Morrissey – Der große Romantiker und Einzelgänger

Der große Romantiker und Einzelgänger Morrissey, mittlerweile in Los Angeles ansässig, hat gerade keinen Plattenvertrag, singt aber auf deutschen Bühnen und schimpft schon wieder.

^4 man who slits throats/Has titne on his hands/Andl’mgonnagetyou/ Don’t ever close your eyes.“ „Sorrow Will Come In The End“ Es muss ein putziger Anblick sein, wie Steven Morrissey oben in den Hügeln von Los Angeles sitzt und über sein Leben nachdenkt, sein Leben als britischster Brite neben Hugh Grant, als lebende Legende, als Monolith und Enigma, ab Gott und Schurke, als Dichter, Provokateur, Nationalist, Exilant, verhetzt, verfolgt, verspottet, von der Presse außer Landes getrieben wie einst Oscar Wilde, sein einziger legitimer Vorganger, durch jedes Säurebad gegangen, überall die Einsamkeit gesucht, sogar in Spanien, diesem dreckigen Sonnenland, das er hassen müsste wie jetzt auch die Stadt der Engel. Doch Morrissey, Paradoxon in Person, ist wohl zumute. Er leidet nicht mehr, die Welt ist ihm kein Jammertal, sie hat den Schrecken verloren. „I’ve lived the best part of the last two years in Los Angeles, where I remain, and which I even quite like. All the awful cliches about Los Angles are, of course, true. But I feel less affected by them than most, because I happen to think that ALL PEOPLE EVERY-WHERE are mad.“ Der Dichterfürst: Man stellt eine harmlose Frage, und es kübelt Witz. Happen to think: Wenn Morrissey spricht oder singt oder schreibt, scheint noch einmal die Glorie der englischen Sprache auf. Morrisseys Elitismus brachte 1992 einen hübschen Skandal, als er sich in einer typisch ambivalenten Geste und ausgerechnet beim „Madstock“-Klamauk-Festival in den Union Jack hüllte wie nur je ein tumber Gallagher-Bruder. Dazu gab es auch noch einen Song, „Bengali In Platforms“, und schon hatte nicht nur der „New Musical Express“ eine Debatte. Seit wann muss der Poet aber Demokrat sein? In Morrisseys Solipsismus sind die Menschen ohnehin gleichgültig. „It takes guts to be gentle and kind“, sang er mit den Smiths auf „The Queen LDead“, und wie jeder wahre Großkünstler ist er natürlich ein Gentleman, möchte seine Ruh‘ und darüber sinnieren, wie der echte Brite den echten britischen Tee zubereitet und wie er ihn dann echt trinkt. Auch und gerade im Exil in Los Angeles. In Morrisseys Werk ist eine Alterswut eingekehrt, die schaudern macht. Auf „Maladjusted“, seinem letzten, besten und einzigen meisterlichen Album, droht er nach der Niederlage in einem Tantiemen-Prozess den Richtern und schließt: „Ybu think you woal Oh no.“ In „Ambitious Outsiders“ wendet er sich an die Hausfrau, die unbekümmert Kinder in die Welt wirft: „Well it’s your own fault/ For reproducing/ We’re keeping the population down.“ Lauter kleine Morrisseys! Andererseits besingt er mit dem goldenen Humor von „Some Girls Are Bigger Than Others“ den Fensterputzer Roy: „He can hold the marvel as long as required/ Even longer.“ Seit zwei Jahren gibt es keine neue Platte, „this has been the longest pause between recordings that I’ve ever had“. In den letzten Jahren wechselte er mit jedem Album die Plattenfirma, die jeweils ein altes Traditions-Label reaktivieren musste, um den exklusiven Gast zufrieden zu stellen. „Southpaw Grammar“ erschien auf RCA Victor, und das steht auch groß auf dem Cover. Zuletzt war Morrissey nicht schuld: Mercury wurde aufgekauft, der fertrag war hinfallig, und das bereits fertige Material verblieb bei der Firma. Auf sieben Jahre hinaus dürfen fertiggestellte Songs nicht anderweitig wieder aufgenommen werden. So weit war Morrissey noch gar nicht, doch er schildert empört die Lage von Kollegen, und es tönt gleich wieder die schönste Verachtung: „What an awful mess to spring on anyone.