Ihrem Erfolgsrezept – massig Pathos, wenig Inhalte, unendlich großer Sound – bleiben Live auch mit dem jüngsten Album treu
Ed Kowalczyk sieht verloren aus, auf diesem riesigen Sofa in dem schicken Hotel. Der Sänger will übers neue Album von Live sprechen, „The Distance To Here“. Noch lieber würde er allerdings seine Gitarre schnappen und abhauen. Vielleicht wieder ein paar Songs schreiben. „Am meisten fallt mir ein, wenn ich gerade gar nichts mit Live zu tun habe – beim Campen oder so. Ich brauche Ruhe, Einsamkeit, keinen Rockstar-Mist.“
Was etwas schwierig ist, wenn man mehrere Millionen Alben verkauft hat und seit fünf Jahren ganz oben mitmischt Schon mit dem zweiten Album „Throjving Copper“ sprangen Live mit immens viel Energie in die Fußstapfen von R.E.M. und U2 – Pathos hatten sie genug, Inhalte nicht immer, aber der Sound war unendlich groß und irgendwie klang alles, was Ed sagte, sehr wichtig. „Der Erfolg von , Throwing Copper‘ war, als hätte uns ein Frachtzug überfahren. ‚Secret Samadhi‘ war eine Möglichkeit, damit umzugehen: mehr Experimente, weniger kommerziell. Jetzt kehrte endlich Frieden in die Band ein, was viel Energie freisetzte. Wir fühlen uns inzwischen wohl dabei, eine große Band zu sein.“ Kowalczyk spricht stets in wohltemperierten Sätzen, wägt Für und Wider ab und wirkt, als könne ihn gar nichts, aber auch wirklich gar nichts, aus der Fassung bringen. Dabei hat er sich gerade zwei Jahre lang mit dem neuen Album herumgequält – immer „zwei Schritte vor, einen zurück“.
Es ist trotzdem wieder ein typisches Live-Album geworden, dessen Songs immer an der richtigen Stelle explodieren. Viel Feuer ist allerdings nicht zu spüren; jeder zweite Texte handelt von Wasser – Flüsse, Meer und Delphine wechseln sich ab. „Wasser ist natürlich ein Sinnbild für Frieden, aber auch für Kraft – der FIuss des Lebens eben. Nicht greifbar, aber spürbar.“ Auf die Frage, ob ein Song mit Namen „The Dolphin’s Cry“ wirklich eine Hitsingle sein könne, antwortet er: „Die wichtigste Botschaft des Songs ist, dass das Leben wie eine Sternschnuppe ist: Wer sich davor versteckt, verschwendet seine Zeit.“ So viel Salbungsvolles hört man selten. Und das macht Ed auch schwer zu schaffen. „Es ist schwierig, gleichzeitig spiritueller Mensch und Rockstar zu sein.“ Deshalb gefallen ihm die „Tibetan Freedom Concerts“ so gut. Dort trifft er Gleichgesinnte und hat die Gelegenheit, mit den Helden seiner Jugend rumzuhängen.
Besonders auf Michael Stipe & Co. lässt der Kahlköpfige nichts kommen. „Diese Band hat mein Leben verändert, durch sie – und U2 und The Smiths -wurden die 80er Jahre erst erträglich. Auch wenn sich ihre Alben nicht mehr so gut verkaufen, für mich sind es Meisterwerke. Der kommerzielle Erfolg kann nie das Kriterium sein. Van Gogh starb schließlich pleite.“