mit U2 auf Amerika-Tournee

Die Geburt war schwer, die ersten Schritte stolpernd, doch die - wieder einmal - "Biggest Show On Earth" ist endgültig am rollen. martin Scholz durfte sich als einziger Journalist U2's "PopMart" umsehen.

Die Stewardess hat Mühe, nicht über die Taschen im Gang zu stolpern: Im Inneren der Boing 727 sieht es aus wie in einem Schulbus auf Klassenfahrt – Zustände, die jeden Lufthansa-Purser auf die Palme bringen würden. Die „Fasten Seatbelts“-Zeichen werden ohnehin ignoriert. Daß der Kapitän die Passagiere nicht zur Ordnung ruft, mag daran liegen, daß er an diesem Abend keine alkoholisierten Ferienflieger, sondern eine millionenschwere Band an Bord hat, die den Jet für mehrere Monate gemietet hat.

„Kann ich Ihnen noch etwas bringen“, fragt die Stewardess den bärtigen Kapuzenmann. Er lehnt lächelnd ab. Kein Gelage über den Wolken, keine knallenden Champagnerkorken. Wie ein müder schwarzer Abt wandelt U2-Sänger Bono durch den Gang, bis er sich erschöpft in den Sessel neben den Gast aus Deutschland fallen läßt. Er ist blaß unter den Bartstoppeln. Für einen Moment erinnert seine Miene an den gedankenverlorenen Ausdruck von Frauen, deren Köpfe unter Frisierhauben stecken. Er sieht müde und älter aus, als er es verdient.

Es ist inzwischen zwei Uhr am Morgen, irgendwo am Himmel über Ohio. U2 und Entourage sind auf dem Nachtflug zur nächsten Station der „PopMart“-Tournee in Washington/DC. Dort steht in zwei Tagen ein Lunch im Weißen Haus mit Bill Clinton auf dem Programm. Aber daran denkt Bono im Moment noch nicht. In Gedanken ist er immer noch auf der Bühne.

Vor 40 Minuten hatte er vor 50 000 Zuschauern im Stadion der Ohio State University in Columbus ein bißchen absurdes Theater gespielt: Wie einer der beiden Landstreicher aus Samuel Becketts „Warten auf Godot“ war er mit seinem Bowlerhut über den Laufsteg geschritten und zitierte dazu groteske Zeilen wie „Manche Städte sind wie deine Tante“ in sein schnurloses Mikro. Nachdem Bono sich zuletzt von einer Figur aus Robert Wilsons „Black Rider“ zum teuflischen MacPhisto inspirieren ließ, quält er sich nun mit den ewig wartenden Beckett-Charakteren herum und stolpert dazu sinnsuchend durch den Songtext von „Miami“.

Der literarische Vergleich gefallt dem Vielbelesenen, denn die Verneigung vor dem großen irischen Schriftsteller sei ja durchaus beabsichtigt Schon während der Aufnahmen zu J*op“hatte er sich zwecks Inspirationsschubes ein paar Beckett-Zitate an die Studio-Wände geklebt. „Mein Lieblingszitat ist: ,Pop – what’s that?*, ein Spruch von Lucky aus ,Warten auf Godot‘.“ Wäre Beckett nicht 1989 gestorben, hätten ihm U2 wohl längst ihre Aufwartung gemacht – so wie sie es bei Burroughs, Bukowski und Ginsberg taten. Noch kurz vor seinem Tod im April hatte sich Allen Ginsberg zu einer Lesung des „Pop“-Songs „Miami“ vor laufender Kamera bereit erklärt; der für U2’s Selbstverständnis so bezeichnende Clip soll nun zu Beginn der Euro-Tour im TV Premiere haben.

