Orgeln auf dem Kiez
Beim Auftakt der ROLLING STONE ROADSHOW trafen sich diesmal drei sehr unterschiedliche Bands - und freuten sich über die gelungene Mischung
Die Logistik vor dem Auftakt-Konzert in der Großen Freiheit zu Hamburg funktioniert. Die Soundchecks sind pünktlich fertig, der Fotograf schafft tatsächlich das verabredete Gruppenfoto (und Keith Caputo lächelt sogar), das Abendessen steht rechtzeitig auf dem Tisch. „Alles ist sehr straff organisiert“, wundert sich Tbploaders Sänger und Tastenmann Joseph Wäshbourn – und fühlt sich prompt in seinem Klischee von der preußischen Pünktlichkeit bestätigt „Tbo fucking organized for us“, ergänzt Gitarrist Dan Hipgrave und spielt auf die Verspätung des Toploader-Convoys an, der die Eastbournerfastumden Soundcheck gebracht hätte. „Normalerweise fangt doch eh alles zwei Stunden später an“, verteidigt sichjoseph. „Wenn du hier zu spät kommst, bist du gleich am Arsch.“
Der Unmut ist gestellt „Wir sind froh darüber“, sagt Dan, „in Deutschland endlich eine Tour spielen zu können, bei der wir vor unserem eigenen Publikum stehen. Wir haben bei so einer Sache viel mehr Spaß als bei Support-Shows, wie wir sie vor Bonjovi gespielt haben. Im Rahmen der Rolüng Stone Roadshow können wir so richtig unser Ding machen.“
Caputo kennen übrigens beide nicht, und mit der Melancholie von Coldplay können sie wenig anfangen. Dan findet die bunte Mixtur trotzdem prima: „Die Leute kriegen drei sehr unterschiedliche Gruppen, können sich auf ihren Lieblingsact freuen und sich von den jeweils anderen beiden überraschen lassen.“
Bei Coldplay ist man ebenfalls guter Dinge. Chris Martin kauert auf einer Treppe im Backstage-Bereich. Der kaum 20-jährige Sänger/Gitarrist/Pianist ist das heillose Treiben aus geschäftigen Technikern, verwirrten Promotern und souverän dreinschauenden Managern offenkundig gewohnt – und mag sich auch im Durchgangsverkehr zu Tief sinn durchringen. „Wir sind am Ende eines für uns absolut verrückten Jahres angelangt“, erzählt er. „Es scheint uns, als wäre die Roadshow ein würdiger Abschluss, bevor die Dinge ein wenig ruhiger werden.“ Dabei ist Chris bemüht, all die großen Worte, die über Coldplay gesagt wurden, zu relativieren. „Mag sein, dass in der Presse der Eindruck entstanden ist, dass wir schon wer weiß wie groß sind. Tatsächlich fühlt sich das alles gar nicht ganz so großartig an.“
Das klingt nun ziemlich abgeklärt für einen jungen Popstar. „Versteh mich nicht falsch“, korrigiert Chris, „für uns ist all das, was mit der Band geschieht, natürlich das Aufregendste, was uns je passiert ist. Trotzdem sind wir immer noch Newcomer.“ In Deutschland, erklärt er wertet; kenne Coldplay doch zum Beispiel kein Mensch. Ob seiner bescheidenen Selbsteinschätzung hat Chris auch kein Problem damit, den Abend zu eröffnen. „Wir sind zum ersten Mal in Deutschland, und so ist es auch okay, wenn noch kaum jemand da sein wird, wenn wir spielen.“
Wieder Fehlanzeige. Als die vier Briten nach einem irgendwie unpassenden „Spiel mir das Lied vom Tod“-Intro die Bühne erklimmen, ist die Freiheit bereits sehr gut gefüllt und das anwesende Publikum überrascht die Band mit großer Kenntnis des Coldplay-Repertoires. , Anscheinend sind wir doch nicht ganz unbekannt hier“, staunt Chris Martin und wagt ein paar Scherze. „Shiver“ kündigt er mit einem Grinsen an: „Auch im Land des David Hasselhoff wird man dieses Lied irgendwann lieben.“ Tun wir doch schon, und ebenso alle anderen Coldplay-Songs. Völlig unprätentiös und fast schon verwirrend lässig spielt das Quartett seine brillanten Melodien, und manchmal fühlt man sich dank der emphatischen, fast überkippenden Stimme Martins schon an Radiohead erinnert Was nicht gerade schlimm ist Tbploader haben es nach dieser eindrucksvollen Performance nicht gerade leicht, aber dank des Radio-Hits „DancinglnTheMoonlight“ können sie das Publikum dann doch fiir sich gewinnen.
Hinter seiner Orgel hat Joseph Washbourn zwar wenig Platz für seine Lieblingsbeschäftigung, das Hüftenschwingen, schüttelt dafür aber umso heftiger seine Mähne. Die Band ist eher für große Bühnen gemacht, das ist klar. Aber der Kiez scheint ihnen immerhin besser zu gefallen als dem unschuldigen Chris Martin, der vorher etwas irritiert verkündet hat: „Heute gibt’s keine Strip-Show, und auch nichts von all den anderen seltsamen Dingen, die hier in der Umgebung stattfinden.“
Keith Caputo dagegen hat schon in allen möglichen und unmöglichen Clubs, Festivalzelten und Hallen gespielt. Und immer noch wirft er sich mit einer Leidenschaft in seine Songs, die einen fast erschreckt. X-beinig steht er da, greift sein Mikro wie einen letzten Strohhalm und singt von Liebe, Tod und ein bisschen Hoffnung. Im kleinen Unplugged-Teil spielt er diesmal sogar den Hit „Weeds“ von seiner ehemaligen Band Life Of Agony.
Nach dem Gig trifft man die Jungs von Toploader noch im einen oder anderen Table-Dance-Lokal nebenan. Und an der dänischen Hot-Dog-Bude kommt einem jemand entgegen, der beim Konzert leider fehlte: der Pfundskerl Ottfried Fischer.