Fink: Phantasmagorien des Alltags
Hamburger Hillbillies: Der Band Fink gelingt deutschsprachige Country-Musik mit einer düsteren und schwärenden Romantik. Der allererste ROLLING STONE-Artikel über die ehemalige Band des leider verstorbenen Nils Koppruch - gefunden in der August-Ausgabe des Jahres 1998.
Lesen Sie hier den ersten Artikel des ROLLING STONE über die Band Fink. Leider aus einem traurigen Anlass: Der ehemalige Frontmann Nils Koppruch ist am 10. Oktober 2012 verstorben.
Nils Koppruch sieht nicht so aus, als werde er demnächst die Fotostrecken großer Illustrierten zieren. „Wenn du nicht gerade in den Charts bist, sind Musiker für viele immer noch wie Penner. Was macht denn dein neuer Freund? Aha, naja…“ Doch mit der stilisierten Schäbigkeit von Post-Punks und der eigenbrötlerischen Unbekümmertheit von Elektro-Hippies hat der Sänger nichts gemein. Seine Kapelle spielt Country. Er singt deutsche Texte dazu. Von ihrem Debüt „Vögelbeobachtung im Winter“ verkauften sie im vergangenen Jahr „etwas mehr, als wir dachten, und etwas weniger, als wir wollten“, rechnet Bassist Andreas Voß sibyllinisch vor. Jener Kleinkram halt, der kapriziösen Nischenbands das Weiterwerkeln ermöglicht. Die Kritiker immerhin waren durchweg angetan vom unmodischen Unterfangen, was Koppruch zwiespältiger betrachtet als die Verkaufszahlen: „Vielleicht waren sie weniger an unserer Musik interessiert, sondern dachten: Ach, das ist ja abgefahren! Jedenfalls wurden wir nirgends ausgelacht. Und wir hatten auch keine dieser üblichen deutschen Country-Fans im Publikum, also mit Cowboy-Hut, Pistolenhalfter oder so.“
Der Truck Stop nahe der Autobahn-Abfahrt Maschen war ihnen stets ein Graus. Schlagzeuger Hauke Evers hört noch immer keinen Country. „Ich bin lange mit Klischees rumgelaufen von Günther Gabriel oder auch ,Ring Of Fire‘ und so“, erzählt Koppruch. „Bis ich auf Trash-Bands gestoßen bin, die sich auf Country berufen und respektlos mit den Elementen spielen. Da habe ich die Tradition hinter der Musik begriffen, die nicht volkstümelnd wirken muß.“ Mit Gitarrist Thorsten Carstens gründete er die Combo Tex Fury And The Silver Spurs, was natürlich auch eine Spur zu klischeehaft daherkam. Koppruch erkannte für sich, daß „ich nicht an diese Tradition anknüpfen kann, wenn ich als Deutscher englisch texte, da es nicht meiner Lebenswirklichkeit entspricht“.
Fink werden insofern authentisch, da sie den Country und Folk als Stilmittel für sich übertragen, und durchs Nadelöhr der Americana zu einem sehr eigenen, aber durchaus auch mitteleuropäischen Songwriting gelangen. Als Fink wird in der amerikanischen Umgangssprache ein Vorräten Betrüger geschmäht. Ein Topos mit Echtheitszertifikat, der zugleich ihre unweigerliche und auch willentliche Distanz zu dem Genre formuliert. Entsprechend zum Slang-Begriff und zu ihrem Selbstverständnis hatten sie auf dem ersten Album einen Kuckuck abgebildet – was wiederum nur Vogelkundige erkannt haben dürften. Das Cover ihres neuen Albums „Loch in der Welt“ zeigt daher keine Nadelwälder am Missouri, wie man zuerst glaubt, sondern Tannen an der Havel. Nimmt man dann die CD heraus, blickt man durch den eingefaßten Kreis der Plastikhülle auf das Foto einer Sozialbausiedlung.
Als großstädtische Hillbillies könnten Fink von Aki Kaurismäki erdacht sein und ihre Musik seine Filme ebenso begleiten wie Jim Jarmuschs sonderlichen, surrealistischen Western „Dead Man“. Karg, kontemplativ und ungemein konzentriert traben die Songs in eine Richtung, die selbst für die Band weiter ungewiß ist. „Mit der Frage, ob es Country ist oder nicht, und wenn es kein Country ist, was dann, setzten wir uns noch immer auseinander“, staunt Voß. Er mag Orchestermusik der 60er Jahre und schräge Soundtracks, und da erstaunt es nicht, wenn man die Laute am Beginn des Schlußsongs „Sag mir“ mit dem Quietschen des Windrades in der Eröffnungsszene aus Sergio Leones „Once Upon A Time In The West“ assoziiert oder den gespenstischen Todesmelodien in Italo-Western an sich, der die amerikanischen Mythen ähnlich rezipiert hat wie Fink. Der Country schwingt schon durch einen Schlenker ihrer stimmig eingesetzten Instrumente wie Dobro, Banjo und Harmonika, Lap-Steel-Guitar, Wander- und Westerngitarre, Mandoline und Violine mit. So wie Sven Regener, Sänger von Element Of Crime, im chansonartigen „Als einer mal nicht kam“ ein mexikanisches Trompetensolo anstimmt. Auch wenn Fink mal nicht so knarzig rocken wie in „Diese Stelle“, sollte man diese bravouröse Platte laut hören.
Die stärksten Parallelen zum Country sieht Koppruch im lakonischen Gestus der „Erzählperspektiven“. Mit nasal-narrativem Gesang trägt er tragikomische Moritaten und schwärende Romantizismen des Alltags vor. In „Samstag“ etwa tut sich eine morbide Idylle auf, als sich nebenbei ein Mann aus der Nachbarschaft verbrennt. Explizit erklären will seine Lyrik nichts. Daß Fink dann ausgerechnet „Sie wollen uns erzählen“ der selbstreflextiven Tocotronic covern, verwundert trotzdem nicht. Atmosphärisch sind sich diese Bands schon ähnlich. Koppruch wird hier sogar persönlich: „Ich habe in der Zeile ‚Unsere Leidenschaft ist ihnen rätselhaft‘ das ist in ein bleibt geändert Denn ich habe die Hoffnung, daß den Leuten vielleicht mal nicht mehr rätselhaft ist, was wir machen.“
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