Ivan Kral über den prager Herbst
ALS ER IM PRAGER FRÜHLING IN SEINE HEIMAT ZURÜCK-KEHRTE, SCHIEN DIE STADT WIRKLICH EINE "GOLDENE" ZU WERDEN. NEUN JAHRE SPÄTER IST VON DEM GLANZ NICHTS GEBLIEBEN - UND WAHL-AMERIKANER IVAN KRAL NUR NOCH WIDERSTREBEND IN SEINER ALTEN STADT
Zappa-Fan als Präsident, eine Stadt als Kapitale, die nicht nur eine Touristen-Idylle ist, sondern das Zeug zum kulturellen Eldorado hat. Doch Bertolt Brecht hat recht: „Erst kommt das Fressen, dann die MoraL“ In Prag regiert mittlerweile der Knödel-Kapitalismus, was einen Idealisten wie Ivan Kral fast zur Verzweiflung treibt.
Kral ist außer sich. „150 Kronen“, schnaubt er ungläubig, denn seiner Meinung nach dürfte diese Taxifahrt mit schlimmstenfalls 100 Kronen zu Buche schlagen. Ein heftiges tschechisches Wortgefecht zwischen ihm und dem Droschkenkutscher entbrennt. Und auch ohne eine Silbe zu verstehen wird deutlich, daß der stämmige Chauffeur zum Letzten entschlossen ist. Wild gestikulierend will sich aber auch Kral keine Blöße geben. Der Taxifahrer droht mit PrügeL Kral, ganz pazifistischer Rock’n’Roller und zudem ziemlich schmächtig, leitet den kontrollierten Rückzug ein. Handel auf tschechisch, willkommen in Prag, der schillerndsten Metropole im Osten. Ivan Kral schmollt: ^Es gibt keine Ehrlichkeit in diesem Land.“
Ein Satz, den wir aus seinem Mund noch häufiger hören werden. Eine Äußerung aber auch, die dem gemeinen deutschen Touristen niemals über die Lippen käme, es sei denn, er pflegte den slawischen Untermenschen“ in seinem ständig aktiven Wortschatz. Wie dem auch sei: Kral darf so etwas sagen, er ist gebürtiger Tscheche. Und ein Taxifahrer mit betrügerischen Absichten erfüllt natürlich sofort das Klischee vom Böhmisch’Teppichhändlerischen – kaum, daß man den Prager Hauptbahnhof verlassen hat. Kral klärt auf: „Niemals in ein VW-Taxi steigen; die kontrolliert allesamt die Mafia. Sucht Euch lieber einen alten Skoda oder Lada.“ Er winkt ein neues Taxi herbei, wird mit dem Fahrer handelseinig. Der weiße VW riecht noch ganz neu.
Ivan Kral flüchtete 1968 mit seinen Eltern in die USA, als Telefonist der amerikanischen Filiale von Apple Records knüpfte er seine ersten Kontakte mit dem Musikbusineß: „Irgendwann meldete sich mal ein John‘ am Telefon, und genau, wie ich es gelernt hatte, fragte ich höflich: John wer, bitteschön?‘.“ Die harsche Antwort folgte prompt:
John the Beatle, you bastard!“ Gitarrist Kral, der „naive Immigrant“, wie er sidi heute selbst bezeichnet, lernte dennodi die richtigen Leute kennen. Er spielte bei The Pop und für Genya Ravan, Mitte der Siebziger stieg er für kurze Zeit bei Blondie ein, danach stieß er zur Patti Smith Group, der er bis zu deren Exitus im Jahr 1979 angehörte. Kurze Gastspiele bei Iggy Pop und John Waite folgten, die allerdings nicht karrieredienlich waren und sich daher bald von selbst erledigten: „Ich wollte Iggy nicht in meinen Armen kollabieren sehen, was durchaus vorkam. Ich wollte ihn nicht sterben sehen. Und John Waite ist zwar ein wunderbarer Sänger, aber er hat neun Gesichter. Ein völlig unzuverlässiger Charakter.“
Als dann Prag 1989 im zweiten Frühling erblüht, zieht es den Inhaber eines amerikanischen Passes voller Tatendrang zurück in seine Heimat – über die er neun Jahre später allerdings wenig Positives zu berichten weiß: „Prag ist furchtbar schmutzig, außerdem mag ich es nicht, wie die Menschen hier miteinander umgehen. Die öffentliche Moral ist vom Kommunismus komplett zerstört worden, alle sind verbittert, gierig und sehen nur das Negative. Keiner freut sich darüber, wenn er einen Job hat. Wichtig ist nur, wer einen BMW fahrt und wer nicht. Außerdem gibt’s keine Ehrlichkeit in diesem Lande.“ Haßliebe nennt man das. Sein allzu bescheidener Wohlstand, den er in seiner Wahlheimat Seattle genießt, zwingt kral aber dazu, die Hälfte des Jahres als Produzent in der tschechischen Hauptstadt zu arbeiten.
