Der lange Marsch durch den Dance-Club: CHUMBAWAMBA machen Pop & Agitprop
Früher war alles einfacher, denn Gut und Böse waren klar getrennt und der Sündenfall höchstens als Versehen denkbar – so als hätte Eva im Paradies nur deshalb in den Apfel gebissen, weil sie glaubte, es sei eine Tomate. Chumbawamba passierte ähnliches vor drei Jahren: Das linksradikale Dancepop-Kollektiv (gut) aus der britischen Proletarier-Metropole Sheffield (gut), das lange nur auf seinem eigenen Label (gut) Platten veröffentlichte, begab sich in die Obhut eines rührigen Indie-Labels (gut), das dann aber urplötzlich von einem Major-Label (böse) vertrieben wurde. „Wir finden es furchtbar“, erklärte damals Sängerin Alice Nutter bestürzt, „daß wir wider Willen zur multinationalen Musikindustrie gehören.“
Dieses Jahr sitzt dieselbe Alice Nurter in einem Hamburger Nobelhotel und ist rundherum zufrieden: Chumbawamba haben gerade einen Vertrag mit einem multinationalen Superduper-Major Label unterschrieben, und das ist toll, denn Eva ißt Äpfel, weil Eva liebt Äpfel. „Wir haben jahrelang Energie verschwendet, um unser Label am Laufen zu halten, denn wir hatten keine Ahnung von Verträgen und Management und haben praktisch jeden Fehler gemacht, den man machen kann, und darunter hat unsere Musik gelitten und unsere Arbeit, und jetzt haben wir einfach genug davon, weil wir uns auf unsere Projekte konzentrieren wollen, denn früher…“ Und so weiter und so fort, 2000 Worte hinausgestoßen ohne Punkt und Komma, so als müsse man Gott und die Welt und vor allem sich selbst überzeugen.
Dabei klingt alles ausgesprochen gut, das Eingeständnis der eigenen Fehler ebenso wie die Mühsal mit dem Ex-Indie-Partner: „Sie haben uns geliebt, als wir radiotauglichen Pop machten. Doch dann produzierten wir einen Fotoband über Anarchisten mit einer Akustik-CD. Da hieß es: zu unkommerziell. Und es war kein Entertainment-Moloch, der uns diesen Vorwurf machte.“
Der ist dafür jetzt dran, als kleineres Übel. „Greil Marcus sagt irgendwo: ,Etwas wird wichtiger, wenn es mehr Menschen erreicht‘ – und er hat recht“, erklärt Gitarrist & Sänger Bof. „Also haben wir einen Vertrag mit EMI gemacht. Und niemand hat uns bei „Tubthumper“ reingeredet.“ Kein Wunder, schließlich läßt die neue Platte nicht viele kommerzielle Wünsche offen: Das Oktett präsentiert sich mit seinem erprobten Dance-Pop-Folk-Rock, der – aufgepeppt mit lustigen linksradikalen Parolen – aus einem fröhlichen Club-Gänger in Sekunden einen echten Streetfighter macht – auf dem Papier.
Der leichtverdauliche Hitpop soll aber nur ein weiterer Anfang sein, schließlich gibt es viel zu tun. „Die Leute fragen uns immer, ob wir, als Linke, nicht froh sind, daß in England endlich Labour regiert. Die wissen nicht, daß sich politisch nichts geändert hat“, erklärt Bof. Deshalb wird weiter gegen Rassismus und die sozialdarwinistische Wettbewerbsgesellschaft gearbeitet, nur mit anderen Methoden: Es gibt eine Website, dafür werden die etwas antiquierten Theater-Einlagen während der Konzerte gestrafft bis gestrichen. Das Ziel bleibt: „Ich will, daß jeder ein besseres Leben hat“, erklärt Alice. „Ich werde aber nicht wie ein Asket leben, bis der Kapitalismus zerstört ist. Und danach erst recht nicht.“ Die Grundidee des Anarchismus eben.
Man reiche der Dame einen Cocktail – es muß ja nicht gleich einer von Molotow sein.