Dirty old man Bukowski überwand 1993 gar seine Abneigung gegen Rockstars und besuchte ein U2-Konzert in Los Angeles – obwohl er zuvor wie ein Rohrspatz über aufdringliche Rockmusiker geschimpft hatte, die immer nur sein Alk-Reservoir leersaufen, seine Zigaretten rauchen und die Kippen in die letzte noch halbvolle Bierdose stopfen würden. „Das letzte Rockkonzert, das er gesehen hatte, war ein Stones-Openair in den 70ern – übrigens als Gast-Autor für den amerikanischen ROLLING STONE. Er hat es völlig verrissen“, grinst Bono. „Aber seine Frau Linda ist U2-Fan. Und als Larry ihm im Konzert den Song JDirty Old Town‘ widmete, war er ganz gerührt. Wir haben uns gut verstanden.“

Kurz vor seinem Tod hatte Bukowski seinen neuen Freund ein letztes Mal in Dublin angerufen. „Er lag im Krankenhaus und sagte nur: ,Bono, Fm fucking with Doctor Death. Und weißt du was? Ich glaube, der Doktor gewinnt diesmal.“

U2 widmeten ihm den Song „Dirty Day“ und zitierten darin die Bukowski-Zeile „The Days Run Away Like Wild Horses Over The Hills“. Warum Bukowski gerade ihn anrief, weiß Bono bis heute nicht Vielleicht, weil sie beide das Schöne hinter dem Vulgären, das Besondere im scheinbar Trivialen sehen und zu Papier bringen konnten.

William S. Burroughs war von den Iren so angetan, daß er ihnen bereits zum zweiten Mal seine Mitarbeit anbot: Nach der Lesung für ihre „Zoo-TV“-Tour ist die 84jährige Gegenkultur-Ikone jetzt als Gast im Video zur neuen Single „Last Night On Earth“ zu sehen. Für den Nihilismus-Apostel ist es eine Parade-Rolle: Er verkörpert in dem U2-Clip eine böse Macht, die das Ende der Zivilisation bringt.

Die Massenfluchten des Armageddon-Songs wurden am Drehrot Kansas City so authentisch nachgestellt, daß der Verkehr in der gesamten Stadt zusammenbrach. „Aber Burroughs war ein Trip für sich: Er trug eine Sonnenbrille, die so groß wie eine Taucherbrille war. Und er erzählte, er würde schon lange keine Schußwaffen mehr tragen, weil er jetzt ein Schwert habe – woraufhin er eine eineinhalb Meter lange Klinge aus seinem Spazierstock zog und dazu verkündete: ,1 didn’t come to bring peace, I came to bring the sword'“, lacht Bono und ahmt dabei Burroughs grantelnde Stimme meisterlich nach.

Den Respekt der Underground-Poeten haben sich U2 redlich verdient Auch wenn sich manchmal lyrische Platitüden einschlichen, so haben sich U2 in den letzten 18 Jahren doch zumindest um Texte bemüht, die den Begriff JLyrics“ noch verdient haben. „A good poem is like a good beer when you need it, a good poem can let you shake hands with Mozart“, hat Bukowksi in seinem Gedicht „Defining the magic“ geschrieben – und etwas von dieser Magie, von dieser surrealen Subversivität steckt auch in Bonos Texten. Sollten die Workshops im Club der alten Dichter etwa intellektuelle Kompensation für den musikalischen Flirt mit dem Dancefloor sein?

„Diese Leute faszinieren mich einfach – selbst wenn Rock’n’Roll immer als Jugendkultur definiert wird, die mit der Vergangenheit unbarmherzig abrechnet Menschen wie Bukowski oder Ginsberg hatten eine Kraft, die über ihre Generation hinausweist Und wenn mir Künstler diesen Kalibers ihren Segen geben, bedeutet mir das unendlich viel; ich komme mir dann vor wie ein Student Weil ich eben nicht nur auf Sounds neugierig bin. Bücher, die ich früher vielleicht nicht kapiert habe und auf einmal entdecke, sind genauso faszinierend. Aber alles, was die Medien derzeit an U2 interessiert, reduziert sich auf die Frage, wieviele CDs und Tickets wir verkaufen.“ Die Anspannungen der letzten Wochen sind Bono ins Gesicht geschrieben: Seit dem verpatzten Start der „PopMart“-Extravaganza in Las Vegas war die Band zeitweise arg in die Defensive geraten und mußte gegen schlechte Premiere-Kritiken und Meldungen über schleppende Ticketverkäufe anspielen. Sie, die erfolgsgewohnten Überflieger, mußten plötzlich wieder richtig indie Hufe steigen, um zu beweisen, daß sie trotz der jüngsten Stil- und Sound-Korrekturen noch immer die Alten sind.

