Rammstein in der Requisite
Auf dem letzten Album-Cover kokettierten sie mit bereits Schlips und Kragen. Bei der Fotosession für den Rolling Stone gingen Rammstein nun noch einen Schritt weiter! In der Berliner "Volksbühne" schlüpften die Bilderbuch-Teutonen nicht nur in eine neue modische Haut, sondern auch in die Requisiten-Kammer ihrer visuellen Phantasie...
Als der Osten noch rot war, hat Richard Kruspe zum ersten Mal Rebellion gespielt. Schwer ist das nicht gewesen, vier Heftzwecken und ein Poster haben genügt. In Leder, Nieten und Make-up hingen Kiss über Kruspes Bett – und der Haussegen schief. Und in der Schule hagelte es Tadel für das Sorgenkind, weil man die westliche Subversion nun mal nicht in Runenschrift auf sozialistische Aufsatzhefte schmierte. Dann schritt auf einmal ein schmierig lächelnder Kanzler durch den eisernen Vorhang, und plötzlich waren all die mutigen Revoluzzer stinknormale Teens und Twens und hätten sich ihr Zimmer unbehelligt mit Kiss und weit Schlimmerem tapezieren können. Seither besorgt sich Kruspe mit ein paar Freunden das alte, wundervoll kitzlige Guerilla-Feeling halt mit anderen Mitteln. Aber jetzt wollen sie alle wissen, warum er das macht. Und dann sitzt Kruspe im gebügelten, weißen Hemd charmant lächelnd da, spreizt sogar beim Kaffeetrinken den kleinen Finger ab, tupft sich diskret mit der Serviette den Cappuccino-Schaum aus dem Mundwinkel und versteht die böse Welt nicht mehr. Erzählt, wie er seine kleine Tochter mittags von der Schule abholt, dass er sich früh in krachende Gitarren verliebt habe und wie albern doch die Aufregung um seinen Freund Lindemann sei, bloß weil der dem gefesselten Kollegen Flake auf offener Bühne einen Dildo in den Anus schiebt und das fleischfarbene Stimulans sodann literweise Magermilch ins Auditorium ejakulieren lässt. Ozzy allerdings war dann meist seriös betrunken – und träumte auch in lichten Momenten nie davon, die kleinen Nager als Opfer für die Kultur seines Vaterlandes ins Nirwana zu schicken. Rammstein aber, zumindest ihr fleißigster Sprecher Kruspe, hegen solch sinistre Wünsche. Ihnen steht deshalb seit 1995, als die Band ihr erstes Album ^ierzeleid“ auf den Markt brachte, eine unversöhnliche Allianz aus Kritikern und Mahnern gegenüber, welche bis dato die bizarren Kapriolen der Ostdeutschen nicht als Spieltrieb belächeln mag, sondern Schaden für Land und Leute und vor allem für die Jugend wittert. Ein Verdacht, der keineswegs in jene hinterste Ecke des Speichers zurückgebracht gehört, aus der manch konservativer Moralwächter ihn vielleicht tatsächlich gekramt hat. Das Sextett aus Schwerin und Ostberlin nämlich müht sich vergeblich um rührende Naivität, wenn es gleichsam sämtliche Attribute und Dekorationen unter einem Dach versammelt, die seit Reichskanzler Otto von Bismarck auch einzeln genügen, um den bösen Deutschen hinlänglich zu skizzieren. Spannend immerhin bleibt der Blick auf die fast unerschöpfliche Phantasie, die Rammstein an den Tag legen, wenn es um immer neue Staffagen für das immer gleiche Bild geht Wie reichhaltig der Fundus für the ugly Germnn mittlerweile ist – wer hätte das vorher ahnen können? Auf dem Cover von Jtierzeleid“ genügen den Sechs noch schweißnasse, bloße Oberkörper, geöltes Haar und strenger Blick. Zwei Jahre später ^“Sehnsucht“ lassen sich Lindemann 8i Co. schon die Visagen in Stacheldraht und Silberbesteck zwängen und blicken unter der modernistischen Dornenkrone wie Heilande des 21. Jahrhunderts hervor – als hätte Gottfried Heinwein am Malblock Josef Mengeies Träume vollendet Und nun, auf dem Booklet zu JLive Aus Berlin“, stehen die Herren im schlichten Anzug da wie eine Kreuzung aus Kraftwerk und den Comedian Harmonists, die sich in der Säulenhalle eines imaginären Walhall treffen. Ihr Video „Stripped“ bestückten sie mit zweifelsfrei sehr ästhetischen, leider jedoch von der politisch nicht völlig unbelasteten Leni Riefenstahl für ihren Freund und Förderer Adolf Hitler gedrehten Bildern. Und auf der Bühne stehen die sechs – wie für den Katalog der Fetisch-Fans ausstaffiert – im grellen Flackerlicht und Fackelschein vor gigantischen Stahlaufbauten. Gerade so, als habe imKonzertsaal die MS Tirpitz angedockt und warte nur noch auf den Befehl zum Angriff. Weil das aber langweilig zu werden droht, zündet Kapitän Lindemann zur Belustigung der Zaungäste erst mal sich selbst an. Und dann stellt sich Familie Rammstein hinterher vor die Mikrofone und Kameras und verkündet mit Dackelblick, Provokationen