Sternenstaub aus Erinnerungen
Der Mann hält sich selbst an das, was er dir in seinen Songs rät. Irgendwann einmal sang Paddy McAloon, das Leben sei eine einzige große Überraschung, und du solltest dir da bloß nichts verbauen, indem du irgendwelchen neurotischen Impulsen nachgibst. Jetzt sitzt er vor dir, kichert unter seinem putzigen Mittelscheitel hervor und sprüht verschwenderisch Bonmots in die Gegend. Nicht im geringsten gibt er irgendjemandem die Schuld daran, daß er die letzten sieben Jahre mehr oder minder im Abseits verbracht hat. Ein supernetter Kerl also, dieser monströse Songwritec Die Plattenfirma wird auch nicht dafür verantwortlich gemacht, daß er erst jetzt mit seinen Prefab Sprout ein Comeback feiern kann. Daß sie nicht daran interessiert war, sein Ensemble mit einer aufwendigen Weihnachtsplatte wieder zurück auf den Markt zu bringen, wie sie Paddy einige Zeit im Kopf rumgeisterte, ist für ihn nachvollziehbar. Auch daß ein Musical unter dem wunderschönen Titel „Let’s Change The World Widi Music“ für Menschen, die bei Plattenfirmen arbeiten, erst einmal nicht unbedingt chartverdächtig klingt, geht, so gesehen, in Ordnung. „Aber ich bin wirklich nicht daran interessiert, ein Pop-Album nach dem nächsten herauszubringen“, erklärt Mc-Aloon, der natürlich in all den Jahren ununterbrochen komponiert hat. In seiner Hinterhand hält er einen Langzeitplan, in dem kommerziell abwägbarere Projekte den Weg bereiten für gewagtere Unterfangen. Denn natürlich muß ein Künstler eigene Kalkulationen erstellen und darf das nicht denen überlassen, deren einziges Interesse es legitimerweise ist, möglichst viel von der produzierten Ware abzusetzen. Und daher lamentiert McAloon nicht darüber, daß Kunst auch immer Geschäft ist, sondern nutzt diese Tatsache für eigene Interessen. Vollkommen unneurotisch.
Schritt für Schritt baut er sein eigenes Studio in Newcasde aus, in dem er potentiell alleine arbeiten kann – und irgendwann auch einmal kostengünstig die vielen Songs produzieren wird, die er in den letzten Jahren geschrieben hat. „Übrigens, ich werde dieses Jahr 40.“ Und nur in einer Hinsicht bereitet das Pady McAloon Sorgen: „Ich muß mich ranhalten, denn so eine Stimme hält ja auch nicht ein Leben lang.“
,Andromeda Heights“ heißt das Album, mit dem sich Prefab Sprout nach sieben Jahren zurückmelden. Und ihr mit allen digitalen Extras eingerichtetes Studio in Newcasde, bei dessen Vollendung es sich nur noch um ein paar Jahre handeln kann, trägt den gleichen Namen. Konzerte sind McAloon ein Greuel. Er gibt schon lange keine mehr. Schließlich geht es bei ihm auch immer um Anonymität und Abstraktion. Seltsam: Wenn man neue Platten von Prefab Sprout hört, ist das, als betrete man vertrautes Terrain, aber von den Personen dahinter weiß man sich nie recht ein Bild zu machen.
„Das ist mein Ziel. Ich will vollkommen hinter meiner Musik verschwinden“, sagt McAloon. „Ich finde es einengend, vom Song Schlüsse auf den Songwriter zu ziehen. Vbr kurzem fragte mich meine Plattenfirma nach einem Foto, ich schlug vor, das aus meinem Paß zu nehmen.“ Und glucksend holt er seinen Paß aus dem Aktenkoffer, um ein Foto zu präsentieren, auf dem er verstört zwischen einem Zottelbart und langen Haaren hervorstarrt. Wie Brian Wilson während seiner Pillen-Phase. „Ich war auch enorm kreativ zu dieser Zeit. Schau mal auf das Datum! Auf den Tag genau vor zwei Jahren wurde der Paß ausgestellt. Da fing ich an, die Demos für die neue Platte zu produzieren.“
Kein Wunder, daß Prefab Sprout nicht zu Potte kommen bei solchen Vorbereitungszeiten. „Na hör mal, wir sind doch nicht Kula Shaker, die sich eine Orgel in den Proberaum stellen, und dann los. Da ich zwar eine genaue Vision im Kopf habe, die aber nicht auf der Wandergitarre wiedergebenen kann, muß ich es ein bißchen aufwendiger angehen. Im übrigen finde ich’s vollkommen verständlich, daß die Plattenfirma von einer Band wie uns zuvor einen Entwurf erwartet. Die wüßte ja sonst nicht, was auf sie zukommt.“
Prefab Sprout sind eine sichere Nummer. In ihrer Jugend gingen sie zögerlich zu Werke, um im Alter an ihren Träumen festzuhalten, was bei den meisten Menschen ja leider umgekehrt funktioniert. Und wenn du dir heute „Swoon“ anhörst, ihr Debüt-Album von 1984, weißt du genau, was du damals daran so geliebt hat. Unglaublich dringlich ist diese Musik – und unglaublich delikat. Das stellt keinen Widerspruch dar.
„Cruel“ war ein Wort, das Paddy eindrucksvoll benutzte. Aber es war natürlich nur ein Wort, das schon zigmal als urban blues gesungen worden war. Und: „Oh words are trains, for moving past what really has no name.“ In der Musik von Prefab Sprout lauerte immer der Zweifel, was sie nur um so imposanter machte, weil der Zweifel dann stets mit einem wunderschönen Akkord weggekickt wurde.
So wie vier Jahre später in dem Song „I Remember That“: „And there’s nothing pathetic listing dothes she’d wear, if it proves that I had you, if it proves I was there, say I remember that.“ Songs von Prefab Sprout waren auch immer Songs über das Erinnern. Und manchmal liefern solche Worte der Erinnerung die stärkste Resonanzfläche, die gar nichts mit der eigenen zu tun haben. So wie auf dem Album „From Langley Park To Memphis“, wo auch „I Remember That“ zu finden ist. Künstler- und Ortsnamen funtionieren hier als Karten in einem kunstvollen Klang-Memory. McAloon, der mit der Welt seinen Frieden geschlossen hat, aber nie zufrieden ist mit sich selbst, sagt: „Man hätte das opulenter gestalten müssen. Für ,Hey Manhattan!‘ wollte ich eigentlich die Stimme von Isaac Hayes haben. Und ein Elvis-Imitator sollte ,King Of Rock ’n’Roll“ singen.“
Schon immer aber wollten Prefab Sprout ihre Alben konzeptueil schließen. Ignoriert man die zwischenzeitlich erschienene Single „The Sound Of Crying“ – ein Zugeständnis an die Plattenfirma -, hat sich das Ensemble 1990 mit ,Jordan: The Comeback“ verabschiedet. Und mit diesem thematisch und musikhistorisch weit ausholenden Werk kündigte sich bereits an, was in &4ndromeda Heights“ jetzt Erfüllung findet: das Pop-Album als Musical. George Gershwin wußte, wie das geht, und der ist Paddy McAloon so nah, daß es nicht einmal nach falscher Vertraulichkeit klingt, wenn er ihn in einem Lied „Georgie“ nennt.