Bessermacher statt B-Seite
Einst waren Remixe nette, billige Lückenfiiller mit Plazierungen auf den B-Seiten potentieller Hit-Singles. Mittlerweile hat die Musikindustrie jedoch die andere Seite aufgelegt: Remixer sind zum Rettungsdienst siecher Lieder avanciert. „Wir sind Bessermacher“, sagt Mousse T (sprich: Musti). Dank der Restaurationsarbeiten des Produzenten und DJs aus Hannover wurden etliche Songs doch noch Charterfolge. Eine Entwicklung, an der auch das Pop-Establishment nicht vorbeihören konnte. Der Grammy, der Ende Februar in New brk verliehen wurde, war kurzerhand um die Kategorie Best Remixer bereichert worden. Und einer der fünf Nominierten für den wichtigsten US-Musikpreis war der türkischstammige Mousse T.
Seine Konkurrenz war ehrenvoll: David Morales, Todd Terry, Armand van Helden sowie der spätere Sieger Frankie Knuckles. Wie konnte Mustafa Gündogdu alias Mousse T. die Phalanx der US-House-DJs durchbrechen? „Ich bin wie ein Trojanisches Pferd stets belächelt und unterschätzt worden“, erklärt der 31jährige. Das stimmt nur bedingt. Denn in Amerika hat sich der Niedersache einen erstklassigen Ruf eingespielt. In seiner deutschen Heimat, von der aus er seit gut zehn Jahren operiert, schenkte ihm hingegen kaum jemand Gehör. Mit seinen beiden Freunden Wolfgang Sick und dem Engländer Erroll Rennalls gründete er 1987 das Aufnahmestudio „Peppermint Park“ in Hannover. Während sich andere DJs der auf der Techno-Welle mitsurften, verschrieb sich der Individualist dem hier wenig etablierten Bereich Black Dance Music. Seine Fähigkeit, „Vbcal-Stücke zum Knallen zu bringen“, erregte schon bald international Aufsehen. „Erst dachten die Amis, das wären britische Produktionen. Man war verwirrt darüber, daß ein Deutscher den Groove haben sollte“, erzählt der hochgewachsene Mousse T. heute. „Die kannten nur Kraftwerk und belächelten daher die deutschen Tanzproduktionen.“
Seit der Sohn eines Gynäkologen bei Dutzenden von namhaften Acts selbst Hand angelegt hat, lacht keiner mehr. Quincy Jones, MC Lyte, En Vogue, Simply Red – selbst Michael Jackson hat sich „Ghosts“ an der Leine liften lassen. Mit feingliedrigen Fingern hat der Musik-Doktor den Rhythmus gestrafft, unnötige Instrumente abgesaugt, schlaffe Stellen durch groovige Beats aufgepeppt. Nach erfolgreicher Radikalkur erstrahlt der Song dann in ungeahnter Schönheit – an das Original erinnert wenig. „Ich behalte nur die Vocals, alles andere wird neu produziert“, so Mousse T. Puff Daddy liebt ihn dafür: „,Cold Rock A Party‘ ist ein Hit. Aber nachdem der Typ ihn remixt hat, ist es ein Klassiker.“
Andere Musiker betrachten den Trend skeptischer. Das britische Duo Everything But The Girl etwa. Nachdem ihre Single „Missing“ gefloppt war, toppte der Remix von Todd Terry die Charts. Auf der Grammy-Party erzählte der US-DJ seinem deutschen Kollegen, daß die Band darüber „todunglücklich“ war. Künstlerpech kann man es nicht nennen, dazu sind die Remixe zu häufig erfolgreicher als die Originale. „Mein Name verkauft“, weiß Mousse T. nicht ohne Stolz. Ein Renommee, das seinen Preis hat. Zwischen 20 000 und 30 000 Mark. Dank 50 Aufträgen pro Jahr erfüllt sich der fleißige Kleinunternehmer (zehn Angestellte) inzwischen all seine Träume: Reisen und Designerklamotten. Zudem kann er sich seine Jobs aussuchen. Entscheidende Kriterien sind „der Name und die Kohle“. Nur einmal hat sich der Maestro, der Songs in allen Lebenslagen zu analysieren vermag, verhört: „Vor zwei Jahren wurde mir ,Macarena‘ angeboten – und ich habe abgelehnt.“ Für die Innovation sind ihm Umsätze und Reputation allerdings egal. So kreierte er eine Mischung aus stimmenlastigem Garage House und Drum-’n’Bass. Das renommierte britische Musikmagazin „DJ Mag“ feierte ihn dafür im Sommer ’97 neben Armand van Helden als Erneuerer der hippen Danceart Speed Garage. Als Produzent war er zuletzt für den Pop-Sound auf Randy Crawfords aktueller Platte JLvery Kind OfMood“ verantwortlich, und Funk-Legende Bootsy Colüns kam für „Fresh Outta ‚P’Unirersity“ ^persönlich nach Niedersachsen. Zur Zeit tüftelt er an einem Remix für Gloria Estefan.
Seit der Grammy-Nominierung gehört Mousse T. zur High Society des Musikbiz. Und wie sich für einen angehenden Star ziemt, hat er gleich die Vorab-Siegerkür seiner Kategorie verpaßt. Todd Terry erzählte ihm auf dem Gang von Frankie Knuckles‘ Sieg. „Er ist ein supergeiler DJ, aber nicht mehr in“, kommentiert Mousse T. die Entscheidung der Jury, beider Premiere Knuckles‘ allgemeine Verdienste um den House zu würdigen. Daß er nicht gewonnen hat, stimmt den Remixer nicht traurig. „Allein die Nominierung ist für mich das I-Pünktchen meiner Karriere.“ Denn beim offiziellen Teil der Verleihung saß er immerhin nur zwei Plätze neben Mike Tyson.
Mustafa Gündogdu grinst zufrieden: „That’s showbiz.“