Manager Paul McGuinness scheint die Unruhe hinter den Kulissen nicht zu tangieren. Als der Jet um 3 Uhr morgens in Washington landet, sitzt er wie ein Bär in seinem Sessel – ganz entspannt im Hier und Jetzt. Auf der Fahrt in die City erzählt er gelassen von den üblichen Anlaufschwierigkeiten einer Mega-Tournee wie dieser – die man inzwischen überwunden habe. „Früher haben wir eine Show in der Halle getestet und dann erst Open-airs gespielt; diesmal sind wir gleich ins kalte Wasser gesprungen. Es braucht Zeit, den Zirkus zum Laufen zu bringen“, doziert McGuinness -und verweist auf die „Voodoo Lounge“-Tour der Stones. Auch die war in den ersten Wochen wegen halbleerer Stadien voreilig als Flop abgeschrieben worden – und erwirtschaftete später Rekord-Umsätze von mehr als 500 Millionen Dollar.

Die Cash-Lawine hatten die Stones nicht zuletzt der Risikofreude des kanadischen Finanzjongleurs Michael Cohl zu verdanken, der nun auch U2’s „PopMart“ vermarktet. Über die Details des Deals schweigt sich Mc-Guinness aus, doch die Eckdaten machten trotzdem die Runde: Nach weltweitem Kassensturz sollte der JPopMart“ 400 Millionen Dollar umgesetzt haben, davon 150 Millionen als Garantie für die Band. Doch da die Einnahmen den astronomischen Produktionskosten bislang hinterherhinken, sei – so munkelt man in Branchenkreisen – die Garantie neu verhandelt worden.

Unverständlich bleibt, daß die Gerüchte über Finanzierungsprobleme den Blick auf die kreativen Qualitäten der „PopMart“-Show gänzlich verstellt haben. Immerhin gingen US-Medien-Meinungsmacher wie die JL.A. Times“ und die „Washington Post“ inzwischen dazu über, sich nicht mehr in Bilanzen zu erschöpfen, sondern das „ästhetische Potential“ der Show zu würdigen.

Zu recht Die 50 000 Zuschauer in Columbus jedenfalls erleben eine Performance, die diesen Namen wahrlich verdient: U2 sind nicht, wie vorschnell vermutet, zu anonymen Dancefloor-Mutanten degeneriert. Noch immer stehen da Individuen auf der Bühne, die ihre Realität konsequent reflektieren – und die schwerverdauliche Dissonanzen ebenso wie modische Dancefloor-Grooves als Spiegelbild ihrer Lust, Wut und Trauer in Musik umsetzen können. Sie gehören inzwischen zu der aussterbenden Spezies von Rockbands, die im Alleingang ein Stadion füllen können, ohne sich dabei der Erwartungshaltung der Südkurve anpassen zu müssen.

Und so ist schon der Techno-Rock-Opener „Mofo“ eine Absage an jene öden Stadion-Rock-Rituale, die zu Beginn des Mammut-Spektakels nach einem Gassenhauer verlangen, der das indifferente Auditorium aus den Sitzen hebt. Was smJPop noch uninspiriert vor-sich-hin-blubbert, entpuppt sich live als furioser Industrial-Blues. Auf die verstörende Eröffnung dann gleich der Klassiker „I Will Follow“ – ein bewußter Kontrast, der die Beständigkeit im Wandel zeigt: In beiden Songs singt Bono vom Tod seiner Mutter. Die Themen sind konstant, der Sound variabel.

Immer wieder lassen sie Vergangenheit und Gegenwart unverkrampft ineinander übergehen: In das unprätentiöse „Please“ – eine emotionslose Bestandsaufnahme von Nordirland im Bürgerkrieg – schleusen sie für wenige Takte Partikel von „Sunday Bloody Sunday“ ein: eine Reminiszenz an Zeiten, ab sie noch weiße Raggen schwenkten und mit pathetischer Inbrunst versicherten „This is not a rebel song.“ Und als die ’90er TripHop-Hymne „Miami“ ins ’80er Gitarren-Inferno von „Bullet The Blue Sky“ mündet, lassen sie symbolisch einen – von Roy Lichtenstein animierten -Comic-Jetfighter über die Leinwand zischen.

