„G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke“ von MATT RUFF
Mit seinem Buch „G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke" beantwortet MATT RUFF die Frage, was aus den guten Vorsätzen dieses Jahrhunderts geworden sein wird.
Im Jahre 2023 ist der ROLLING STONE 56 Jahre alt. P.J. O’Rourke ätzt sich als literarischer Guerillero noch immer durch den irregelaufenen Zeitgeist, und eine Präsenz auf dem Cover der Zeitschrift bleibt mythenbildend – nach wie vor. Matt Ruff jedenfalls geht in seinem jüngsten Roman „G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke“ davon aus, und für die RS-Leser wirken seine hyperventilierten Pop-und-Trash-Tiraden geradezu extremistisch realistisch. Ruff ist ein Nachkomme der FlowerPower-Generation: ein Frechdachs von jenem Kaliber, vor dem sich die Love-&-Peace-Adepten immer gern selbst ein wenig warnten – aber nun ist es zu spät dazu.
Die Popkultur tritt in das Stadium ihrer ironischen Reflexion, und Matt Ruff ist herausgetreten aus der Reihe der überkandidelten und mittlerweile hochliterarischen Postmoderne, um möglichst viel Spaß bei der Sache zu haben. Zusammen mit Autoren wie Neal Stephenson und Steve Erickson gehört er zu den literarischen Frontinen des Cyberpunk, aber seine Schreibe geht einen Schritt weiter: Es ist der neongrelle Kopulationsakt zwischen Literatur und Pop, zwischen Realität und Wahnsinn, der jene mutierten Monster, Freaks und Psychopathen zeugt, mit denen sich Ruffs babylonisches New Yotk der nahen Zukunft bevölkert 1966 als der Sohn eines lutheranischen Pfarrers in Queens geboren, aufgewachsen in der Obhut eines WASP-Elternhauses und der Cornell University, hatte eigentlich niemand ahnen können, daß er sich dereinst so undankbar zeigen würde gegenüber der Schickimicki-Litterazia New Yorks. Doch für die Autorengarde des langatmigen Urbanismus – das „Brat pack“ der Achtziger hat er nur verhohlene Verachtung übrig. Zitat Ruff: „Es kamen dann diese ganzen neuen Schriftsteller auf, die sich gern wie Hemingway oder Fitzgerald gelierten und Erzählungen veröffentlichten, die alle im gleichen Milieu spielten, so wie ,Less than Zero‘, ‚Bright Lights – Big City‘ oder ,Slaves of New York‘: Ein junger Protagonist, der meistens in New York lebt, meistens Absolvent eines exklusiven College ist und dessen Mutter meist an Krebs gestorben war. In ,Bright Lights – Big City‘ gibt es das beste Beispiel für jemanden, der so niedergeschmettert ist von seinem Schicksal, daß er sich elfKapitel lang wie ein Arschloch benehmen darf, ständig darüber redet, wie sinnlos, stressig und ,tough‘ das Leben sei und wie hart es doch ist, reich zu sein und in den 80er Jahren zu leben.“
Mit „G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke“, die dieser Tage in der deutschen Ausgabe erscheint, hat Ruff endgültig den Schlüssel für eine Literatur gefunden, die sich um Bedeutung nicht kümmert und die den linken Geist von Woodstock ebenso kritisch wie beschwörend in einen historischen Zukunftsroman transponiert – zumindest könnte er als Erfinder einer solchen Gattung gelten. Was du heute nicht verstehen kannst verschieb’s auf morgen, und der alltägliche Wahnsinn zeigt seine Fratze, seinen Aberwitz, seine stiefelscfaafttiefe Herkunft aus der ganzen Scheiße einer verlotterten Gegenwartsbewältigung. Wer allerdings glaubt, daß sich Ruff politisch korrekt und moralisch überanstrengt um den Erhalt der Zivilisation bemüht und eine tieftraurige Epik der Betroffenheit absondert, irrt sich gewaltig. Er kommentiert nichts, seine Zukunftsvisionen sind abgeklärt gleichgültig und beinahe schon sarkastisch in ihrem Tanz um den Unterhaltungswert. Kleine Chronik auf dem Weg zum modernen Babylon: Imjahre 2004 rafft eine unerklärliche Pandemie bis auf wenige, grünäugige Ausnahmen alle Schwarzen dahin. Ihre Körper zerfallen und verschwinden innerhalb von Stunden und zurück bleibt – Zynismus Stufe 1: jede Menge liegengelassener Arbeit und also fruchtbarer Boden für jene ureigene Form des amerikanischen Kapitalismus mit einem Binnenreim auf HalligallL Harry Gant, geboren 1980 auf dem Rücksitz eines am Jersey Turnpike verreckten Toyotas und Entrepreneur zwischen Ronald Reagan und einer gewissen Altlast von Altlinks hat – Zynismus Stufe 2 – die zündende Idee: Androiden, menschenähnliche Roboterhelfer, um den Arbeitsmarkt der Zukunft zu bedienen. Verkaufsschlager wird – Zynismus Stufe 3 – der „Elektro-Neger“: Androiden mit schwarzer Hautfarbe, die ein aus dem zwanzigsten Jahrhundert hinübervererbter Rassismus sofort mit Dienstwillen und Unterordnung in ferbindung bringt.
