Das Empire schlägt zurück
Wolfgang Doebeling über systemfeindliche Angriffe auf Metallica aus dem Internet, selbstmörderische Gegenattacken und blank liegende Nerven
Alarmismus allenthalben. Der Ton wird rauer, hysterischer. Auch und gerade im Musikgeschäft. „Schämt Euch und fahrt zur Hölle!“ formulierte unlängst eine Initiative namens „Rock Against Greed“ ihr Herzensanliegen im Internet. Adressaten des frommen Wunsches waren Metallica, unterzeichnet mit „Your Ex-Fans“. Die Metal-Millionäre keilten zurück. Man wolle solche Figuren gar nicht als Fans. Die sollten sich ihre Idole bitteschön unter jenen Bands aussuchen, die den Net-Nepp via Napster gutheißen, weil ihre Kindermucke im Laden nicht genug Käufer finde. Das wiederum wurmte die Bengel von Blink-182. Metallica sollten zur Abwechslung mal ordentliche Musik machen, verlautbarten sie, und sich nicht beim Zählen ihres Mammons von den paar MP3-Kids die Laune verderben lassen. Das Metallica-Camp reagierte kühl auf den Affront der rüden Akne-Rocker: „Blink one eight who?“.
Im Mai zwangen Metallica die Napster-Betreiber, jene mehr als 300 000 Nutzer aus ihrer Datei zu tilgen, die sich schuldig gemacht hatten, ihre Musik gratis herunterzuladen. Das möge nicht als Racheakt missverstanden werden, baten die damit beauftragten Anwälte um Verständnis für die erwirkte Verfügung, man wahre nur die Urheberrechte der Künstler. Doch obwohl seither Dutzende von Kollegen ähnliche Klagen gegen die bösen Napster-Betreiber eingereicht haben, von Celine Dion bis Dr.Dre, bleibt das Spielverderber-Image primär an Metallica als den Vorkämpfern gegen Internet-Missbrauch haften. Der Branchendienst „Rock Confidential“ schätzt, dass die Hard-Rocker auf einen Schlag gut zehn Prozent ihrer Fanbase eingebüßt haben. Für immer wohl, die zu Tausenden eingehenden Mails enttäuschter Metallica-Anhänger lassen da wenig Spielraum für Interpretation. „Outraged fans swore they would never buy another Metallica album again“, wusste „The Times“ zu berichten. Endlich wisse man, höhnte es auf einer abtrünnigen Website, wofür der LP-Titel „S & M“ stehe: Shit & Marketing.
Alan McGee, ehemaliger Creation-Supremo und selbst dem Prinzip „Money For Nothing“ nicht abgeneigt, was er beim Börsengang seines neuen Labels Poptones gerade wieder mal unter Beweis stellte, zeigte sich völlig entgeistert angesichts des „kommerziellen Selbstmords“ der weltweit noch immer erfolgreichsten Metal-Band. „How bloody stupid of Metallica to, in effect, sue 300 000 of their fans“, sprach er. Jeder dieser Fans sei doch, im Lichte künftiger Cyber-Exploitationen, das Äquivalent einer Stange Geld.
Der übliche Zwist zwischen Konkurrenten um die Kohle aus dem Pop-Zirkus, der sattsam bekannte Zynismus von Profiteuren des immer fader werdenden, immer verkrampfter inszenierten Spektakels um Absatz und Umsatz in der einst euphemistisch als „Industry Of Human Happiness“ firmierenden Haifischbranche? Nein, keine Angst. Langeweile war gestern, heute tut es weh. In den Folterstuben der Cyberkids sinnt man auf Vergeltung. Am verhassten Biz als solchem, an Metallica im Besonderen. „Metallicster“ heißt demgemäß ein neues Software-Programm, mit dem zur finalen Attacke auf die einst ehernen Bastionen der Musik-Konzerne geblasen wird. „At a secret location, British internet pirates are plotting to bring down the world music business“, schlagzeilt die seriöse Tageszeitung „The Independent“ und kommt nach gründlichen Recherchen zu der Erkenntnis, dass es „keine Plattenfirma gibt, die noch etwas zu lachen hat“, wenn die mitleidslosen Hacker von „Metallicster“ ihre Drohungen wahr machen.
Währenddessen die Recording Industry Association Of America noch eine Zigmillionen-Dollar-Klage gegen Napster am Laufen hält, die sich über Jahre hinziehen wird und bei der sich die Net-Piraten von Berufung zu Berufung hangeln. Falls sie in diesem Rechtsstreit irgendwann unterliegen sollten, meint Napster-Bubi Shawn Fanning, wäre es ein Leichtes, unter anderem www.moniker.com eine Tauschbörse von MP3-Files zu implementieren, die ihren Nutzern Anonymität garantiere. Die Cyber-Saboteure des Status quo im Musikbetrieb sind, wie es scheint, juristisch zeitweise auszubremsen.
Auszuschalten sind sie so wenig wie jede andere technologische Neuerung, an der sich verdienen lässt. Das Prinzip Compact Disc. An dem hat sich die gesamte Musikindustrie gesund gestoßen, obwohl es eine Menge guter Gründe gibt, diesem Tonträger Minderwertigkeit gegenüber dem zwangsausrangierten Vinyl zu attestieren. Freundlich ausgedrückt. Der Innovationswahn freilich sprach das entscheidende Machtwort.
Wo Opportunismus und Spekulieren zum gesellschaftlichen Motor verklärt werden, leiden wohl oder übel die Rechtsmoral wie die Rechtssicherheit. Auch in Sachen Copyright.