und sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden zwischen Müßiggang und Verantwortung für ihre Zukunft entscheiden müssen. Und damit spricht er auch von sich selbst. „Die Regisseure müssen mehr Mut haben“, rät Zübert forsch dem deutschen Film, „eigene Erfahrungen zu schildern.“
Genauso sieht das auch der 25-jährige Benjamin Quabeck. „Nichts bereuen“ (Start: 15.11.), sein bemerkenswerter Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, handelt von einem 19Jahre alten Zivi (Daniel Brühl), der sich mit seiner unerfüllten wahren Liebe zu Luca (Jessica Schwarz) zum unentschlossenen Lebenstrottel macht, und ist weitgehend autobiographisch. Er habe gerade sein Abi bekommen, stellt sich die Hauptfigur Daniel am Anfang vor, und „noch nie mit einem Mädchen geschlafen. Bald sind die Mädchen Frauen. Und was bin dann ich?“
Quabeck jedenfalls ist ein großes Talent Locker verknüpft er einen Haufen visueller Stilmittel, Popmusik und tragikomische Situationen, zudem verfügt er noch über eine klare Beobachtungsgabe und Zärtlichkeit für die Charaktere. Letzteres zeichnet ebenfalls Vanessa Jopp, 30, aus. Die Absolventin der Filmhochschule München, die sich lange „desorientiert“ fühlte, bis sie im Film das Medium fand, um „auszudrücken, was ich denke, erlebt habe oder was Sinn macht, erzählt zu werden“, hatte mit „Vergiss Amerika“ vor einem Jahr ihr Debüt gedreht. Darin scheitern drei junge Menschen aus der ostdeutschen Provinz an den Umständen und ihren hohen Erwartungen.
Hier führt nun eine Generation Regie, die ihre Reifeprüfung ablegte, als Sönke Wortmann und Joseph Vilsmaiereben die bleierne Ära des Autorenkinos beendeten. Es war Nachwendezeit mit Katja Riemann als erstem Lustspielstar einer neuen gesamtdeutschen Filmwelle, die den Frohsinn der Fünfziger und das Dritte Reich als Kolorit für Kostümdramen hochspülte. „Da wurde zu viel Mist produziert“, meint Zübert. „Um noch mehr Geld zu verdienen, wollten sie das Publikum bescheißen. Die haben Filme wie Malen nach Zahlen gemacht“ Jopp fragte sich, „was in den Köpfen der Regisseure vorgeht und wo all diese Kunstfiguren herkommen“, die sexuell frustrierten Yuppies, wohlsituierten feschen Single-Töchter, Werbe- und Medientypen. Als Quabeck mal seine jüngere Schwester und deren Freunde fragte, welche deutschen Filme sie denn zuletzt gesehen hätten, hat ihn die Antwort entsetzt: „Sie kannten nicht mal ,Lola rennt‘! Für die sind deutsche Filme pauschal Scheiße.“
Das jugendliche Publikum sei vom deutschen Kinofilm lange vernachlässigt worden, sagt Quabeck, der Hans-Christian Schmidts „23“ als Inspiration nennt, für dessen Produzenten (Haussen und Wöbke er demnächst einen Film über ,junge Leute, die mit Musik zu tun haben“ realisieren wird. Die Zäsur zeichnet sich seit „Anatomie“ oder „Mädchen, Mädchen“, aber auch seit „alaska.de“, „100 Pro“ und Julietta“
deutlich ab. So war Wortmann begeistert vom „Lammbock“-Buch, überredete aber Zübert zur Regie. „Er meinte, er würde diese Sprache nicht mehr sprechen“ – wenn er sie denn je konnte. Derweil hat Jopp ihr erstes großes Projekt beendet. „Engel & Joe“ (Start: 25.10.) mit Robert Stadiober basiert auf einer Reportage des „Stern“-Journalisten Kai Hermann über ein obdachloses Teenager-Pärchen. Es ist eine tragische Romanze der großen, auch überstilisierten Gefühlen. Denn obwohl sie wieder bewegende Momente geschaffen hat, indem sie die „Figuren ernst nimmt und ehrlich zu sich selbst ist“, sieht man hier den Willen zum Erfolg und also manch plakatives Motiv. Die Unschuld ist weg. Das muss wohl der Weg sein. Quabeck träumt ja auch davon, irgendwann einen „fetten Sci-Fi-Film“ zu machen.