Mit brennendem Größenwahn
Aufbruch aus dem Indie-Getto: Das Berliner Trio Surrogat kokettiert auf seinem vierten Album ernst und aufgekratzt mit ehedem verpönten Rockismen
Berlin 1995. Irgendwie wasteland in Sachen Indie-Rock. Zu dieser Zeit konnte schon etwas Neid aufkommen, wenn man an Hamburg sah, was dort unter dem unglückseligen Begriff „Hamburger Schule“ so alles veranstaltet wurde. Patrick Wagner, Sänger und Gitarrist der Berliner Formation Surrogat, sieht das ähnlich: Fünf Jahre habe Berlin gebraucht, um die Einstürzenden Neubauten zu verdauen. Doch in den letzten zwei Jahren sei dort etwas Wahres, immens Homogenes entstanden, das nun mit großem Selbstbewußtsein nach draußen getragen wird. Überschrift: Weiterkommen. Wer Patrick – zudem Inhaber der Plattenfirma Kitty-Yo, wo er zwölf Stunden täglich sitzt – länger zuhört, merkt, dass es hier jemand verdammt ernst meint: „Seit funf Jahren gelte ich als einer der größenwahnsinnigsten Typen im Musikgeschäft. Ich wußte immer, wo ich hin will und dass das alles funktionieren wird. Und so eine Platte wie ,Rock‘ hat es auch noch nie gegeben.“
Der angenehm aufgekratzte Mann hat in seiner niemals unsympathisch wirkenden Unbescheidenheit vermutlich auch noch Recht: Schon immer als grandiose Liveband gefeiert (und von Produzentenlegende Steve Albini als Inspiration für seine Band Shellac genannt), erschafft das Trio auf seinem vierten Album einen Sound, der eine gewisse Amtlichkeit (oder einigen wir uns auf Mainstream) mit Wärme, Größe und Coolness verbindet. Nach all den popkulturellen Diskursen nun einfach: Rock. Fühlt sich gut an. „Wir haben uns diesen Begriff ganz selbstverständlich genommen“, erklärt Patrick, „Rock ist etwas Glamouröses, Gegenwärtiges. Aus einem totalen Bedürfnis heraus das Haus rocken, die Welt verändern. Genau das ist Rock.“ Da überrascht es auch wenig, dass er und seine Mitstreiter Tilo Schierz-Crusius (Bass) und Mai-Linh Truong (Schlagzeug) in Think-Big-Manier Themen auftischen, „die wieder in den Mund genommen werden müssen“: Staat, Geld, Berlin, Vertrauen und so einiges mehr, „Rock“ gleicht einem Manifest, das sagen will: „Alles ist möglich. Hier sind wir.“ Und fragt: „Seid ihr mit uns?“
Patrick, auch für die Texte verantwortlich, präzisiert: „Große Gesten sind ganz wichtig. Und ich meine das hundertprozentig ernst, wenn ich singe Jch weiß, was zu tun ist‘ oder ,Wir sind die Größten‘. Würde ich mich nicht ernst nehmen, könnte ich aufhören.“ Aufgrund der Studiokosten in Frankreich ist er aus seiner Wohnung geflogen. Er spricht von Leuten, die „brennen“, die sich nachts gegenseitig anrufen und fragen, was sie denn nur tun sollen und von Bands wie Notwist, Blumfeld oder Tocotronic, denen er sich „extrem verbunden“ fühlt Mal gehetzt („Neunzig Prozent der Zeit, die man verbringt, ist Quälerei“), maljoyful „im Stile von James Brown oder Elvis“ wird die Macht des Wortes und des Tons wieder entdeckt.
Hier passiert was. Als wolle er dies bekräftigen, erwähnt Patrick, dass die ARD, Arte und 3sat demnächst eine Dokumentation über sein Leben ausstrahlen. Der Titel lautet: „Größer als Gott.“ So nennt er sich manchmal augenzwinkernd selbst.