Prag, „Cafe Kafka“. Ein vergilbter Jugendstil-Salon mit Flohmarkt-Flair, Apfelkuchen mit Sahne. Man spricht deutsch und englisch. Europäische Literaten-Idylle, alles ist so alt, so klein, so schnuckelig und ein wenig heruntergekommen nicht zu viel, nur ein bißchen. Literaturstudenten, Möchtegern-Bohemiens und amerikanische Touristen lieben sowas. Franz K., als deutschsprachiger Jude erst von den deutschen, dann von tschechischen Nationalisten verfemt sowie ungeliebter Sohn der kommunistischen Ex-Machthaber, ist längst zum devisenbringenden Stadtpatron avanciert Zwar gibt es noch keinen „Verwandlungs-Burger“ und auch keinen „Prozeß-Shake“, aber dank Museumsplakaten, T-Shirt-Ständen und Poster-Shops ist der tote Poet omnipräsent Dichter, Denker, sinnschwere Diskussionen in verrauchten Salons – Boheme ist das Stichwort, oder das, was man im Mittleren Westen dafür hält. Die Intellektuellen der Stadt residieren zwar noch immer im „Cafe Globe“, doch seit Prags Preise Weltniveau erreicht haben, kehren die leicht angegammelten US-Studenten mit den Ziegenbärten zunehmend in ihre Heimat zurück. Richard Zoli, Geschäftsführer des Szene-Clubs „Radost FX“, kennt seine amerikanische Kundschaft: „Für sie ist Prag eine Kuriosität, sie alle wollen wissen, was sich hinter dem Eisernen Vorhang getan hat und bewundern die Architektur. Nach einem Jahr haben sie allerdings meistens genug.“
Ein Mahnmal amerikanischer Kultur bleibt den Pragern dennoch erhalten: „Planet Hollywood“ von Schwarzenegger, Stallone und Willis, das kulinarische Disneyland mit den lebensgroßen Monroes und Waynes aus Pappe, etabliert sich gerade als grellbunte Alternative zur Knödelküche der Eingeborenen. Coke und Burger. Die Revolution frißt schiere Rinder. Und wer in Prag einen statthaften Rausch sucht, muß mittlerweile weder eimerweise die Biermarke Prazdroj litern noch den weihnachtlich süßen Likör namens Becherovka bechern – denn die Segnungen des Westens sorgen längst für ein reichhaltiges Drogensortiment. JEs ist momentan ziemlich hip, Heroin zu nehmen“, erklärt Richard Zoli, der seinen Club via Taschenkontrolle möglichst drogenfrei halten wilL „auch Speed und Crack sind problemlos erhältlich.“ Fast wehmütig erinnert sich der umtriebige Szene-Impresario an die gute alte Zeit: „Früher warst du mit einem Joint der King.“
Daß früher alles besser gewesen sei, behauptet allerdings niemand. Selbst ein Idealist wie Ivan Kral räumt zähneknirschend ein, daß der Nachholbedarfseiner Landsleute einfach zu hoch ist: der real existierende Kapitalismus – und zwar in allen Lebenslagen. Da hilft es offensichtlich auch kein bißchen, einen Schriftsteller als Präsidenten zu haben. „Havel ist das einzige, was von der Vergangenheit im guten Sinne geblieben ist. Wie er, war auch das erste frei gewählte Parlament idealistisch und optimistisch“, resümmiert Kral, „doch plötzlich sind alle verschwunden. Wir vermuten, daß es seitdem keine Ehrlichkeit mehr in diesem Lande gibt.“
Wenn Ivan der Skeptische recht hat, geht es mit der tschechischen Kultur ohnehin längst die Moldau runter: „Gegen Ende des letzten Jahrhunderts und von 1918 bis 1933 gab es hervorragende Maler, Philosophen, Schriftsteller und Musiker, aber heute will jeder nur möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen.“ Was gerade den einheimischen Musikern schwer fallt, wie Kral, Produzent in Diensten der Polygram, aus eigener Erfahrung weiß. „Wer braucht außerhalb dieses Landes denn tschechische Popmusik? Vor ein paar Jahren noch riet ich den von mir betreuten Musikern, englisch zu singen, was sie allerdings auch nicht weitergebracht hat. Heute empfehle ich ihnen, daß sie so schnell wie möglich aus diesem Land verschwinden sollten. Die Grenzen sind offen. Sie sollen, bevor sie 30 Jahre alt sind, die Biege machen und möglichst viel dazulernen.“ Ein Ratschlag, den seine Schützlinge offenbar nicht so recht befolgen wollen, wie Kral mit einem völkerkundlich inspirierten Redeschwall untermauert: „Sie sind zu faul, niemand will die Anstrengung auf sich nehmen. Sie sind verwöhnt, lahmarschig und möchten lieber hier bei ihren Freunden bleiben. Sie sind wie ihre eigenen Großeltern; das ist und bleibt ein Teil ihrer Mentalität. Ich hänge sehr an diesem Land, ich bin auch nicht verbittert. Die alten Leute tun mir leid, aber den jungen würde ich gerne in den Arsch treten.“
