Folklore im Weichspülgang
Den Lockruf des internationalen Erfolges mochten sich auch The Corrs nicht länger verschließen: Statt Irish Moos gibt's nun Mainstream light
Es muss Amerika sein, unbedingt. Koste es, was es wolle. Und es hat schon ziemlich viel gekostet Dünn sind sie geworden, mager fast schon, Ränder tragen sie um ihre schönen Augen, und ihre Unschuld haben sie auch verloren. Im spärlichen Textil, wo früher noch Pullover waren, fühlen sie sich offenkundig gar nicht wohl, zupfen jedenfalls ständig dran herum.
Und lächeln trotzdem, weil alles andere völlig deplatziert wäre- aus Sicht der Marketing-Strategen jedenfalls. Denn ihnen haben sich die Corrs mit Haut und Haar geopfert. Amerika, wie schon bemerkt, ruft laut. Es war in Hamburg, neunzehnhundertfünfundneunzig. Drei Schwestern und ihr Bruder sahen scheu zu Boden, wenn sie spielten, und sie spielten gut: die Violine und das sachte Schlagwerk, dazu Tin Whisdes, wo Irland Humus war für die wundersamsten Melodien. „Die schaffen es“ war die Meinung aller, die gekommen waren, und nur Wenige nannten gleich ein „wenn“. Am nächsten Tag, da trafen wir die vier an einem Tisch, ganz schüchtern noch, und wenn man ihnen Komplimente machte, dann kicherten und schwiegen sie und sahen allesamt betreten zu Boden.
Das ist Vergangenheit, denn heute ist Routine. Sind Jobs zu tun, die niemand wirklich liebt. Nun sitzt Sharon da und auch Andrea – die eine spielt die Violine, die andere singt. Beide für Millionen, seit ihre ersten beiden Alben Hits geworden sind. Und beide gern, wie sie noch oft betonen. Vor allem, weil ein neues Album folgt. Selbstbewusst, professionell und auch erwachsen, so sagten sie vor gut zwei Jahren, fühle man sich schon, wenn endlich die Matura jedes Musikanten, wenn also Album Nummer zwei im Kasten sei. Mit „Talk On Corners“, das ahnte jeder der Auguren, gelang der Schritt in die kommerzielle Bedeutsamkeit. Auch wenn das schöne Irland oft die Luft anhielt. Beim Radio, da mochte man Balladen, und deshalb hörten wir The Corrs tagaus, tagein. Jetzt sind die vier nach Irland heim gereist, „denn eigentlich“, so sagt das Andrea, „wollten wir das ja schon immer tun“. Das erste Album, durchaus ein Erfolg, es hätte „doch auch Irrtum“ und nichts. Dem Lockruf des internationalen Erfolges mochten sich auch The Corrs nicht länger verschließen: Statt Irish Moos gibt’s nun Mainstream light anderes sein können, und erst nach dem zweiten sei man „all der Naivität beraubt“ gewesen.
Was das nun heißt? Nichts Gutes wohl, denn mit dem neuen Album „In Blue“ wagt das Quartett ja keineswegs den nächsten Schritt. Entspannt und ruhiger, schwören die beiden fest, sei all die harte Arbeit jetzt gewesen, allein man hört es nicht, wie schade. Die wunderbaren Abende auf beinah allen Bühnen dieser Welt, sagt Andrea, sie hätten ihnen Selbstbewusstsein noch und noch geschenkt, und heute wüssten sie, dass einfach bloß den „good old way“ zu gehen die schlechteste Entscheidung gar nicht ist. Dann lächelt sie mal wieder, strafft Seide und streckt die langen, schlanken Beine. Wer hat ihr das gesagt, wer hat sie bloß verführt, uns alle platt und blutleer zu verführen? Wo ist der Charme geblieben, der damals alle Gegenüber zwang, die weiße Fahne schnell zu hissen? „Wir sind nun einmal so geboren“, sagt Sharon kühl zu jedem Kompliment, „doch daraufbauen – nein, das ist nicht unser Ding.“ Dann zieht sie ihren Rock, ein knappes Nichts, noch etwas höher über die schlanken Schenkel und lächelt wieder, dieses Biest Sex sells, so unsere Meinung, sei nach wie vor doch ein sehr oft und gern benutztes und Erfolg versprechendes Rezept! „Nein, nicht mit uns“, so wehrt Andrea ab, „wir wollen Musiker und nicht erotische Staffage sein.“ Dann rettet sie eine Chiffon-Schleife am Halse, weil fast der Busen entflohen wäre. Das wird Amerika wohl lieben.
Getourt sind sie, The Corrs, im Lande, wo’s Lorbeer noch zu ernten gibt Allein das Radio von Boston bis nach San Francisco, nagt es an Sharons Ego, „das ignoriert uns nach wie vor“. Von Robert Mutt Lange, der schon Shania Twain mainstreamreif produzierte, ließ man sich nun die Single „Breathless“ maßschneidern – und dem Verband der internationalen Musikindustrie diente man sich als „Botschafter“ an, um gegen MP3 und Urheberrechtsverletzungen zu kämpfen. Mehr als versuchen, nein, das kann man nicht Europa? Doch, auch das habe durchaus seinen Reiz, Man werde sehen, beim nächsten Album. Wenn nicht die Planung eigener Familien einen Strich durch die Karriereplanung ziehen sollte. Auch unter Geschwistern, sagt Sharon nun und Andrea nickt, könne es dann und wann mal Streitigkeiten geben.
Oder gibt es sie etwa schon? Kopfschütteln. Halbherzig. Stefan Krulle