NETZWERK von Thomas Schwebel

Rock’n’Roll und Tod – ein unerschöpfliches Thema. Auch und gerade im Internet. In Zeiten, in denen immer mehr Rockstars friedlich im Bett ins ewige Backstage wandern, erinnern wir uns der Zeiten, da der Tod eines Stars Anlaß für endlose Spekulationen war. Michael Hutchences Ende bringt ein wenig vom Fieber der Xferschwörungstheoretiker zurück, doch auf unserem Streifzug durch die unendlichen Weiten des Netzes denken wir an die Ursprünge zurück, den Beginn des Spekulierens. Was sehen wir da? Bis 1969 war alles einfach: Musiker starben bei Flugzeug-Unglücken (Buddy Holly, Otis Redding), und selbst eine Ermordung wie die von Sam Cooke war – da Afroamerikaner – Alltag. Der erste tote Rockstar, über den schwere Conspiracy-Theorien entwickelt wurden, war – PAUL Mc-CARTNEY! Okay, man kann argumentieren, daß er noch lebt (manche seiner Soloplatten lassen einen zweifeln), doch die „Paul ist tot“-Kampagne zweier bekiffter Studenten aus den USA, entstanden 1969 in einem Underground-Radiosender, hält sich bis heute und treibt selbst im Internet Blüten. Die Beweislast ist erdrückend: Nummernschilder wurden gedeutet, Cover gegen bestimmte Lichtquellen so gehalten, daß aus Sgt. Pepper „He dead“ zu lesen war – und wenn man „Penny Lane“ auf halber Geschwindigkeit rückwärts spielte und dabei einen Handstand versuchte, las irgendjemand einen Autopsie-Bericht vor. Oder so ähnlich. Nachzulesen in gebündelter Form unter www.geocities.com/SunsetStrip/3674. Einwände zwecklos!

Brian Jones (seine Todesumstände können im Netz unter www.ethanrussett. com diskutiert werden) und Jim Morrison waren die nächsten Toten, über die spekuliert werden durfte. Wobei es bei Jim Morrison eher darum geht, daß er noch lebt und seinen Tod nur vorgetäuscht und inszeniert hat – eine abstruse Theorie, der Doors-Keyboarder Ray Manzarek anläßlich des entsetzlich langweiligen Doors-Box-Set im letzten Jahr mit kryptischen Bemerkungen neue Nahrung zu geben versuchte. Er wird schon wissen, warum. Wahre Fans klicken derweil lieber www.serve.com/diavolo/grave an und weinen leise Tränen am Bildschirm angesichts des Grabes auf dem Friedhof Pere Lachaise in Paris. Das spart Reisekosten! Über John Lennons Tod hingegen ließ sich nicht soviel spekulieren – immerhin wurde er einfach erschossen, Täter verhaftet etc., und die Melange aus Rechtsradikalismus und generellem Durchgeknalltsein bei Mark Chapman war nun wiederum so eklig, daß sie die Anhängerschar eher abstieß. Warten wir also auf Chapmans Talkshow-Auftritte, sollte er irgendwann freigelassen werden!

Was uns direkt zum heißesten Fall der 90er Jahre bringt: KURT COBAIN und Courtney Love. Ein wahres Traumpaar für die Phantasie: Hier der hochsensible, zerrissene und unglaublich sympathische „Sprecher einer Generation“, dort die geldgeile Schlampe, die ihren Prinzen nach Strich und Faden zerstört, ausbeutet und – letztlich umbringen läßt! Jawohl, wir sind beim Mordfall Kurt Cobain und den Ermittlungen gelandet. Irgendwelche Zweifel? Dann schnell bei www.tiac.net/users/tobya einklicken, wie schon mehr als eine Millionen Leute bis jetzt. Von dieser Site, die einen guten ersten Eindruck über die Indizien, auf die sich der Mordverdacht gegen Courtney Love begründet, bringt, springen wir schnell weiter zu Mr. Tom Grant, Privatdetektiv in Los Angeles und seine Homepage www.tomgrant pi. com. Grant wurde seinerzeit von Courtney Love angeheuert, um den verschwundenen Kurt Cobain zu finden, was er auch tat. Allerdings war Kurt schon mausetot, vollgepumpt mit Drogen bis unter die Haare hatte er sich angeblich – noch eine Knarre in den Mund gesteckt und abgedruckt Und hier setzten die Zweifel bei Grant ein: Glaubt man seinen Berichten auf der Homepage (und sie klingen recht glaubhaft), dann war Cobain mit einer starken Überdosis so außer Gefecht gesetzt, daß er sich gar nicht mehr erschießen konnte, sondern Sekunden nach dem goldenen Schuß schon völlig weggetreten war. Und so geht es nahtlos weiter: Cobains Abschiedsbrief ist zu finden, wütende E-mail von Courtney Love, die sich schnell mit dem umtriebigen Detektiv überworfen hatte. Wurde der Mann anfangs belächelt, so zieht seine Theorie immer weitere Kreise.

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