Siechtum im alternativen Sektor
Mit dem MELODY MAKER, 1926 erstmals publiziert, verschwindet eine Pop- Institution. Mit der Weihnachtsausgabe wurde das Wochenblatt eingestellt.
Es hatte schon öfter nicht besonders gut um seine Auflage gestanden, doch hielt sein Verlag stets zum Veteranen der Musikpresse, hielt ihn über Wasser, bis die nächste Welle musikalischer Erneuerung wieder für Auftrieb sorgte.
Zuletzt hatte der Britpop-Boom gesunde Neugierde auf Bands und neue Namen entfacht, doch nach dem Abebben desselben, als der altehrwürdige „Melody Maker“, inzwischen immerhin 74 Jahre alt, wieder zu kränkeln begann, gab man bei IPC Magazines nicht mehr viel auf seine Überlebenschancen. „Unsere Untersuchungen ergaben“, erklärte Mike Soutar, der bei IPC zuständige Manager für den Publikations-Sektor Musik und Sport, „dass sich junge Leute schon noch für Blur und Pulp interessierten, aber nicht mehr im gleichen Umfang für jede junge Band wie noch die Generation davot Bloß: Blur und Pulp bringen nur alle zwei Jahre eine neue Platte heraus, das erfordert nicht unbedingt ein wöchentliches Periodikum.“
IPC unterzog den „Maker“ einer Gewaltkur. Das Format schrumpfte, das Papier wurde auf Hochglanz umgestellt, an die Stelle von investigativen Reportagen und ausführlichen Reviews traten Posten Klatsch und Tratsch. Die Auflage fiel indes weiter, das Facelifting machte den traditionsreichen Titel für die angepeilte Käuferschicht nicht attraktiver. Eine letzte redaktionelle Remedur gab dem stets Britrock-engagierten „Maker“ den Rest: Limp Bizkit wurden auf das Cover gehievt, der Rapper Eminem und die Rülps-Rocker Bloodhound Gang. Womit man den treuen Rest der angestammten Leserschaft vollends vergraulte. Als die Auflage Mitte Dezember im freien Fall die „kritische Marke“ (Soutar) von 35 000
unterbot, beschloss IPC, den Titel einzustellen. Der letzte Aktivposten des „Maker“, der Kleinanzeigenteil mit den berühmten Musiker-Kontakt-Seiten, wird dem gutgehenden Schwesterblatt „NME“ zugeschlagen. ,Jt’s a very sad day“, verlautbarte Mike Soutar. Während sich der von IPC Magazines erwirtschaftete Gewinn vor Steuer binnen eines Jahres versechsfachte.
Tatsächlich dürfte sich die Trauer über den Verlust des „Melody Maker“ in Grenzen halten. Zu substanzlos war das im Zickzack-Kurs zu Tode reformatierte Blättchen zuletzt Wehmut kommt allenfalls bei denen auf, die sich noch an die Zeit erinnern können, als der „Melody Maker“ essenzielle Lektüre war, trotz Konkurrenz von vier weiteren Weeklies eine viertel Million Exemplare verkaufte und renommierten Kritikern wie Chris Welch, Richard Williams, Colin Irwin oder Michael Watts ein Forum bot. „Musik war damals mehr als ein Hobby“, schreibt „The Independenf“ in einer Analyse über das Ende des „Maker“ und des aus ähnlichen Gründen ebenfalls eingestellten Rock-Magazins „Select“, „sie war Ausdruck von Anderssein und Nonkonformismus. People expressed their dissent via records and magazines.“ Inzwischen seien musikalische Vorlieben relativ beliebig, statt sich an den herrschenden Verhältnissen zu reiben, arrangiere man sich mit ihnen. Schuld daran seien Thatcher, Blair und liberale Eltern, die keine Angriffsfläche mehr böten.
Mark Sutherland, scheidender „Maker“-Macher, zeigte sich von der Entscheidung der Verlagsspitze überrascht Sicher, räumte er ein, der „alternative sector“ schrumpfe. „Doch das Pendel wird auch wieder zurückschwingen, das war immer so.“ Durchhaltevermögen sei da gefragt, nicht kurzschlüssiges Handeln. Am Ende waren es, so bestätigte Soutar, weniger als 100 000 Miese in der Jahresbilanz, die dem „Maker“ den Garaus machten. Beim IPC-Konkurrenten Comag indes, so wird gemunkelt, plane man ein neues Pop-Magazin, das wöchentlich erscheinen soll