“ Nun sucht der Herr Manager „a good deal for me“, und Morrissey hat auch schon Material, „very strong“, wie er versichert. Natürlich wird auch die zu erwartende Platte in England zerpflückt wie alle anderen seit „Kill UncW oder weiß der Teufel. Das schreckliche Problem Morrisseys ist sein musikalisches Gebrechen: Anders als die Größten komponiert er nicht und kann nicht einmal die Blockflöte spielen. Dafür hat er damals in Manchester Plattenbesprechungen geschrieben. Dann fand er den kongenialen Gitarristen Johnny Marr, dem plötzlich die betörendsten Songs der 80er Jahre einfielen, obwohl nichts davor oder danach auf Marrs Talent hinwies. „Suffer Little Children“, „How Soon Is Now?“, „Reel Around The Fountain“, „Never Had No One Ever“, „Meat Is Murder“, „This Charming Man“: Man hätte die ganzen verdammten 80er Jahre in den verdammten verqualmten Konzertbuden stehen mögen, um unter Tränen diese Lieder zu hören, die für immer unerreicht bleiben werden, weil solche Musik in der MP3-Welt gar nicht mehr gemacht werden kann. Ebensodie ausgezeichnete Ausstattung aller Singles und Alben der Smiths: Man findet nichts Vergleichbares mehr. Morrisseys spätere Platten sehen gut aus, die Texte können vor Geist kaum gehen, der Gesang macht glücklich aber nirgendwo sind Songs. Die Band um Alan Whyte rockt wie blöde, und alle Star-Produzenten von Langer/Winstanley bis Lillywhite konnten nichts retten. Dennoch schätzt Morrissey selbst Jfour Arsenal“, „Vauxhall And l“ und „Southpaw Grammar“ und widerspricht natürlich nicht, wenn man „Maladjusted“ preist. „I’m thrilled that those albums exist. They are great Company for me.“ Seine Arbeit an den Texten beschreibt er wie folgt: „I just take the basics of a backing track and shout along to it for a few days, seeing where the syllables land, and seeing how the words balance out. Suddenly the lyrics form, and a configuration presents itself. I never jam‘, and I almost never rehearse.“ Aber er möchte wieder auf die Bühne gehen, unbedingt Früher tobte er dort mit einer Rose in der Arschtasche, Romantik als Rickenbacker-Inferno, Katharsis und Kult, dann fühlte er sich zu alt und bitter, und heute sagt er: „I just want to stand on a stage and sing.“ Und so besucht uns Ihro Seltsamkeit, der letzte der internationalen Playboys, die A-Klasse unter den Dandys, ein weiteres und vielleicht gar nicht letztes Mal, um hysterische Verehrung einzusammeln, aber auch das übliche Geschwätz über sein Bäuchlein, den Quiff, das dezimierte Haupthaar, seine sexuelle Abstinenz, seine nachlassende Beweglichkeit und die Manierismen des Sängers. Den Mann, der als Aphoristiker „Hang the DJ“ und „Manchester, so much to answer for“ prägte, seine Lieder „Girlfriend In A Coma“ nannte, „Death Of A Disco Dancer“, „We Hate It When Our Friends Become Successful“, „You’re The One For Me, Fatty“ und „Bigmouth Strikes Again“. Das ist noch nicht Oscar Wilde. Aber man kann möglicherweise dazu tanzen. Wir verlassen Steven Morrissey nun auf seinem Hügel als ein Monument des Weltschmerzes, von dessen Platten nicht mehr verkauft werden als von Mr. Big, der sich über den „constant flux ofpopmusicessays“ beschwert die Bücher heutzutage seien „awfiil“ und gehörten „straight into the bin“ und an den Nachruhm denkt: „The ONLY thing from me that the British press will review positively is my death.“

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