Allen „Größenwahn“-Vorwürfen zum Trotz: Mit dem gigantomanischen „PopMart“ haben U2 – der immanenten Konsum-Kritik zum Trotz – die Existenzberechtigung des multimedialen Massenspektakels einmal mehr bestätigt. Hatten sie mit „Zoo-TV“ und der auf zahllosen Monitoren verstreuten Bilderflut die Zuschauer eher irritiert, werden die optischen Reize diesmal gebündelt. „Die Bühne ist ästhetische Perfektion und gleichzeitig eine lächerliche Perversion. Und genau dieser Gegensatz macht es für uns so reizvoll“, schwärmt Bono, ganz das Kind inmitten seiner Spielzeuge.

In der für U2 reservierten Lounge des „Ritz-Carlton“ hat sich die Band für einen letzten Drink eingefunden. Bono zieht genüßlich am Zigarillo und pustet mit dem Qualm gleich noch einen Wortschwall über Moderne und Postmoderne aus. „Wir sitzen irgendwo dazwischen, suchen nach der Poesie in der Banalität. Es ist doch langweilig, Kunst immer in den herkömmlichen Paradigmen zu definieren. In der schwarzen Musik sind sie über diese Debatte längst hinaus: Dancefloor und HipHop bieten eine Freiheit, die die Rockmusik so nicht kennt“

Ein kleiner Mann im karierten Anzug und Baskenmütze hört ihm aufmerksam zu. Howie B, DJ-Guru aus Glasgow, Co-Produzent und Dancefloor-Coach der Iren, begleitet die Gruppe als Specialguest durch die USA. Jeden Abend steht er auf der Bühne hinter seinen Plattentellern und soll dem – vorwiegend weißen – U2-Publflcum Nachhilfestunden in europäischer Club-Culture geben. Fast eine „mission impossible“, denn die meisten Zuschauer nehmen kaum zur Kenntnis, daß Howie auf der Bühne steht und die Songs live ineinandermixt Immerhin: In Columbus hätten zum erstenmal ein paar Kids mitgeklatscht, sagt Howie, den die Ignoranz der Techno-resistenten Amerikaner bislang nicht aus der Ruhe gebracht hat. „Es braucht seine Zeit, bis sich die Club-Kultur in Amerika durchsetzen wird. Außer in Städten wie New brk, San Francisco oder Los Angeles hat sich da noch nicht viel getan.“ Daß europäische Trend-Gazetten schon die Techno-Invasion Amerikas herbeischreiben, findet er äußerst amüsant.

Bei U2 ist der DJ inzwischen zum kreativen Berater aufgestiegen – ein Posten, den zuvor Steve Lillywhite, Brian Eno und Daniel Lanois innehatten. Der Beat-Master aus Glasgow hatte 1992 zunächst Larry Mullens Hymne für die Fußball-Europameisterschaft abgemischt und später Bonos Coverversion von Leonard Cohens „Halleluja“ mit HipHop unterlegt Nach der Arbeit am „Passengers „-Album bekam Howie bei „Pop“ dann gleich den Job des Co-Produzenten. War es nicht ein Problem, eingefleischte Rockmusiker auf die Club-Sounds einzuschwören?

„Es war manchmal verdammt schwer, aber es hat trotzdem Spaß gemacht Oft haben sie gejammt, während ich Platten auflegte. Ich spielte alles mögliche von Miles Davis bis Herbie Hancock. Das hat verschlossene Türen geöffnet“

Gehen die Dancefloor-Novizen denn überhaupt selbst in jene Clubs, die sie mit ihren modernistischen Sounds beschallen wollen?

