Die Rache der Rotznasen
Arne Willander über den Niedergang des Britpop und die bedrohliche Machtübernahme grober Rüpel- und Proletenbands aus den USA
Vielleicht begann alles mit einer Bande von Bluthunden, 1998. Da gebe es eine irre lustige Band aus Amerika, erzählte ein Kollege, die mache Witze über Furze, Bier und Cunnilingus, und die Musik sei eine irre lustige Mischung aus Metal und Rap, irgendwie. Man könne, es wurde immer besser, auch mit der Bloodhound Gang sprechen, so mein Kollege, wenngleich er lieber bloß über die Platte schreiben würde. Mein Kollege glaubte an die heilende Kräh des Kommunsimus, hörte viel exotische Musik aus Südamerika, rauchte hin und wieder Haschisch aus der Tüte und wohnte in Hamburg-Altona. Die Platte“One Fierce Beer Coaster“ wurde dann ein Hit, mein Kollege arbeitet heute bei einer Art Wirtschaftsmagazin. Aber das war im letzten Jahrtausend und erst der Anfang. Ich hatte mich an die unterhaltsamen Aufschneider Marilyn Manson und Trent Reznor gewöhnt, ich erlebte verblüfft, wie zurechnungsfähige Menschen von dem ausgekotzten Lärm von Tool schwärmten: „Industrial“, »Gothic“, „Gesamtkunstwerk“, „Symphonie“ hörte ich und gruselte mich. Das Universum schien sich in die Redaktionsräume der Fan-Schwarte „Visions“ verwandelt zu haben, wo 30-jährige Taxifahrergestalten stolz darauf sind, Pearl Jam gut zu finden, zu allen Rock-Festivals zu laufen und über die neue Scheibe der Stone Temple Pilots zu schwadronieren. Ihre Interviews, für die sie mal nach New York oder Los Angeles fliegen dürfen, verarbeiten sie zu devotem Gestammel.
Der so genannte „Alternative Rock“ – schon der Begriff eine noch größere Plage als „Grunge“ – wurde zu „Modern Rock“ und schließlich „Nu-Metal“, Bands hießen plötzlich Disturbed, 3 Doors Down, Papa Roach, Staind, Blink-182, Crazy Town, Slipknot, Linkin Park und weiß der Teufel. Sie lösten Seelchen wie Matchbox 20, Fountains Of Wayne, Fastball und Semisonic ab, die eben noch den hoffnungsfrohen Nachwuchs verkörpert hatten. Natürlich sehnte ich nicht die Counting Crows und Soul Asylum zurück, natürlich braucht es keine „neuen U2“ und keine „neuen R.E.M.“, zumal die alten ja keine Ruhe geben und noch immer charismatischer sind als ihre armen Vettern. Aber war die Welt nicht schöner, als auf die Gallagher-Brüder noch Verlass war, als Jarvis Cocker den Ton angab und der Schnösel Dämon Albarn seine Grundsatzerklärung verlas: „Modern life is rubbish“? Von Mark E. Smith, Joe Jackson, Elvis Costello, Neil Hannon, Mark Rossiter, David Gedge zu schweigen. Cobain hatte uns das Aufgeben gelehrt, der Britpop das Weitermachen. In der Verweigerung und dem Trotz dieser Solipsisten, in ihrem absoluten Wahnsinn lag eine Schönheit, die auch ihre Melodien infiziert hatte. Oasis, Pulp, Blur und viele kleinere Bands hatten eine Haltung – im Unterschied zur Attitüde. Sie hatten Bildung. Sie hatten Witz. Und sie hatten – im Pop gilt das als Argument – das Aussehen. Natürlich zerstörten sie sich selbst – Oasis mit“Be Here Now“, Pulp mit „This /s Hardcore“, Blur mit „13“. Aber wenn das Scheitern so klingt, dann möchte ich immer scheitern. Heute haben wir Limp Bizkit und Typen, die sich „Shifty Shellshock“ nennen. Wir haben Creed, die ihre furchtbare Kindheit beklagen und sich Gott zuwenden. Wir haben Angeber und Schwätzer, Weichlinge und Frömmler immer gehasst – und plötzlich okkupiert das Pack die Charts. Platten heißen „My Own Prison“ „Hooray For Boobies“ und „Take Off Your Pants And Jacket“(ein subtiles Wortspiel für Amerikanisten)- Ausfluss einer Kultur, in der das Anale und das Bigotte gleichermaßen den Geist verdunkeln. Die eine Sorte von Bands raubt uralten Metal – stets die Musik von Troglodyten und Ausgestoßenen – HipHop und falsch verstandenen Punk und macht daraus Furz-Rock. Die andere Fraktion sind im Grunde die guten alten Gruftis und Grebos, die 80er-Jahre-Erscheinungen wie Fields Of The Nephilim, The Mission, Sisters Of Mercy und New Model Army abgelöst haben: greinende, larmoyante Verlierer, die pubertären Weltschmerz bündeln. Manche Bands schaffen den Spagat und kombinieren beide Strategien zu einer unschlagbaren Waffe gegen Jugendliche, die sich nicht zu wehren wissen. Woher kommen all die Klitoris-Tattoos und Pimmel-Piercings, die Sackhosen und Turnschuhe, die Unterhemden, Koteletten, Kinnbärte und Kappen, die uns in Bussen und Bahnen belästigen? Als hätte ein perfides Weltgericht befohlen, junge Menschen müssten jetzt alle beschissen aussehen, indem sie die Schrecken der 70er Jahre, die Adidas-Hölle unserer Turnstunden, mit den Geschmacklosigkeiten unserer traurigen Zeit synthetisieren. Hey, ich meine Schlamm-Hosen. Madonna hat solche Jeans, an denen unten der Schlamm schon dran ist. Obwohl sie damit nie auf die Straße geht. Na, Sie wissen, was ich meine. Es müssen ja nicht alle Zoot Woman hören. Aber fürs Erste vielleicht die neue Platte von Human League.