Mit Polygram, Sony Music, BMG und Warner sind die westlichen Major Companies in Prag gut vertreten, auch Indie-Labels wie BonTon und Monitor konnten sich etablieren. Warum tschechische Bands dennoch massive Probleme dabei haben, einen Plattenvertrag zu ergattern, hat zweierlei Gründe. Einer davon ist die musikalische Tatsache, daß die Mehrzahl der Bands schlichtweg uninteressant ist. Denn es gibt, so stöhnt Kral, „massenweise Kopisten, die in fehlerhaftem Englisch von Black Sabbath bis Zappa so ziemlich alles nachspielen“. Und der Grund Nummer zwei sind die „Menschen ohne Ohren“, wie Kral die A&R-Leute der Industrie nennt Bei Martin Cervinka gibt es keine Anzeichen für eine Körperbehinderung, vielmehr fallt der A&R-Mann von Polygram durch eine gehörige Portion Sarkastnus auf: „Wir sind nur ein kleiner Teil einer großen Firma, müssen uns aber um alles kümmern. Gepusht werden letztendlich nur dieselben fünf Idioten wie überall auf der Welt, und die wirklich gute Musik bleibt liegen.“ Etwa zehn Bands bewerben sich im Monat, weshalb Cervinka die Frage nach seinem Tagesgeschäft lächelnd mit „Autowaschen und Kaffee trinken“ beantwortet. Der Mann hat Humor. Und den braucht er auch, denn die Suche nach neuen und vor allem kommerziell interessanten Acts – normalerweise Daseinszweck eines A&Rs – wird an der Moldau eher klein geschrieben. „Wir leben im Land der Revivals. Das Publikum will nur Janis Jopün, Led Zeppelin, die Rolling Stones und Beatles.“ Da schlürft Cervinka, der früher bei der tschechischen Underground-Legende Garüz spielte, doch lieber noch eine Tasse schwarzen Kaffee.
Sein einstiger Garüz-KoUege Ivo Pospisil sucht sein Glück von vornherein in der Nische: Ihm gehört „Radost“, ein gutsortierter Plattenladen, der direkt neben dem fast gleichnamigen Club zu finden ist. Pospisil hat seine eigene Erklärung für die Misere: „Wir sind ja immer so stolz, daß unsere Arbeitslosenquote bei lächerlichen zwei, drei Prozent liegt. Gäbe es mehr Erwerbslose, würden bestimmt mehr Kids neue Bands gründen; sonst gäbe es ja nichts zu tun. Wie in England vor 20 Jahren.“ Cervinka nickt und bringt die Konsequenz der quasi-Vollbeschäftigung auf den Punkt: „Magen voll, Glotze an.“ Auch Tschechiens Fernsehen findet keine Gnade vor seinen Augen: „Es gibt richtig progressive Kultursender, die aber kein Schwein sieht. Die Intellektuellen haben diese Sender gefordert und bekommen, schalten sie aber selbst nicht ein. Auch so’n Mentalitätsproblem.“
I rgendwie kommt einem das alles doch bekannt vor: Der von Kral beobachtete urbane Schmutz nährt auch in Berlin Legionen von Ratten – und deutsche Jugendliche gründen trotz immenser Arbeitslosigkeit keine zeitgemäße Ausgabe von The Clash. Amerikanische Touristen lassen Rothenburg o.d. Tauber allsommerlich zu einer Millionenstadt anwachsen, und was zum Beispiel in Fulda nach vollbrachtem Tagewerk und dem Abendessen abgeht, dürfte vor allem die Quotenermittler von der GfK interessieren. Heroin gibt’s inzwischen selbst in der niedersächsischen Provinz, und wer schon mal in Weimar weilte, der weiß, daß wir nun wirklich keinen Kafka brauchen. Bleibt allenfalls die freie Preisgestaltung der Taxifahrer, die uns die Tschechen noch beibringen können. Aber die hat Herr Westerwelle eben einfach noch nicht entdeckt Ivo Pospisil seufzt dennoch. „Diese Nation hat keinen Stolz, und deshalb ist auch diese regressive Volksmusik auf dem Vormarsch. Alles, was an wirklich neuen Musikrichtungen aus dem Ausland kommt, hat hier kaum Chancen, denn letztendlich sind viele Tschechen ausgemachte Rassisten. Saubere Boygroups für die Kleinen und Blaskapellen für die Alten.
Der Musikgeschmack des ganz normalen Tschechen ist eben irgendwie… tut mir leid, daß ich das so sagen muß: ziemlich deutsch.“