„In Dublin bin ich oft am Abtanzen, auf den Tourneen fehlt dazu meist die Zeit“, sagt Edge, „aber die Vorstellung, man dürfe mit 35 nicht mehr in die Disco gehen, ist wieder ein Problem der Weißen. In der schwarzen Kultur ist es selbstverständlich, daß 50jährige noch in Clubs zu Dr. Dre tanzen. Aber wir Iren sind ohnehin keine Experten in Sachen Dancefloor.“

Bono nickt und hält sich an seinem Bier fest. „Du mußt dir nur irische Folktänze ansehen – da wird Sexualität bewußt verleugnet Die Männer hüpfen mm, als ob sie keinen Schwanz mehr hätten. Deswegen sollten wir jetzt lieber aufhören, über Dancefloor zu reden.“ Um halb vier morgens hat ohnehin niemand mehr die Energie, die lokale Club-Szene zu testen.

Am nächsten Tag ist Bono nicht auf der Suche nach neuen Grooves, sondern nach Lesestoff. Zwischen zwei Meetings bummelt er durch die Bookshops am Dupont Circle. Und weil der kurzgeschorene Kopf des U2-Sängers medial noch nicht breitgetreten ist, kann er relativ unbehelligt in den Bücherregalen von „Kramerbooks 8C Afterwords“ stöbern. Bis ihn eine Kassiererin namens Edina Seleskovic identifiziert. Im Handumdrehen hat die gebürtige Bosnierin Bono in eine Diskussion über ihre Heimat verwickelt.

1993 hatten U2 Live-Bilder von Menschen im beschossenen Sarajevo auf den „Zoo-TV“-Monitoren gezeigt – und waren dafür besonders von der britischen Presse attackiert worden. Zu unrecht, wie Edina meint: Die Live-Schaltungen seien wichtig gewesen, um die Welt wachzurütteln. Noch wichtiger aber ist es in ihren Augen, daß U2 am 23. September im Kosevo-Stadion in Sarajevo auftreten wollen. Bono nimmt sie in den Arm und verspricht ihr, bei dem Konzert an sie zu denken. Dann schlurft er zurück ins Hotel, um sich auf die nächste Begegnung vorzubereiten..

Lunch mit Bill Clinton im Weißen Haus! U2 hatten den präsidialen Saxophonisten 1992 in Chicago getroffen, als sie mit der „Rock The Vote“-Kampagne seinen Wahlkampf unterstützten. Zu der schillernden Hilfstruppe aus Musikern und Schauspielern gehörte damals auch ROLLING STONE-Autor Hunter S.Thompson, der dem Kandidaten Tips mit auf den Weg geben sollte, wie er neben den MTV-Kids am besten gleich auch die Leserschaft des amerikanischen ROLLING STONE für sich gewinnen könne. Als sich Clinton und seine Berater dafür entschieden, ausgerechnet mit der Mainstream-Mucke von Fleetwood Macs „Don’t Stop Thinking About Tomorrow“ in den Wahlkampf zu ziehen, war Thompson einigermaßen entsetzt Zu behaupten, Clinton sei der Rock’n’Roll-Präsident, sei ungefähr so, als würde man sagen „Adolf Hitler habe nachts gern nackt zu Zigeunermusik getanzt“, spöttelte Thompson später. Was U2 nicht davon abhielt, bei Cnntons Besuch in Dublin mit ihm zu speisen. Was wiederum postwendend die Einladung ins Weiße Haus nach sich zog.

Zurück im Hotel. Der Freund des Präsidenten hockt mit seinen Clogs auf dem Sofa. Während sich Edge einen Margarita mixt, denkt er laut darüber nach, warum gottverdammte Rockmusiker heute selbst von amerikanischen Präsidenten hofiert werden. „Du kommst nach Washington, weil du eine Show spielen willst, doch plötzlich diskutierst du über Bosnien und triffst dich mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Es gibt Momente, da weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopfsteht.“

Ist Euch beim Gedanken an das Konzert in Sarajevo nicht etwas mulmig? Als der Papst ins Kosero-Stadion kam, wurden 13 000Sfor-Soldaten für seine Sicherheit abkommandiert. Die 23 Minen unter einer Brücke entlang seiner Fahrtroute wurden trotzdem nur durch Zufall von Passanten entdeckt.

