Während Elvis mit seiner ersten Europa-Tournee fröhlich-gespenstische Urständ feiert, profitieren Imitatoren und Clowns wie The King von der ungebremsten Devotion
Aus der Londoner Wembley Arena wurden Ohnmachtsanfälle gemeldet. Ein Dutzend Sanitäter hatte alle Hände voll zu tun. Das sei insofern verständlich, schrieb der monarchistisch gesonnene „Daily Telegraph“, als es ja der erste Auftritt des King in Britannien war. Tatsächlich ist Elvis Presley zeit seines Lebens nie außerhalb Amerikas aufgetreten. Gewollt hatte er schon, aber gedurft hatte er nicht Colonel Tom Parker, sein blutsaugender Manager, war auf die periodischen Million-Dollar-Schecks aus Hollywood angewiesen, um einer Lawine von Spielschulden zu entkommen. So malochte Elvis Jahr um Jahr am Film-Fließband. Im Zwei-Wochen-Zyklus wurden die Streifen abgedreht, die dazugehörigen Soundtracks über Nacht zusammengepappt. Keine Zeit für Tourneen, obwohl sich der größte Sänger der Welt schon damals unmißverständlich äußerte: „Am liebsten stehe ich auf der Bühne.“ Schade, daß es erst jetzt klappte, mehr als 20 Jahre nach seinem irdischen Tod: „ELVIS – THE CONCERT“ schreien die Plakate in aller Herren Länder und bringen Kunde von der „1999 World Tour“ des Verblichenen. Da hängt er nun von der Hallendekke des Berliner Velodroms, zweidimensional, auf Leinwand nur, und sorgt doch für Verzücken. Hysterische Ausfalle wie in London sind nicht zu betreuen, da ist das kahle, kalte Rund der Sportarena vor und die deutsche Scheu vor Gefühlsausbrüchen in der Öffentlichkeit. Man läßt die Kirche im Dorf und den Altar im Hinterstübchen. Daß dort Kerzen brennen für den King, erzählen die Gesichter und unzählige Tränen, denen indes kaum jemand freien Lauf läßt. Verstohlen werden sie weggetupft oder weggeblinzelt. Ein bizarres Bild. Unten Band, Orchester und Chor live, oben der Star auf einem riesigen Screen. Karaoke, verkehrt herum. Der erhabene Kitsch von Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ füllt die Halle, ruft zur Sammlung. Dunkel wird’s, die Leinwand hell. Beifall brandet auf, Elvis ist erschienen. Wie man ihn kennt: Ausschnitte aus Konzertfilmen und Fernsehauftritten der späten 60er und frühen 70er Jahre. Halb Seance, halb multimedialer Nekrolog, absorbiert das dubiose Spektakel gleichwohl die volle Aufmerksamkeit Da ist der schon nicht mehr ganz junge, aber noch immer explosive Elvis, die Stimme aus dem Jenseits. Eine Band, die perfekt mitspielt, jeden Ausfallschritt, jeden Hüftschwung der Projektion in die Musik integriert. Sie Meister ihres Fachs zu nennen, wäre eine Untertreibung. Der genialische Gitarrist James Burton ist dabei, erst vor kurzem von schwerer Krankheit genesen, Pianist Glen D. Hardin und eine Rhythm-Section wie ein Uhrwerk mit Swing: Jerry Scheffund Ronnie Tutt. Oben spuken sie hinter Elvis als junge Männer über die Leinwand, doch ist für sie die Zeit nicht stehengeblieben. Ein merkwürdiger Kontrast, eine gut getimte Montage. Peinlich und pathetisch wird es, wenn die königliche Konserve in gospeliger Inbrunst bebt, Streicher und Bläser schwelgen, die Backing-Sänger tremolieren und zu allem Überfluß auch noch ein vielköpfiger Frauenchor einfällt in das gruselige Treiben. „Bridge Over Troubled Water“, nein danke. Bei „How Great Thou Art“ erhebt sich die Menge, singt lauthals mit Nicht wenige heben die rechte Hand zum Herzen. Auch viele junge Leute. Eine Folge des Zuckerschocks womöglich, vielleicht auch nur ordinäre Religion, da zerfließen die Grenzen. Seither wurde viel Schindluder getrieben mit dem Namen des King. Mehr als hundert Elvis-Darsteller verdienen sich derzeit allein in Amerika als Profis ihren Lebensunterhalt. Es wird gedoubelt und geklont, was das Zeug hält. In Memphis arbeitet seit rund drei Jahren ein Imitator nicht von Elvis, sondern von Elvis-Nachahmern. Noch toller: In den Filialen von „Burger King“ und in den hiesigen Album-Charts treibt schon wochenlang ein 3Ojähriger nordirischer Postbote und fünffacher Vater namens James Brown sein Unwesen, der sich „The King“ nennt. Wenn er den Mund nicht voller Whopper hat, singt der Komödiant. Wie der King, wenn er noch leben würde und einen miesen Musikgeschmack hätte. The King singt nämüch nicht die Songs des King, sondern solche von AC/DC, Bob Marley oder Lynyrd Skynyrd. Eine ausbaufähige Geschäftsidee. Hut ab! Würde garantiert auch der Colonel sagen. Wie heißt es doch immer so schön (zum Ausklang auch des virtuellen Konzerts): Ladies and Gentlemen, Elvis has left the building.