Der neue Dustin Hoffman?

Mit seinem verbissenen Perfektionismus erinnert EDWARD NORTON an den jungen Dustin Hoffman. Diesmal durfte er mit zwei seiner Heroen spielen - und war enttäuscht

Hur weil er einen Tick paranoid ist, muss das lange nicht bedeuten, dass sie nicht auch hinter ihm her sind. Verdammte Journalistenbrut. Sagt Edward Norton zwar nicht. Aber jeder spürt, wie ihm die Begehrlichkeiten einer Gruppe Klatschbasen bei einem Termin in New York sauer aufstoßen. Gewiss, offiziell fragen und flöten sie, wie denn just die Dreharbeit des Biopics „Frida Kahlo“ verlaufen sei, zu dem er das Script und sich selbst eine Cameo als Norman Rockefeiler auf den Leib geschrieben hat. Will denn keiner etwas über den neuen Thriller „The Score“ wissen? Na gut, berichtet er halt höflich von Lokalkolorit und Heiligenverehrung im Kahlo-Country Mexiko. Und weiß genau, dass die Mikrofongalgen nur daraufwarten, sich um eine Indiskretion oder wenigstens eine Anekdote zu seiner feschen Freundin und Hauptdarstellerin Salma Hayek zu legen.

Doch da muss er die Celebrity-Zecken enttäuschen. Ein Gendeman parliert nicht über Herzensangelegenheiten. So viel stellte Mr. Ed bereits anlässlich seiner Damenbekanntschaften mit Drew Barrymore und Courtney Love fest. Irritierend genug, wenn ihm der Medienmob die Maske des Schauspielers herunterzureißen versucht, was der Illusion seiner Leinwand-Inkarnationen schadet Offenbar das alte Dilemma der introspektiven Künstlerseele im öffentlichsten Beruf der Welt. „Nein“, kontert Norton, -ich bin ein durchschnittlich privater Mensch, der einfach nur in einem abnormal entprivatisierten Geschäft arbeitet“.

So ist er vorsichtig geworden. Misstrauisch manchmal. Sehr defensiv in Gebaren und Artikulation. Während keiner seine berufliche Kompetenz anzweifelt, wurde Norton wegen seiner Verweigerungen schon oft des ehrgeizzerfressenen Egoismus bezichtigt. Erst recht, wenn man bedenkt, dass er gerade 31 ist und noch keine zehn Filme gemacht hat. Als Norton seine eigene Schnittfassung von „American History X“ anfertigte, begann ein bizarrer Künstlerkrieg mit Regisseur Tony Kaye, der den Schauspieler in Zeitungsannoncen als Narziss beschimpfte. In der US-Ausgabe des Hedonismus-Heftchens „GQ“ stieg der Mime neulich gar als derart perfektionistischer Kontrollfreak aus dem Text, dass Norton heute noch Nerven zeigt: „Wegen solch krummer Geschichten überlege ich, das Pressespiel einfach nicht mehr mitzumachen. Und überhaupt: Was ist schlecht an Perfektionismus?“

Inzwischen sitzen wir allein in seiner Hotelsuite, und Norton lässt ein wenig die Deckung sinken, als das Gespräch auf andere Überzeugungstäter kommt Wir sprechen über Nortons inoffiziellen Vorgängen Dustin Hoffinan circa „The Graduate“. Der galt seinen weniger ambitionierten Kollegen auch als Nervensäge und pfriemelte am Set von „The Marathon-Man“ so lange an Details, bis ihn Laurence Olivier anherrschte: Junge, versuch’s doch einfach mit Schauspielerei.“ Norton grinst, als er die Geschichte hört und gibt zu, dass ihm derlei Konfrontationen nicht fremd seien. Bei „Fight Qub“ sei er mit David Fincher aneinandergeraten, weil Norton Stunden grübelte, welche Schuhsorte wohl zu seiner Figur passen möge.

„Anders kann und will ich nicht arbeiten“, bemerkt Norton überflüssigerweise. Was andere zum AugenroÜen bringt, ist ihm Ausdruck schauspielerischer Disziplin. Wenn es gut läuft, kommen am Ende stupende und in Akkoladen ertränkte Leistungen wie im Debüt „Primal Fear“ oder in „American History X“ heraus. Und wenn nicht? Dann wurmt es den Enkel eines Architekten endlos, dass seine Pläne und Kontrollmechanismen nicht auch noch Schnitt, Inszenierung, Produktion und Presse im Griff haben.

Zwei Regeln, befindet Norton, gelte es als Schauspieler zu befolgen. Erstens: Nie ohne Tipptopp-Drehbuch drehen. Zweitens: Der Regisseur muss mindestens ein Meister sein wie Milos Fbrman bei „Larry Flynt“ oder W>ody Allen bei „Everybody Says I Love You“. Einmal nur habe er das Gesetz gebrochen. Nämlich? Bei „The Score“. Ausgerechnet beim Film, den es heute zu bewerben gilt.

Mangelnde Wahrheitsliebe kann man ihm schwerlich vorwerfen. „Seien wir ehrlich, es ist kein profunder Film, und natürlich habe ich diesen Film aus den offensichtlichen Gründen gemacht – um mit Marion Brando und Robert DeNiro zu arbeiten.“ Nach Sicht des Werkes versteht man die Einschränkung. Wer seinen Film mit drei singulären Schauspielern besetzt, hat am Ende keine Story, sondern einen Workshop. „The Score“ ist ein dramatische dramaturgiefreier Krimi über einen erfahrenen (DeNiro) und einen vorlauten (Norton) Panzerknacker.

Parallelen zwischen Schauspielern und Gangstern seien beabsichtigt, so Notton, weil es sich in beiden Jobs um Drahtseilakte handele. Brando spielt den Auftraggeber und hatte am Set in Montreal dem Vernehmen nach viel Spaß damit, den Kollegen mit Pupskissen die Konzentration zu verderben.

Nicht mit Norton, Freundchen. Laut Regisseur Frank Oz habe der Jungstar den Film auch gewählt, „um zu sehen, ob er so gut ist, wie er glaubt“. Technisch fraglos. Der Parvenü bietet den Paten Paroli und schneidet doch schwächer ab denn je, weil seine Intelligenz ihn in diesem Fall so berechenbar macht.

Als unter der Fassade des Bubis in JPrimal Fear“ seine brillante Bestie erwachte, bot ihm Hollywood gleich Arbeit auf Lebenszeit. In „The Score“ gibt er jetzt eine ähnliche Doppelrolle und in beiden Fällen sieht man nur Norton, nie die Filmfigur. Das ist das Dumme an der Perfektion. Sie lässt so wenige Überraschungen zu. Aber auch Edward Norton wird mal ausatmen müssen und anfällig für kreatives Chaos sein. Hoffentlich läuft eine Kamera, um es festzuhalten.

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