„Es ist eine heikle Mission. Einige Leute in unserer Crew haben immer noch Bedenken, dorthin zu fahren. Wir können sie natürlich nicht dazu zwingen. Aber wir möchten und wir werden dort auftreten, vorausgesetzt, daß sich die politische Lage vor Ort nicht radikal verschlechtert.

Mein Freund, der ehemalige Außenminister und jetzige UN-Botschafter von Bosnien, Muhammed Sacirbey, macht sich dafür stark, Sarajevo wieder zu einer Kulturhauptstadt zu machen. Er als auch Alija Izetbegovic sind uns bei den Vorbereitungen sehr entgegengekommen, helfen uns, wo sie können. Wir könnten natürlich auch nur ein paar Verstärker einpacken und ein kleines Benefiz-Konzert geben. Aber das wollen die Bosnier nicht, sie wollen Normalität Bei meinen Besuchen in Sarajevo haben sie mir unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß wir sonst lieber gleich zu Hause bleiben sollten. Sie sind stolze Menschen, sie wollen kein Mitleid.“

Wie ist der Kontakt zwischen bosnischen Politikern und irischen Musikern zustande gekommen?

„Wir haben Muhammed bei einem Benefiz-Konzert für den Wiederaufbau der Musikschule in Mostar getroffen. Später hat Izetbegovic meine Frau Ali und mich nach Sarajevo eingeladen. Er lebt in ganz schlichten Verhältnissen, aber er empfing uns mit offenen Armen, schenkte mir Bücher – ich kam mir plötzlich ganz klein von Und daß er uns mit zu Verdis »Requiem‘ in die ausgebrannte Bibliothek von Sarajevo nahm, war auch eine bewegende Erfahrung. Ich fühle mich zu der Stadt und den Menschen hingezogen.

Was konkret fasziniert Dich an Sarajevo?

„Es ist eine Stadt mitten in Europa, und dennoch haben wir während des Krieges ignoriert, wie die Menschen dort ermordet, wie die Stadt zerstört wurde. Es ist auch heute noch schwer, das zu begreifen. Für mich ist Sarajevo eine Grenzstadt, wie Berlin es einmal war. Sarajevo ist die Schnittstelle zwischen islamischer und christlicher Welt, zwischen Europa und dem Mittleren Osten. Wir haben uns schon immer zu solchen Orten hingezogen gefühlt. Ich würde dort gerne mal mehr Zeit verbringen, nicht nur für ein Konzert. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dort eine Platte aufzunehmen.“

Habt Ihr bei Eurem Essen mit Clinton gerade auch über Bosnien gesprochen?

„Über Bosnien, aber auch über die Situation in Nordirland. Wenn wir mit Clinton reden, sind wir nicht an Smalltalk interessiert Ich rechne es Clinton hoch an, daß er 1995, als der Rest Europas unfähig war, die Massaker in Bosnien zu beenden, die Führung übernommen hat. Das gleiche gilt für die Friedensverhandlungen in Nordirland, die er maßgeblich vorangetrieben hat“

Wie spricht ein kleiner Musiker aus Dublin den mächtigsten Mann der Welt eigentlich an? Pleased to meet you, Mr. President?

„Wir nennen ihn Elvis (lacht), das ist der Spitzname, den auch seine engsten Mitarbeiter benutzen. Wenn Bill spricht, klingt er tatsächlich ein wenig wie Elvis. Früher nannten wir ihn JBill from Little Rock‘.“

THE EdGE: „Natürlich ist es heikel, wenn sich Musiker in der Öffentlichkeit mit Politikern einlassen. Wenn du da nicht höllisch aufpaßt, wirst du unweigerlich von der Politszene vereinnahmt. Andererseits kann diese Tatsache aber nicht dazu fuhren, daß du dich von diesem Teil deines Lebens komplett verabschiedest, daß du dich überhaupt nicht mehr politisch engagierst. In unserer Position darfst du nicht gleichgültig bleiben, du mußt dich einmischen. Es kommt nur auf die Art und Weise an.“

BoNO: „Neugier ist schon immer unsere treibende Motivation gewesen. Und wenn ich aufgrund unserer Position die Gelegenheit habe, jemanden wie Clinton oder Izetbegovic zu treffen, nehme ich sie natürlich auch wahr. Das ist vielleicht das größte Privileg, aber gleichzeitig auch die größte Verpflichtung, die eine Band wie U2 hat: Wir sollten stets in der Lage sein, ohne Scheuklappen überall hingehen zu können – vom Penthouse bis zur Gosse.“

Während die gegenwärtige Popmusik immer apolitischer wird, lassen sich Bill Clinton und nun auch Tony Blair ah Rock’n ‚Roll-Politiker feiern. Soll man sich darüber freuen oder ärgern?

