Der Tod des Smashing Pumpkins-Keyboarders Jonathan Melvoin beleuchtet die Heroin-Sucht von Rockmusikern
The needle took another man. Am frühen Morgen des 12. Juli starb Jonathan Melvoin, Tournee-Keyboarder der Smashing Pumpkins, in einem Hotel in New York an einer Überdosis Heroin. Jimmy Chamberlin, Schlagzeuger und notorischer Problemfall der Band, befand sich im selben Raum. Als er aus seinem Rausch erwachte, konnte er Melvoin nicht mehr wecken. Eine halbe Stunde später war er tot.
Chamberlin wurde wegen Besitzes einer sichergestellten Dosis verhaftet, und fünf Tage später kündigten die restlichen Band-Mitglieder die Zusammenarbeit auf und verpflichteten für den Fortgang ihrer Welt-Tournee einen anderen Schlagzeuger. In einem offiziösen Statement ließen sie ausrichten: „Seit neun Jahren kämpfen wir gegen Jimmys Abhängigkeit von Alkohol und Drogen. Es hat beinahe alles zerstört, was wir sind und wofür wir stehen… Wir wünschen ihm das Beste, was wir zu geben haben.“
Das ist alles, das ist wenig. Chamberlins Sucht war öffentlich, er hatte keinen Hehl daraus gemacht. Bei Jonathan Melvoin hingegen zeigten sich die meisten Beobachter überrascht: Der Musiker, der mit Prince und der Punk-Band The Dickies gearbeitet hatte, galt nicht als süchtig. Der Therapeut Bob Timmins allerdings hatte bei zwei Gelegenheiten in diesem Jahr von Melvoins Abhängigkeit erfahren: „Sein Problem war der Band kein Geheimnis.“ Kein Geheimnis auch: die Probleme von Dave Gahan von Depeche Mode und Scott Weiland von Stone Temple Pilots. Einen Tag nach Melvoins Tod nahm Phil Anselmo von Pantera eine Überdosis. Seine Nachricht an die Welt: „I will not die so easily.“ Die Institution „MusiCares Substance Abuse Initiative“ (eine lächerlich euphemistische Benennung), von der amerikanischen Plattenindustrie gegründet, hat ebensowenig Lösungen zu bieten wie Kollegen, Freunde, Verwandte. Seit einigen Jahren schon, lange vor Cobains Tod, werde Heroin in Musikerkreisen wieder offen herumgereicht – so Kelley Deal, deren Abhängigkeit nach einer Verhaftung in ein Sanatorium führte. Während ihre Schwester Kim (The Amps) kontrollierten Gebrauch der Droge auch danach lobpries („Wenn man es unter Kontrolle hat, gibt es nichts Besseres“), sagt Kelley heute: „Egal, was irgend jemand sagt: Es bringt einen um.“ Der schwarze „Glamour“, den Art Alexakis von der Band Everclear als Verfuhrung nennt, wirkt bei den Opfern ebenso verhängnisvoll wie die Idolatrie: So cool sein wie Keim Richards! Richards hat überlebt, nach dem Preis fragt niemand mehr. Bei Plattenfinnen und Managements wird diskutiert, wie stark Kontrolle geübt werden darf. Es gilt dennoch meistens die Maxime:
Der Vertrag ist geschlossen, die Band für sich selbst verantwortlich. Wie Kreativität entsteht, bleibt besser ein RätseL Marianne Faithfull, die es weiß, versichert: Aus der Sucht selbst entstehe nichts, allein in den Phasen der Ernüchterung sei Arbeit zu leisten.
Aber sie alle wollten nicht mehr arbeiten, sie wollten nicht mehr weiter. Und die Eingeweihten wollten es nicht mehr so genau wissen. Jimmy Chamberlin und Jonathan Melvoin wohnten in einem anderen Hotel als die übrigen Musiker. Da führte nur ein Weg hinaus.
Es naht das Finde siede, sichet; Depression und Dekadenz prägen das Jahrzehnt Die Jugend raved auf Partydrogen, die Spätjungen flüchten in künstliche Paradiese (und also wirkliche Höllen). Die Rockmusik: ein auslaufender Mythos. Was macht eigentlich Alex Christensen in seiner Freizeit? Was nimmt Das Modul? Wie befriedigen sich E-Rotic? Die unschönen Drogen-Abstürze bei der Love Parade werden im „Spiegel“ dokumentiert, die Schnarchpresse zählt Müll und Image-Gewinn, die Szene-Hefte anästhesieren mit Sponsoring, Slogans und bewußtlosem Schwachsinn. Fürs Fanal zu banaL Aber der gute ahe Rock, der Künstlerkult: Selbst Konstantin Wecker taugt als Trivialtragöde mit medialem Bekenntnis-Parcours und finanziellem Offenbarungseid – und vielleicht sollte man aufhören, Jerry Garcias Sterben zu romantisieren (oder ab Klamotte umzuschreiben). Ein Tod ist ein Tod ist ein Tod.
Was in der Rockmusik – und der zugehörigen Industrie – fehlt, sind Kohärenz und Halt Als selbstreferentielles System gegenüber der Gesellschaft abgeschottet, schafft der Apparat die Räume der Fatalität: Wer nicht am Start ist, ist nicht da. Nicht mehr.