Das Jahr 2023 dann zeigt Gant auf dem Höhepunkt seines Reichtums und New York bzw. die zivilisierte Welt in ihrer Herkunft aus den Kloaken des Hier und Jetzt Die geistige Schußfahrt des linken Idealismus wird kompensiert durch rein materiellen Aufstieg: Gant plant den Superwolkenkratzer, einen neuen Turm zu Babel, während New York an seiner eigenen Scheiße zu ersticken droht Die Kanalisation ist zu einem schiffbaren Labyrinth von Gülletunneln verkommen, und längst ist sie integraler Bestandteil der Biosphäre – mit Anschluß an die nächtlichen Alpträume von Greenpeace-Campaignern. Kanalarbeiter tuckern schwerbewaffnet durch die Korridore unheimlicher Begegnungen, und ein weißer Hai namens Meisterbrau, dem biomutagenes Futter Flügel verliehen hat, frißt mit Vorliebe die Träger von Uhren der Marke „Timex Symphony“ – was immerhin den Vorteil hat, daß er sein Nahen unter den Klängen des Bolero ankündigt.
Das wahre Unheil aber ist Folge einer Verschwörung, die ihren Anfang nahm in Disneys legendärem Qub 33. Ein Gespräch zwischen Roy Disney und Ex-FBI-Chef J. Edgar Hoover legt den Grundstein zur apokalyptischen Entwicklung des Plots: ein Supercomputer spielt mit, der Geist von Ayn Rand und ihres modernen Sozialdarwinismus‘, ein Trupp durchgeknallter, ferrarifahrender Kriegsveteranen, Elli die Zweite von Großbritannien, die ihren Thron und ihre Ehre mit einem alten Vickers-MG verteidigt, und eine Gruppe von Öko-Terroristen in einem pink-gepunkteten U-Boot namens „Yabba-Dabba-Doo“. Im Dienst des weitgehend gewaltfreien Umweltschutzes torpediert es den umweltverschmutzenden Gegner mittels koscherer, in den Geschützrohren des Bootes auf Mach 9 beschleunigter Salami und verbirgt sich vor den Häschern unterhalb der Freiheitsstatue, wo irgendwelche Nazi-Schergen in einer Drehpause von „Indiana Jones“ irgendwann einmal ein unterirdisches Versteck anlegten – so scheint es.
Die „Yabba-Dabba-Doo“ ist – wie der Roman – ein technisches Wunderwerk, weil Ruff selbstverständlich alles geplündert hat, was sich in den letzten Jahrzehnten an Trivialmythen angesammelt hat – also auch James Bond, King Kong, Rambo, die Star-Wars-Trilogie und, und, und. Daß er das Zeug dazu hat, den alltäglichen Medienramsch auf Zündungsdichte zu bringen, konnte er schon 1988 mit „Fool on the Hill“ beweisen. „Freibeuter Erotik“ nannte die „Frankfurter Rundschau“ das Buch, zu dessen Charakteren ein Minister des schlechten Geschmacks gehören, einer für Moralfragen und einer für Lust, die schönste Frau der Wfelt, eine Gestalt namens Fantasy Rastamop und die Provo-Patrouille Blaue Zebras, zahlreiche Shakespeare-Figuren, Kobolde, Excalibur HI, ein verwirrter Schäferhund und der Direktor des Instituts für kynologische Studien der Cornell University.
Mit „G.A.S.“ aber steigert Matt Ruff den Wahnwitz nochmals und gibt eine schlüssige Antwort auf die Frage, was aus all jenen guten Vorsätzen diesesjahrhunderts dereinst geworden sein wird: Keine Ahnung aber sich vorzustellen, der Rauschzustand findet draußen statt, kann ja wohl so falsch nicht sein.