Dies kleine Quentchen Glück
Verleger Klaus Humann kann seine "Harry Potter" Bucherfolge noch immer nicht so richtig fassen. Er weiß nur, dass sie sein Leben nachhaltig verändert haben
Als ich im Sommer 1997 meine Unterschrift unter drei Verträge setzte, um dem Carlsen Verlag die Rechte an den ersten Büchern über einen Jungen namens Harry Potter zu sichern, konnte ich bei allem Optimismus nicht ahnen, was ich damit einmal lostreten würde. Ich hatte drei Kinderbücher einer bis dato unbekannten schottischen Autorin gekauft, mehr als gewöhnlich dafür bezahlt und bis dahin nur Band 1 lesen können. Ich kam mir sehr mutig vor.
Mein Mut wurde mehr als zwei Jahre später, Ende September 1999, belohnt. Band 3 der Abenteuer von Harry Potter war seit gut vier Wochen auf dem Markt. Wieder waren die Abenteuer des jungen Zauberschülers ein Achtungserfolg, mehr nicht. Da griffen „Focus“ und „Spiegel“ die „Tellerwäscherin-zur-Millionärin“-Geschichte der Joanne K. Rowling auf. Und machten das Thema „Harry Potter“ zu mehr als einem Kinderbuchthema. Der Rest ist Geschichte.
Ahnten die Produzenten von „Titanic“, ahnte George Martin, als er 1962 „Love Me Do“ mit den Beatles produzierte, dass sie Geschichte schrieben? Neigt man nicht eher dazu, alles im Nachherein zu verklären, staunenden Zeitgenossen gegenüber zu behaupten, man habe schon am Anfang das Kribbeln in den Fingerspitzen gespürt?
Ich jedenfalls habe nichts gespürt. Ich wäre ja gern ein Wünschelrutengänger der Kinderbuchszene, ich bin es aber nicht. Ich kann mir allenfalls zugute halten, mich im Zweifel eher auf meinen Bauch denn auf meinen Kopf zu verlassen, und bin froh, dass mir mein Bauch das eine oder andere Mal den richtigen Rat gab. So wenig, wie George Martin ahnen konnte, dass die dann so genannte Beatmusik für ein Jahrzehnt der weltweit bestimmende Sound werden würde, so wenig haben meine Kollegen und ich damit gerechnet, dass Bücher, zudem noch Kinderbücher, in die Abendnachrichten der TV-Anstalten kommen würden. Ich habe immer noch keine Erklärung dafür, warum Joanne K. Rowling und ihr Held zum weltumspannenden Schulhofthema werden konnten.
Auch während ich dies schreibe, mit der Ermahnung der Chefredaktion im Kopf, ich möge der Erfolggeschichte bitte eine neue, bislang gänzlich unbekannte Sichtweise hinzufügen, stocke ich bei dem Wort „Erfolgsgeschichte“. Ich befand mich in all den Wochen und Monaten im, um ein abgegriffenes Bild zu bemühen, „Auge des Hurrikans“
und war nicht in der Lage, von außen auf das zu schauen, was wir, wie die Kollegen in England, Frankreich, Dänemark, Thailand, Argentinien, Japan, Island, Südafrika, ach, in jedem verdammten Land dieser Erde mit einem funktionierenden Verlagswesen, angerichtet haben. Ich höre die Worte „einmalig“, Jahrhunderterfolg“, „Mediensensation“, und sie sickern nicht in mein Bewusstsein.
Ich kneife mich morgens und kann dennoch nicht fassen, dass wir Buchgeschichte geschrieben haben: die ersten vier Plätze der Bestsellerliste (wir erinnern uns an das Maß aller Dinge, die Beatles: Nummer 1 bis 5 der US-Hitparade ’64), die größte Erstauflage aller Zeiten (ca. 1,1 Millionen Exemplare), die unglaubliche Zahl von 530 000 verkauften Exemplaren vom 4. Band am Erstverkaufstag, dem 14. Oktober. Und das Verblüffende daran ist, dass der tägliche Wahnsinn Routine wird und mir jedes Gefühl, einen besonderen Tag zu erleben, abhanden gekommen ist.
Die „Harry Potter“-Bücher haben die Diskussion um „Jugend und Medienverhalten“ verändert und die notorischen Kulturpessimisten Lügen gestraft. Nie zuvor hatten Millionen Kinder weltweit, zeitgleich, quer durch alle Kulturen, eine gemeinsame Leseerfahrung. Joanne K. Rowlings Bücher haben auch mein Leben nachhaltig verändert. Wie sich das anschmeckt, weiß ich noch nicht. Dass es nie wieder so schmecken wird wie zuvor, das weiß ich bestimmt. -A simple twist of fate.