BONO: „Eindeutig freuen! Unter heutigen Kids ist ja der Glaube weitverbreitet, daß alle Politiker korrupt seien – und daß es daher keinen Sinn mache, sich überhaupt noch zu engagieren. Unser Publikum denkt in dieser Beziehung vermutlich etwas differenzierter – worüber ich wirklich nicht unglücklich bin. Auch wenn wir heute vielleicht nicht mehr so platt über die Guten und die Bösen schreiben, bedeutet das nicht, daß politische Themen für uns unwichtig geworden wären. Nachdem wir zuletzt viel über die eigene Heuchelei geschrieben haben, behandeln die neuen Songs mehr die Ideale in einer realen Welt, die völlig surreal geworden ist. Diese Herangehensweise ist sicher effizienter als der plakative Agitprop, den wir in den 80er Jahren gespielt haben.“

Englische Bands wie Oasis und Simply Red haben Tony Blair mit Geld und Songs unterstützt. Hättet Ihr auch für ihn gestimmt?

,Ja. Als die Leute nach seinem Wahlsieg auf den Straßen tanzten, habe ich innerlich mitgetanzt. Blair hat sich viel vorgenommen und wird sicher nicht alle Versprechen einlösen können. Aber er packt die Dinge an. Ich bin zuversichtlich, daß jetzt auch eine Lösung des Nordirland-Konflikts möglich wird.“

Am Nachmittag vor dem Gig in Washington haben U2 andere Probleme: In der Nacht haben monsunartige Regenfalle das Stadion regelrecht geflutet und einen Teil der Video-Wand beschädigt. „That’s Rock’n’Roll“, flachst Designer Willie Williams, der Konstrukteur der fußballfeldgroßen Leinwand. „Kann passieren, wenn du mit einer technisch derart komplizierten Konstruktion auf Tour gehst Mit der Zeit bekommen wir auch die Kinderkrankheiten in den Griff.“

Später am Tag scheint wieder die Sonne, und die Band probt im leeren Stadion. Howie B wippt wie ein wildgewordener Karajan zwischen Bono, Adam, The Edge und Larry auf und ab, gibt über das Mikro Anweisungen an die Männer vom Mischpult. Die Band groovt sich langsam durch „Staring At The Sun“, läßt sich dann eine Weile jammend treiben, um schließlich wieder zu einer Songstruktur zurückzufinden. Vor allem in diesen unbeobachteten Momenten wird einem klau daß auch der mediale Zirkus, der am Abend das Stadion illuminieren wird, aus der gleichen emotionalen Flamme gespeist wird.

U2 spielen „Pride“, doch bis auf ein paar Ordner hört niemand zu. Nur die beiden Kids, die auf einmal zur Bühne sprinten, sind ganz außer sich. „Daddy, Daddy“ rufen sie und winken dem Mann mit der Schweißerbrille zu. Bono winkt zurück und unterbricht die Probe für einen Stadionrundgang mit seinen beiden Töchtern Jordan (8) und Eve (5). Ganz der fürsorgliche Vater, prüft er eingehend, ob die beiden auch brav ihre Ohrenstöpsel tragen und warnt sie schon mal prophylaktisch, bei der nächsten Nummer doch bitte nicht zu erschrecken. „Haltet euch am besten schon vorher die Ohren zu, es knallt gleich ein bißchen.“

WUMM, WUMM – die Böller für „Discotheque“ sind für die zarten Kinderohren doch so unangenehm, daß sie mit Mama lieber das Weite suchen. Und gar nicht mehr mitbekommen, wie der Papa bei dem nächsten Song sein juveniles Credo anstimmt: „Now I’m a child – and no one tells me No.“

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