Herausschreien und Zurücknehmen: die Collagen von Railroad Jerk
Wer ist hier der smart ass? Der anonym gebliebene deutsche Journalist, der Railroad Jerk zwischen zwei Stücken ihres neuen Albums unterstellt: „Sometimes you pretend to be not intelligent“? Oder die Band selbst, die der Lendengegend lustvoll Riffs entlockt, es aber nicht als Kompliment empfindet, wenn andere Leute Liebe dazu machen.
So klingt Rock, wenn Jon Spencers Blues Explosion und Pavement, also die beiden großen Exponenten des amerikanischen Indie-Rock, um die Ecke wohnen. Bei Railroad Jerk geht es eine Menge um Smartness. Mal wird sie herausgestellt, mal hintenan.
Ja, die vier leben in New Yorks Lower East Side. Nein, sie sind keine Nachmacher. Verlief die Entwicklung von Railroad Jerk bis jetzt auch im medialen Abseits, so haben sie doch parallel zu Pavement und der Blues Explosion daran gearbeitet, wie Indie-Rock anno 1996 klingen kann. Ende der Achtziger wurden sie gegründet, mit „The Third Rail“ erscheint jetzt ihr viertes Album auf Matador. Hier sind ein paar weiße Jungs, in deren Köpfen feine Melodien spuken, in deren Fingern aber auch einige Blues-Riffe jucken. Klar, die müssen raus. Die Frage ist nur: Wie? Denn Retro ist der Feind und Authentizität eine Phantasie. Das meint zumindest Marcellus Hall, der – was ein Zufall – im Interview eloquent und energisch auftritt wie Jon Spencer oder Steve Malkmus von Pavement. „All diese Bands, die diesen Echtheitsanspruch vertreten, sind mir ein Graus“, sagt der Songwriter. „Das ist einer der Gründe, weshalb in unseren Songs so oft auf unterschiedliche Epochen referiert wird. Wir sind uns der Geschichtlichkeit unserer Musik bewußt. Im Gegensatz zu den Bands, die meinen, sie seien echt, die aber im Grunde nur die schlechte Kopie einer Siebziger-Jahre-Band sind. Ich nenne keine Namen.“
„The Third Rail“ ist eine kantige Collage verschiedener Stimmen und Stile. Der oben zitierte deutsche Journalist füllt mit seiner seltsamen Feststellung den Raum zwischen zwei Stücken, Kinder nölen seltsame Lieder, in den Texten geht es mal wieder um das Vegetieren am Tresen sowie das Leben auf der Straße, und die musikalischen Idiome reichen von Country und Blues bis Noise-Pop.
Marcellus Hall sagt: „Musik muß auch immer die Zeit reflektieren, in der sie entsteht. Dabei hängt aber Modernität nicht davon ab, welchen Stil du einsetzt, sondern wie du das tust.“ Railroad Jerk fordern in ihrem größten Hit wie am Rande des Wahnsinns „Bang The Drum!“ – um dann ganz zaghaft auf die Trommel zu tippen. „Bang The Drum“, erschienen auf dem Vorgänger-Album „One Track Mind“, ist recht examplarisch für die Arbeitsweise von Railroad Jerk, bei denen es immer gleichzeitig ums Herausschreien und Zurücknehmen geht. Trotzdem verheddern sich ihre Pop-Dekonstruktionen nicht im Relativismus, das Spiel löst sich nicht in absoluter Verspieltheit auf. Denn auch wenn Railroad Jerk ihren Kummer nicht so ernst nehmen – auf ihre Kunst lassen sie nichts kommen.
Und was bedeutet, nebenbei gefragt, der Titel des neuen Albums? „Die Stromleitung bei der New Yorker U-Bahn wird third rail genannt“, sagt Hall. „Viele Selbstmörder nutzen sie für ihre Zwecke.“