Peter Gabriel: Gabriels virtueller Garten
Die Multimedia-Euphorie ist verflogen, doch CD-ROM-Pionier Peter Gabriel setzt unbeirrt auf die technologische Zukunft
Real World ist nicht Graceland. Das Gelände in der Nähe von Bath steht jedermann offen; ab und zu zelten gar Fans auf dem benachbarten Hügel. Die landschaftliche Idylle mit dem See, den gepflegten Kieswegen und Gebäuden hatte Gabriel bereits auf seiner ersten CD-ROM „Xplora“ verewigt. Hier sind die Unterkünfte der Musiker, das sündhaft teure High-Tech-Studio und die Büros untergebracht. 80 Mitarbeiter beschäftigt Gabriel inzwischen; neu ist eine Multimedia-Abteilung, die die Arbeit an der Real World-Website (http://www.realworld.on.net) abgeschlossen hat.
Musik auf CD-ROM, von Gabriel schon frühzeitig propagiert, stößt indes auf wenig Gegenliebe. „Sie geht ein“, meint er schulterzuckend, „und das ist schon deprimierend. Andererseits: Irgendwann haben die Leute von den Baller-Spielen auf CD-ROM die Nase voll. Wir müssen nur den Winter überleben, denn ich glaube fest daran, daß es irgendwann einen Frühling für interaktive Medien geben wird.“
Als er vor drei Jahren „Xplora“ vorstellte, hagelte es nicht nur Preise und Auszeichnungen – weltweit wurden immerhin über 200 000 Exemplare verkauft. Alle überhastet produzierten Multimedia-CDs der Konkurrenz, von Bowie bis Stones, blieben unter Gabriels Niveau – und liegen heute wie Blei in den Giftschränken der Plattenläden. Die anfangs begeisterte Musikindustrie zog umgehend den Schwanz ein und versteifte sich lieber auf Internet-Seiten.
Gabriel scheint’s nicht zu irritieren: In seine zweite CD-ROM „Eve“ (über Funware und Virgin, 99.- DM), von „Real World Multimedia“ und der US-Firma „Starwave“ entwickelt, investierte er über zwei Millionen Mark. Und produzierte die – ästhetisch wie technisch – bislang innovativste Musik-CD-ROM.
Während „Xplora“ noch einem (dokumentarischen) Konzept folgte, läßt „Eve“ der technologischen Phantasie freien Lauf. Grundthema aber, wie schon bei seinen letzten Audio-Alben, ist die thematische Beschäftigung mit menschlichen Beziehungen – „offensichtlich ein Thema von universeller Bedeutung. Die meisten Menschen“, so Gabriel, „werden von ihren ungelösten Beziehungsproblemen völlig in Atem gehalten.“
„Eve“, nicht frei von esoterischem Brimborium, thematisiert die Suche nach Liebe und Geborgenheit – und jongliert dabei mit den unterschiedlichsten Stilen und Wahrnehmungsebenen. Es beginnt als Spiel: Adam und Eva, im Paradies vereint, verlieren die Unschuld – Eva macht sich aus dem Staub. Adam beginnt mit der Suche, um am Ende tatsächlich wieder die paradiesische Unschuld zu finden. Halbdokumentarisch sind eingefügte Passagen, in denen Psychologen und Musiktherapeuten, aber auch Menschen von der Straße zu Worte kommen. „Eine Multimedia-CD“, so Gabriel, „ist für mich nicht so persönlich wie eine Platte. Ein Album schreibe ich allein, eine CD-ROM entsteht im Teamwork.“
So engagierte er für den visuellen Part vier eigenwillige Köpfe. Helen Chatwick, wenig später verstorben, kreierte mit Pflanzen organische Skulpturen, ähnlich wie der Landschaftsgestalter und Aktionskünstler Nils-Udo. Die verschrobene Japanerin Yayoi Kusama tritt mit Kimono und Koffer auf, während Objektkünstlerin Cathy de Monchaux die weiblichen Genitalien aus Samt und verschraubten Geräten nachbildet. Ihnen allen aber bietet Gabriel kein neutrales Forum, sondern verarbeitet ihre Motive zu Buttons und Hebeln, mit denen der User an geeigneter Stelle Musik machen kann. Dazu laufen vier Gabriel-Songs in unveröffentlichten Versionen, die der Spieler selbst variieren kann. Ein Gesamtkunstwerk also. Doch wenn dem so ist: Warum veröffentlicht Gabriel sein kommendes Album nicht gleich als CD-ROM? „Ich weiß. Beim nächsten Mal werde ich das vielleicht in Angriff nehmen. Aber noch nimmt die Produktion einer CD-ROM mehr Zeit in Anspruch als ein herkömmliches Album. Da wir nicht wußten, wie lange uns „Eve“ beschäftigen würde, hielten wir es für sinnvoller, mit vorhandenem Material zu arbeiten.“
Ein neues Album ist jedenfalls in Arbeit (man munkelt sogar von zweien), und: „Einen Titel hab ich auch schon. Aber den sag ich Dir nicht. Es ist ein Wort mit zwei Buchstaben, und einer davon ist schon für einen Album-Titel verwendet worden.“