Indie goes major
David gegen Goliath, die Zweite: Die mächtigen Majors kamen in den Achtzigern ordentlich ins Schwitzen. Unbehindert von ihrem Zugriff etablierte sich in Amerika eine Szene junger Rockmusiker, von der nicht nur alle innovativen Impulse ausgingen, sondern auch enorme wirtschaftliche Macht. Bands wie die Butthole Surfers oder Sonic Youth waren stilistisch zwar schwer auf einen Nenner zu bringen, doch über das alternative Netzwerk erreichten sie ein auch für große Companies attraktives Publikum. Wichtiges Element in der Infrastruktur dieses Indie-Rock-Circuits bildeten die College-Radios, die selbst an den verschlafensten Unis von Studenten verwaltet werden. So kann in dem kleinsten Kaff die coolste Musik empfangen werden.
College-, Alternative-, Indie-Rock – das sind die in den Achtzigern geprägten Termini, die ein bis heute in den Staaten relativ stabiles Marktsegment beschreiben. Beherrscht wird es inzwischen längst von multinationalen Konzernen.
Doch noch einmal zurück zum Anfang: Die Idee, Tonträger unabhängig zu produzieren, ist natürlich so alt wie die Rockmusik überhaupt, wurde aber erstmals im Postpunk-England der späten Siebziger von Rough Trade zur Politik erhoben. Eine Reihe kleiner Labels stellten im Fahrwasser von Rough Trade nonkonformistische Kataloge zusammen: Neben den längst eingestellten Labels Postcard (Orange Juice) oder Factory (New Order) wurde 1983 als VCbhnzbnmer-Firma auch Creation Records gegründet, das heute mit Oasis so was wie den Giganten unter den Indies darstellt.
In den USA übernahm SST Records eine Vorreiterrolle: Anfangs hatte die kalifornische Firma so unterschiedliche Künstler unter Vertrag wie die Hardcore-Radikalen Black Flag oder die Wall-of-Sound-Pioniere Hüsker Du. Später kamen Dinosaur Jr. und die Screaming Trees hinzu. Bei SST gab es keine inhaltlichen Vorgaben, Indie-Rock meinte absolute stilistische Freiheit. Zu welch wunderschöner Musik die fuhren konnte, bewies vor allem Mike Watts Trio Minutemen, die Punk ab neue Chance zur freien Form begriffen. Doch irgendwann waren die goldenen Zeiten bei SST vorbei. Die Vorteile, etwa das Fehlen jeglicher Bürokratie, verkehrten sich in Nachteile.
Drücken wir’s diplomatisch aus: Die Einnahmen aus den Plattenverkäufen wurden nicht immer ganz korrekt verrechnet. Über die zweite Hälfte der Achtziger verließen deshalb alle profitablen Bands die Firma und gaben dem Werben der bereits seit langem mit den Scheckheften wedelnden Industrie nach.
Zeitgleich mit dem Niedergang von SST vollzog sich der Aufstieg einer anderen US-Hinterhof-Company: Sub Pop in Seattle veröffentlichten 1987 die ersten Singles von Mudhoney und Soundgarden, und die ganze Welt bejubelte bald Grunge. Der sagenhafte Aufstieg von Nirvana, die 1989 ihre Debüt-LP „Bleach“ auf Sub Pop rausbrachten, katapultierte erstmals eine Band aus dem Indie-Umfeld in die Reihen der Mega-Seller.
Seit Nirvana & Co. auch die Football-Stadien des Landes füllten, ist Alternative-Rock ein lukrativer Claim für die großen Konzerne. Warner Brothers hat sich Sub Pop, wo seit Jahren kaum noch relevante Platten erscheinen, einverleibt. Atlantic benutzt Mammoth Records als Rangierbahnhof für unsichere Signings. Capitol hat sich für viel zu viel Geld eingekauft bei Matador, das bereits seit einigen Jahren den stabilsten Indie-Rock-Katalog aufweisen kann. Und Geffen schließlich engagierte zeitweise Sonic Youth als Talentscouts, was der Band in einschlägigen Kreisen ziemlich übel genommen wurde.
Fazit: Indie ist im Indie-Rock niemand mehr.