seien nie und nimmer Teil ihrer Planung gewesen. Dem könnte man natürlich Fragen entgegenstellen: Wartun etwa ein unliebsamer MTV-Mann mit Brennpaste bestrichen und in Flammen gesteckt wird. Aber das war, so erfahren wir, ja bloß ein Gag. Ziemlich lustig, doch, der Medienmann soll sich fast krank gelacht haben. Und dass Rammstein der Verhaftung von Lindemann und Flake in den USA wegen der – O-Tbn der Band – JPimmelstelle“ auf ihrer in feuerrot und freundlichem Schwarz gehaltenen Website einen eigenen Link schenken, deutet selbstredend nicht auf den Versuch hin, aus Skandälchen Kapital schlagen zu wollen. Wie deprimierend für die Fragesteller indes, dass ein Richard Kruspe zumeist Antworten aus der Schublade zieht, bei denen fast jeder ganz unwillkürlich nicken muss. „Wer in Deutschland versucht, etwas aus der Art geschlagen zu sein und sich eigene Welten zu errichten“ -jetzt wird er gar zum Kultur-Philosophen -, „der hat ein Problem. Es gibt hier einfach zu viele Journalisten, die nicht mehr umdenken und dazulernen können oder wollen, die hilflos sind, wenn ein Produkt nicht in ihr uraltes Schema passt.“ Jaja, so ist das wohL Auch dass Rammstein, dass Marilyn Manson und Rockmusik überhaupt ,Jetzt für den Amoklauf in Colorado verantwortlich gemacht wird, ist schlicht lächerlich. Das wahre Problem sind die US-Waffengesetze, aber die sind tabu, und es ist ja so herrlich einfach, ein paar Bands an den Pranger zu stellen.“ Wir hatten eigentlich auch nicht vor, uns mit den puritanischen Sittenwächtern solidarisch zu erklären. Niemand will auch verhehlen, dass die Musik von Rammstein tatsächlich Spaß machen kann. Manchem vielleicht nur dann, wenn er die Band dabei nicht auch noch sehen muss, aber das ist ja nun auch beileibe kein Einzelfall. Trotzdem bleibt die Lust daran, bei Kruspe, Lindemann und Kollegen fundig zu werden auf der Suche nach dem wunden Punkt, Nach einer Achillesferse, der keine Zahlen vom lukrativsten deutschen Pop-Export seit langem Schutz versprechen. Und siehe da, es gibt sogar gleich zwei tote Gleise, auf denen Kruspe mit Volldampf weiterfährt – um am Ende prompt unsanft in den Prellbock zu rasen. „Dieses blöde Vorurteil“, ereifert sich Kruspe, „in den USA sei man bloß an deutschen Künstlern interessiert, die dem Bild des kriegerischen Teutonen entsprechen“, halte er im Falle Rammstein „für Blödsinn.“ All den Obersturmbannführern von CurdJürgens über Peter van Eyck bis zu Udo Kier zum Trotze? „Na gut, der Deutsche hat diese Mentalität nun mal, der ist, wie er ist, und das muss ja nicht unbedingt schlecht sein.“ Wir horchen auf. „Dieses etwas Distanzierte, Kalte, das sich gar nicht auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs beschränkt, da steh ich durchaus zu und find es sogar gut.“ Hier verweigern wir das Nicken. Auch dann noch, als Kruspe versichert, der Gitarrist von Patti Smith habe das Konzert von Rammstein „sofort in seine ewige Bestenliste eingetragen, gleich neben Pink Floyd und Radiohead„. Diesen Zeugen hätte jeder gute Anwalt der Justiz lieber vorenthalten. Und dass man Rammstein im eigenen Lande noch nach der Grammy-Nominierung die gebührende Anerkennung verweigere, „anstatt einfach stolz darauf zu sein, dass da endlich mal was passiert! Aber nein, die hauen lieber drauf, immer und immer wieder.“ Das tue schon ein bisschen weh, „wir sind ja schließlich hier aufgewachsen, wir vertreten dieses Land mit unserer Sprache im Ausland. Wir sind maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass in den USA überall die Deutschkurse ausgebucht sind und die Leute sich für unsere Kultur interessieren!“ Da hat Kruspe unwiderlegbar Recht, auch wenn wir uns für den Begriff „unsere Kultur“ vorsichtshalber noch eine eigene Definition vorbehalten. Ein Blick ins Internet aber bestätigt Kruspe. Dort, im Guestbook von „www. rammstein.de“, finden sich nicht nur Reime von Fan Nessi aus Germanien an Flake: „Wirst Du mich dann in die Arme nehmen/und noch hoffen ich würde leben/und mir das letzte tropfende Blut ablecken/doch die Grausamkeit kannst Du niemals verdecken“. Nein, dort schreibt auch US-Boy Tom: „Du bist die beste Band in dem Welt! Ich liebe Dich so viele! I habe Dir zweite Mal im Chicago gesehen! Du stosst arsch!“ Wenn das mal kein unumstößlicher Beleg für die kaum mehr verzichtbare Rolle Rammsteins in Nuntius-Diensten für die deutsche Kultur ist! Die Goethe-Institute sind ergo kaum ohne Grund auf dem Rückzug und werden sich vermutlich in Zukunft noch wärmer anziehen müssen. „